Sustainability
Das Beratungsunternehmen legt sich für Sustainability ins Zeug. Es hält die von rechten Kreisen vorgebrachte Kritik für überzogen.
16. August 2022 • Beat Schmid

Mit einer neunseitigen Analyse versucht das Beratungsunternehmen McKinsey Kritik an einer nachhaltigen Unternehmensführung zu kontern. Diese wurde jüngst vor allem aus konservativen amerikanischen Wirtschaftskreisen und von rechten US-Politikern immer lauter vorgetragen. Aber auch prominente Exponenten der Sustainability-Szene äusserten plötzlich heftige Kritik (Tippinpoint berichtete).

Fünf Autorinnen und Autoren machten vier Hauptkritikpunkte an ESG aus (das Kürzel steht für eine Unternehmenspolitik, die sich an Umwelt-, sozialen und Aspekten guter Unternehmensführung orientiert).

Punkt 1: Nur eine Ablenkung

ESG stelle eine Ablenkung vom eigentlichen Ziel jedes Unternehmens dar, nämlich so viel Geld wie möglich zu verdienen und sich dabei an die Grundregeln der Gesellschaft zu halten. In diesem Konzept sei ESG höchstens ein Nebenschauplatz, eine Public-Relations-Veranstaltung oder, noch schlimmer, ein Werkzeug, um Konsumenten, Investoren und Angestellten das Geld aus der Tasche zu ziehen. Deshalb würden Kritiker oftmals von Greenwashing, “purpose washing” oder “woke washing” sprechen.

Punkt 2: Widersprüchlich

Nachhaltigkeitsziele würden sich zu sehr widersprechen und seien deshalb per se zu kompliziert, um sie in Unternehmen zu verankern. Bei der Suche nach einer finanziellen Rendite ist das Ziel klar: die Maximierung des Wertes für das Unternehmen und seine Aktionäre.

Was aber, wenn die Aufgabenstellung breiter gefächert sei und die möglichen Lösungen weitaus komplexer seien? Eine Lösung für mehrere Stakeholder kann mit Kompromissen behaftet und sogar unmöglich sein. An wen sollte ein Manager den zusätzlichen ESG-Dollar zahlen? An die Kunden in Form von niedrigeren Preisen? Die Mitarbeiter, durch höhere Leistungen oder höhere Löhne? Die Lieferanten? An die Umwelt, vielleicht in Form einer internen Kohlenstoffsteuer?

Punkt 3: Nicht messbar

Der Erfüllungsgrad von Nachhaltigkeitszielen sei kaum messbar und überdies widersprächen sich die gemessenen Ergebnisse zu oft und zu stark. Während einzelne E-, S- und G-Dimensionen bewertet werden können, sei die Aussagekraft einer integralen ESG-Sicht auf ein Unternehmen bescheiden.

Dieses Manko werde durch die unterschiedliche Gewichtung und Methodik der ESG-Rating- und Scoring-Anbieter noch verschärft. Während beispielsweise die Kreditratings von S&P und Moody's zu 99 Prozent korrelieren, korrelieren die ESG-Scores der sechs bekanntesten ESG-Rating- und Scoring-Anbieter im Durchschnitt nur zu 54 Prozent und schwanken zwischen 38 und 71 Prozent.

Punkt 4: Kein Zusammenhang mit Performance

Selbst wenn solide Messgrössen vorliegen, sei ihr Zusammenhang mit dem in Geld gemessenen Unternehmenserfolg nicht erkennbar. Kritiker sagen, die Korrelationen mit der Performance könnten durch mehrere Faktoren erklärt werden (z. B. Gegenwind oder Rückenwind in der Branche) und seien Veränderungen unterworfen.

Während laut einer kürzlich durchgeführten Metastudie die Mehrheit der ESG-gelabelten Anlagefonds den breiteren Markt schlägt, tun dies einige ESG-Fonds nicht. Selbst bei den Unternehmen und Fonds, die eine Outperformance erzielt haben, könnte es durchaus andere Gründe für ihre Outperformance geben. Beispielsweise gehören Technologie-Unternehmen oft zu den Klassenbesten bei ESG-Bewertungen. Da sie einen relativ geringen CO₂-Fussabdruck haben, erzielen sie tendenziell höhere ESG-Bewertungen.

Und einen weiteren zentralen Kritikpunkt führen die Autoren von McKinsey an. Die “jüngsten Ereignisse und die aufgewühlten Märkte” hätten einige dazu veranlasst, die Anwendbarkeit von ESG-Ratings zum jetzigen Zeitpunkt infrage zu stellen. Laut dem Autorenteam stimme es, dass die “Notwendigkeit”, die Energiesicherheit nach dem Einmarsch in die Ukraine zu stärken, “kurzfristig zu einer verstärkten Förderung und Nutzung fossiler Brennstoffe” führen könne. Die Folge sei, dass die globale Zusammenarbeit, die für einen geordneten Netto-Null-Umstieg erforderlich sei, durch den Krieg und seine Folgen gefährdet sein könnten.

Die Gegenargumente von McKinsey

McKinsey hält diesen Argumenten entgegen, dass viele Unternehmen sich auch weiterhin zu wissenschaftlich fundierten Zielen verpflichten und Pläne zur Umsetzung dieser Verpflichtungen festlegen. Dies deutet darauf hin, dass ESG-Erwägungen bei der Entscheidungsfindung von Unternehmen nicht weniger, sondern mehr an Bedeutung gewinnen.

“Eine Voraussetzung für die Erhaltung langfristiger Werte darin besteht, massive, paradigmenverändernde externe Effekte zu managen und anzugehen”. Unternehmen könnten ihre Geschäfte auf scheinbar rationale Weise führen, Renditen anstreben und ihre Strategie für fünf oder mehr Jahre festlegen.

Doch wenn sie dabei davon ausgingen, dass ihr Geschäftsmodell externe Kosten nicht einbeziehen müsse oder gar auf Rücksichtslosigkeit gegenüber der Gesellschaft beruhen könne, seien Geschäftserfolge “möglicherweise überhaupt nicht realisierbar”.

Die Einbeziehung externer Effekte führe zudem bereits heute zu Erfolgen, argumentieren die Autoren. So hätten im Rahmen der UN-Kampagne Race to Zero bereits mehr als 5’000 Unternehmen Zusagen für die Absenkung ihrer CO₂-Emissionen gemacht – und das durchaus im eigenen Interesse. Auch wenn einige Regierungen und ihre Behörden Veränderungen schneller und nachdrücklicher fordern als andere, können es sich vor allem multinationale Unternehmen nicht leisten, abzuwarten und zu warten, sind die Autoren der Meinung.

Zum einen verbessere dies das Image der Unternehmen und stosse auch auf Wohlwollen der zunehmend alarmierten Behörden, zum anderen erhöhe das auch die Attraktivität der Unternehmen bei Arbeitnehmern und Job-Kandidaten. Als Beispiele führt McKinsey die US-Outdoor-Markenfirma Patagonia und den brasilianischen Kosmetikhersteller Natura & Co. Durch die konsequente Anwendung von ESG-Kriterien dieser Firmen habe nicht nur die Umwelt profitiert, sondern auch das Unternehmen.

Auch die Kritik an der Aussagefähigkeit von ESG-Daten halten die Autoren für überzogen: Durch laufende Bemühungen für eine weitgehende Standardisierung und Verbesserung würden die Daten immer umfangreicher und aussagekräftiger werden.