Der Bericht der Parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK) ist knapp 600 Seiten dick. Die spannendsten Passagen finden sich im letzten Drittel. Sie werfen zum Teil ein neues Licht auf den Überlebenskampf der Credit Suisse.
Am Sonntagabend, 19. März, um 19.30 Uhr war die Credit Suisse Geschichte. An der Pressekonferenz im Medienzentrum des Bundes in Bern wurde der Übernahme-Deal mit der UBS bekannt gegeben. In den Stunden und Tagen zuvor war hart um eine Lösung für die ehemals zweitgrösste Bank der Schweiz gerungen worden.
Der Sonntag begann mit einer Telefonkonferenz um 6.45 Uhr. Daran nahmen CS-Verwaltungsratspräsident Axel Lehmann, der damalige Finma-Direktor Urban Angehrn, die Leiter der Geschäftsbereiche Banken und Enforcement sowie Vertreter des SIF, Staatssekretärin Daniela Stoffel und der Leiter der Abteilung Finanzmärkte und Finanzsysteme teil.
Es war eine schwierige Sitzung. Der PUK-Bericht zitiert aus einem Kurzprotokoll, wonach Urban Angehrn CS-Präsident Axel Lehmann «mit deutlichen Worten» mitgeteilt habe, dass der Liquiditäts-PONV erreicht und damit der Wert der Aktien auf null gesunken sei: «Axel, Klartext: Wir sind Liq-PONV der Bank. [...] Wert der CS-Aktie ist Null». PONV steht für Point of Non-Viability (drohende Zahlungsunfähigkeit).
Der PUK-Bericht hält weiter fest: «Der Verwaltungsratspräsident zeigte sich von beiden Informationen nicht überrascht (Antwort gemäss Kurzprotokoll: «Ja, klar»). Weiter führte der Finma-Direktor aus, dass die AT1-Anleihen abgeschrieben seien und die Entschädigung der Aktionärinnen und Aktionäre bei einem Preis von 1 Milliarde Franken grösser als null sei.
Zur «zögerlichen Reaktion» von Axel Lehmann erklärte der Leiter des Geschäftsbereichs Banken der Finma der Finma, dass «die Alternative die Resolution mit den entsprechenden Risiken für die nationalen und internationalen Finanzmärkte sei». Und weiter: «Die Staatssekretärin für internationale Finanzfragen ergänzte, dass der Bund immerhin mit 5 Milliarden Franken ins Risiko gehe, was nicht unerheblich sei.»
«Abschliessend unterbreitete sie (Daniela Stoffel, Red.) dem CS-Verwaltungsratspräsidenten folgendes Preisangebot: «Letzter Vorschlag für die Entschädigung der Aktionäre, 2 Milliarde, statt 1 Milliarde.» Zudem habe sie der CS gemäss Protokoll eine Frist von einer Stunde für ihre Antwort gegeben. Laut Protokoll war Daniela Stoffel in die Preisfindung involviert. Sie verneinte dies später bei der Befragung durch die PUK. Dazu heisst es: «Diese Information deckt sich nicht mit den Ausführungen der Staatssekretärin für internationale Finanzfragen vor der PUK, wonach sie in die Preisverhandlungen nicht involviert gewesen sei.» (Am Ende zahlte die UBS drei Milliarden Franken. Im Gegenzug wurden die Verlustübernahmegarantien des Bundes auf 9 Milliarden erhöht).
Bereits in den Tagen zuvor war laut PUK-Bericht für die UBS klar, dass eine Übernahme die beste Lösung sei. «Der Verwaltungsrat (der UBS, Anm. d. Red.) diskutierte in der Folge die Konsequenzen, wenn die UBS der Transaktion mit der CS nicht zustimmen würde. Er erwog, dass das Schweizer Finanzsystem extrem an Glaubwürdigkeit einbüssen sowie die UBS einen grossen Reputationsschaden erleiden und viele Kundinnen und Kunden verlieren würde. Er kam deshalb zum Schluss, dass ein Zusammenschluss mit der CS klar die bevorzugte Lösung sei.»
Sergio Ermotti war bereit einzuspringen
Für den Bund und die CS gab es aber noch andere Alternativen. Am Samstag kontaktierte Finma-Präsidentin Marlene Amstad Sergio Ermotti und fragte ihn an, ob er als Verwaltungsratspräsident der CS zur Verfügung stünde. Im Text heiss tes dazu: «Sergio Ermotti gab gegenüber der PUK zu Protokoll, dass er erstmals am Samstagnachmittag von der Verwaltungsratspräsidentin der Finma kontaktiert und über den desolaten Zustand der CS informiert worden sei. Sie habe drei mögliche Optionen erwähnt, die von den Behörden verfolgt würden: ein Verkauf der CS, eine Abwicklung oder eine Staatsintervention. Er sei gefragt worden, ob er sich bei einer solchen alternativen Rettung der CS als Verwaltungsratspräsident zur Verfügung stellen würde. Er habe grundsätzlich Gesprächsbereitschaft gezeigt, sich aber einige Stunden Bedenkzeit ausbedungen. Seine Zusage gegenüber der Verwaltungsratspräsidentin und dem Direktor der FINMA sei am Samstagabend erfolgt.»
Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Nationalbankpräsident Thomas Jordan und Finma-Präsidentin Marlene Amstad unterschiedlicher Meinung waren, wie die CS zu retten sei. Während Jordan eine zeitlich beschränkte Staatsintervention (TPO) vorgezogen hätte, «habe sich die Finma für die Sanierung stark gemacht».
Am Sonntag um 9.30 Uhr wurden die Verhandlungen fortgesetzt. Gemäss PUK-Bericht hörte der Bundesrat den Verwaltungsratspräsidenten und den CEO der CS an, welche die Kritik an der Ausstiegsklausel und am aus ihrer Sicht zu tiefen Preis wiederholten. «Der Preis von 1 Milliarde Franken sei auch gegenüber den Aktionärinnen und Aktionären problematisch, die mit Sicherheit Rechtsverfahren anstreben würden. Als gangbare Alternative betrachteten die Vertreter der CS eine TPO. Im Gespräch entstand gemäss einem anwesenden Vertreter der Finma der Eindruck, dass die CS versucht habe, ihre Rechtsrisiken an den Bund abzuschieben. Im Gegenzug habe der Bundesrat als Alternative klar die Sanierung dargelegt.»
«Offensichtlich führten die Darlegungen der CS-Spitze beim Bundesrat zu Irritationen. Im Protokoll ist vermerkt, dass der Bundesrat in der nachfolgenden Diskussion bei den Vertretern der CS einen Realitätsverlust festgestellt und eine «gewisse Arroganz in ihrer Argumentation» bedauert habe. Da die Unsicherheiten zum Deal zwischen der UBS und der CS andauerten, stellte die Finma die Unterlagen für eine Sanierung unterschriftsreif in vier Exemplaren bereit.»
Lieber Verstaatlichung als Sanierung
Laut dem PUK-Bericht geht auch klar hervor, dass eine Sanierung nach dem Too-big-to-Fail-Regime insgesamt schlechter eingeschätzt wurde als eine direkt Beteiligung des Bundes. So heisst es: «Der PUK liegt ein Entwurf für einen Bundesratsantrag vor, der die staatliche Übernahme der CS geregelt hätte. Begründet wurde diese im Entwurf damit, dass eine Einigung zwischen den beiden Grossbanken bis zum aktuellen Zeitpunkt nicht zustande gekommen sei. Als Alternativen kämen nur eine staatliche Übernahme, eine Sanierung oder der Konkurs der CS infrage. Die beiden letzteren Varianten schätzte das EFD als insgesamt schlechter ein. Weiter wurde ausgeführt, dass die Variante einer staatlichen Übernahme am wenigsten negative Konsequenzen für die Schweizer Volkswirtschaft und wohl auch für das globale Finanzsystem zeitigen dürfte.»
In den folgenden Stunden wurde nicht nur ein Einstieg des Staates vorbereitet, sondern auch Möglichkeiten, die Credit Suisse zu einer Fusion mit der UBS zu zwingen. Dieses Szenario musste nicht umgesetzt werden. «Während der Bundesrat noch über diese Fragen beriet, erhielt er gegen 16.45 Uhr die Information, dass die CS und die UBS sich zu den neuen Bedingungen hatten einigen können.» Damit war der Weg frei für die Übernahme der CS durch die UBS. Um 19.30 Uhr fand die Medienkonferenz statt. Später am Abend, um 22 Uhr, verfügte die Finma die Abschreibung der AT1-Anleihen.