Fabelhafte Bewertungen
Angeblich sollen neun Krypto-Einhörner durch die Schweiz galoppieren. Dass so viele Schweizer Projekte einen Wert von über einer Milliarde haben sollen, ist jedoch eine überlieferte Erzählung aus einer vergangenen Zeit.
24. Januar 2023 • Werner Grundlehner

Herrscht in der Welt der Kryptos bereits wieder eitel Sonnenschein? Das könnte man man meinen, wenn man auf den Bitcoin schaut – der wie ein Metronom der Branche den Takt vorgibt. In den vergangenen Tagen hat er sich erholt und notiert wieder weit über 20’000 Dollar. Zwar ist er noch weit entfernt von den über 67’000 Dollar, die er im November 2021 erreichte – trotzdem scheint die Branche Morgenluft zu wittern.

Auch das Schweizer Herz der Krypto-Industrie, das “Crypto Valley” mit dem Zentrum Zug, verbreitet Zuversicht. So präsentierte das Risikokapitalunternehmen CV VC (Crypto Valley Venture Capital) vergangene Woche in Davos zum achten Mal den “CV VC Top 50 Report”. Darin wird berichtet, dass die Bewertung der Top-50-Unternehmen im Crypto Valley aktuell 185 Milliarden Dollar erreiche. Diese Summe teilen sich Blockchain-Plattformen (175 Mrd.) und Unternehmen nach Aktienbewertung (10 Mrd.) auf.

Obwohl die Marktkapitalisierung der Blockchian-Plattformen gemäss CV VC im vergangenen Jahr um 71 Prozent eingebrochen ist, macht der Report im Crypto Valley neun Einhörner aus. Als “Unicorns” werden Jungunternehmen bezeichnet, deren Firmenwert die Grenze von 1 Milliarde Dollar übertrifft. Bei den sieben Blockchain-Plattformen, die als Einhörner durchs Valley galoppieren, handelt es sich um Dfinity, Near, Cosmos, Solana, Web3 Foundation, Cardano, und Ethereum, hinzu kommen die “kommerziellen Unternehmen” 21.co und Gnosis Safe.

Enge Verbindungen zu Sam Bankman-Fried

Bei diesen Bewertungen handelt es sich aber nicht um eine zeitnahe Einschätzung durch den Finanzmarkt, sondern um einen Wert, den die Autoren aus Funding, eigenen Bewertungen und Anzahl Mitarbeitern in der Schweiz berechnen.

Wie problematisch diese Bewertungen sind, zeigt sich am Beispiel des Projekts Solana: Im Jahr 2021 sammelte Solana Labs 314 Millionen Dollar an neuem Kapital ein. Ein wichtiger Partner dabei: Sam Bankman-Fried. Die Kryptowährung wurde vom betrügerischen Unternehmer unterstützt und erscheint in den Bilanzen seiner zahlreichen Projekte. Noch vergangenen Sommer sagte Bankman-Fried, Solana sei die am stärksten unterbewertete Kryptowährung auf dem Markt.

Solana war das zweitgrösste Investment der Trading-Firma Alameda Research, die von Bankman-Fried lanciert wurde. Er gründete mit der Solana-Blockchain sogar eine dezentrale Börse namens Serum. Nachdem das Bankman-Fried-Projekt kollabiert war, publizierte Solana die Meldung, dass FTX und Alameda Research zusammen über 50,5 Millionen Solana-Coins hätten, die einen Wert von 500 Millionen Dollar aufweisen würden. Diese Coins seien bis 2028 “gesperrt”, was wahrscheinlich eine zuversichtliche Umschreibung ist.

Projekte verlassen Solana-Ökosystem

Viele DeFi-Projekte (Dezentralisierte Finanzen), welche die Solana Blockchain nutzen, verwendeten FTX als primäre Handelsplattform. Weil Solana eng mit FTX liiert war, verlor die Kryptowährung vergangenen November, als FTX kollabierte, unmittelbar über 70 Prozent des Wertes. In den Wochen nach dem FTX-Kollaps verliessen zahlreiche Kryptowährungsprojekte, etwa NFT-Kollektionen, das Solana-Ökosystem.

Mit der Pleite von FTX kam es am Kryptomarkt zu einem grossen Einschnitt. Alle Altcoins (Kryptowährungen neben dem Bitcoin) gerieten in einen tiefen Bärenmarkt. Auch Cardano verlor massiv an Wert, auch wenn dieser Coin deutlich weniger Geschäftsbeziehungen zum FTX-Ökosystem aufweist als Solana. Doch der Cardano-Coin gilt als einer der schwächeren Performer unter den Altcoins in einem längeren Bärenmarkt.

Doch das sind nicht die einzigen Gründe, weshalb Zweifel am Wert von Cardano und Solana aufkommen. Entscheidend für den zukünftigen Erfolg ist die Rendite, welche die Kryptowährungen über Staking erzielen können. Und diese Perspektiven sind für Solana und Cardano nicht rosig.

Wichtige Gebühreneinnahmen

Führend in der Rentabliität ist Ethereum. Diese Blockchain wird bevorzugt als Software für die Automatisierung von Verträgen, das Internet der Dinge (IoT) und dezentrale Finanzanwendungen (Defi) verwendet. Das führt zu einem steten Cashflow. Auf dem Höhepunkt des Booms im Jahr 2021 generierte die Blockchain pro Tag rund 100 Millionen Dollar Gebühren.

Heute sind es weiterhin rund 3 Millionen Dollar täglich. Um der Verwässerung entgegenzuwirken, werden 80 Prozent der erwirtschafteten Gebühren mittels burning vernichtet. Die restlichen 20 Prozent werden an die Token-Holder verteilt, die ihre Token hinterlegen. Bei diesem sogenannten Staking kann im Moment eine reale Rendite von rund 4% erzielt werden. Cardano und Solana erzielen dagegen nur einen bescheidenen Cashflow, der kaum eine reale Rendite zulässt.

Ende August 2021 notierte der Cardano-Coin auf 2,96 Dollar. Bis Ende 2022 büsste die Kryptowährung deutlich über 90 Prozent ein. Die Coins von Solana notierten im Höchst, Anfangs November 2021, auf über 236 Dollar. Bis zum Ende des vergangenen Jahres reduzierte sich der Wert über 95 Prozent. Nach einer markanten Erholung der Notierungen in den vergangenen Tagen, weist Cardano aktuell eine Marktkapitalisierung von 13,2 Milliarden Dollar und Solana eine von 8,9 Milliarden auf.

Das ist jedoch nicht der Wert des Projekts, sondern der Wert der Gesamtheit aller emittierten Coins, die nicht der Gesellschaft, sondern den Investoren gehören. Ob die beiden Projekte angesichts der Kursschwäche und der schwachen Gebühreneinnahmen einen Wert von 8,8 Milliarden (Cardano) und 4,4 Milliarden (Solana) aufweisen, darf bezweifelt werden.

Wenig nachvollziehbare Berechnung

Das muss man sich auch beim Unternehmen 21.co fragen, der Muttergesellschaft von 21 Shares und Amun, die im Report mit 2 Milliarden Dollar bewertet wird. Das Unternehmen beschäftigt rund 100 Personen. 21 Shares verwaltet gemäss Website über 1 Milliarde Dollar in über 30 ETP, die den Wert einer Kryptowährung oder eines Indizes tracken. Diese Exchange Traded Products sind mit Exchange Traded Funds vergleichbar, werden aber verwendet, wenn ETF nicht eingesetzt werden können. Amun hat sich auf Token spezialisiert, die dem Investor die Defi-Welt leichter zugänglich machen sollen.

Dass die Bewertung ganz anders ausfällt, wenn die Öffentlichkeit das an Finanzmärkten macht, zeigt der Fall der Krypto-Börse Smart Valor der umtriebigen Olga Feldmeier. Seit dem Börsengang an der Nasdaq First North in Schweden im Januar des vergangenen Jahres hat sich die Marktkapitalisierung um über 80 Prozent reduziert. Smart Valor weist aktuell einen Börsenwert von knapp über 10 Millionen Franken auf.

Ein Kenner des Crypto Valleys blickt auf die Entwicklung des Top-50-Reports zurück. Der erste erschien im Oktober 2018. Cardano war bereits in den Top 50, die Solana-Stiftung wurde erst im Sommer 2019 in der Schweiz eingetragen. Cardano hatte damals Finanzierungen von 63 Millionen Dollar erhalten, wurde mit 3,7 Milliarden Dollar bewertet und beschäftigte in der Schweiz 10 Personen. Zwei Jahre später wies Cardano mit 7 Mitarbeitern eine Bewertung von 2,3 Milliarden Dollar auf. “Die aktuellen Werte passen zum Tokenkurs, der auf Coinmarketcap.com publiziert wird”, sagt der Experte.

“Das ist bei Solana ungefähr die Hälfte und bei Cardano ungefähr zwei Drittel der aktuellen Marktkapitalisierung”, sagt ein anderer Experte. Der Report weise die Werte von Protokollen und die Krypto-Firmen separat aus, was in seinen Augen viel Sinn ergebe. “Die Bewertung der Protokolle ist aufgrund der Volatilität schwierig, egal ob mit einem Stichtag oder mit einem Jahresdurchschnitt bewertet wird”, fügt er an.

Grosser Fehler: Dezentrales zentralisiert

Das vergangene Jahr war für die Kryptoindustrie ein einziges Desaster. Bereits im Mai sorgte der Zusammenbruch des Ökosystems von Terra (Luna) mitsamt des algorithmischen Stablecoins UST für grosse Nervosität und Verluste in der Branche. Nach dem Bankrott von FTX im November stimmten dann viele Marktbeobachter in den Schwanengesang ein. Zwischenzeitlich sind weitere Projekte bankrott gegangen oder eingestellt worden.

Konkurs und Pleiten wie jene von FTX waren weder ein Scheitern von Protokollen noch ein Fehlschlag von Defi. Es war vielmehr ein Ausfall von zentralisierten Systemen, die es in der dezentralen Kryptowelt eigentlich nicht mehr geben sollte. Aber viele Anwender, vor allem Laien, mögen zentral organisierte Angebote wie zentrale Aufbewahrungsstätten und Börsen für Kryptowährungen, weil diese Effizienz und Konsistenz vermitteln.

Aber in solchen zentralisierten Projekten führen menschliche Fehler oder Korruption ins Verderben. Kein Wunder machen nach dem FTX-Desaster Gerüchte um Probleme des zentralisierten Marktführers Binance die Runde, bei dezentralisierten Börsen wie Uniswap befürchtet das niemand.

“Einzigartiger” Bitcoin

Nochmals zurück zum Metronom Bitcoin. Zwar macht der “Urvater der Branche” die Stimmung in der Krypto-Industrie aus. Aber es gilt zu bedenken, dass der Bitcoin ziemlich anders ist alles alle anderen Projekte – um nicht zu sagen einzigartig. Der Bitcoin erzielt nur wenig Gebühren und diese erhalten nicht die Token Besitzer, sondern die Miner. Bitcoin ist daher eher mit Gold zu vergleichen. Es hat sich gezeigt, dass sich die Bitcoin-Notierung ähnlich wie Gold stark an den realen Zinsen (Differenz zwischen aktuellem Zinssatz und Inflation) orientiert.

Im vergangenen Jahr sank die Geldmenge, was zu einem starken realen Zinsanstieg geführt hat. Entsprechend war der Bitcoin keine gute Wertanlage oder Absicherung gegen die steigende Teuerung. Der Bitcoin bietet aber Sicherheit, welche mit Energie und Zeit bezahlt wird. Langfristig wird die Adaption als Wertaufbewahrungs- und Zahlungsmittel den Wert der “Ur-Kryptowährung” antreiben. Das Bitcoin-System funktioniert auch, ohne dass Intermediäre Handels-, Aufbewahrungs- oder Vermittlungsdienstleistungen anbieten.

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