Kaum ein Begriff hat eine steilere Karriere hingelegt als Greenwashing. In den vergangenen 12 Monaten tauchte das Wort in 1855 Medienberichten auf. Gegenüber dem gleichen Zeitraum ein Jahr zuvor entspricht das fast einer Verdreifachung. Im Vergleich zu Mai 2018/19 haben sich Erwähnung mehr als verzehnfacht. Im Jahr 2014 erschienen lediglich 18 Artikel zum Thema, wie eine Auswertung der Schweizer Mediendatenbank ergibt.
Was ist da geschehen? Zum Begriffshype hat zu einem grossen Stück die Klimajugend beigetragen. Greta Thunberg wird am häufigsten in Zusammenhang mit Greenwashing in den letzten 12 Monaten erwähnt. Über die junge schwedische Schülerin und ihren "Schulstreik fürs Klima" berichteten Schweizer Medien erstmals im Dezember 2018. Wie man auf Twitter sehen kann, ist die Ikone der Klimabewegung auch drei Jahre später noch am Streiken. Der Schulstreik befindet sich mittlerweile in der Woche 194.
School strike week 194. #FridaysForFuture #ClimateStrike #PeopleNotProfit #SchoolStrike4Climate pic.twitter.com/6qP2YcPRT1
— Greta Thunberg (@GretaThunberg) May 6, 2022
Ebenfalls sehr oft erwähnt in Zusammenhang mit Greenwashing wird EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und die Chefin des Schweizer Staatssekretariats für internationale Finanzfragen, Daniela Stoffel. Und dann, und das ist interessant, kommt der Genfer Privatbankier Patrick Odier, Teilhaber von Lombard Odier. Prominent vertreten sind auch Finanzminister Ueli Maurer und der Geschäftsführer der Bankiervereinigung, Jörg Gasser.
Der Begriff Greenwashing taucht in der Regel in Zusammenhang mit Finanzthemen auf. Das erstaunt nicht. So ist es die Finanzindustrie, der pauschal vorgeworfen wird, nichts gegen den Klimawandel zu unternehmen, weil sie weiterhin Kredite an Kohle-, Gas- und Mineralölkonzerne vergibt. Der Umstand, dass die meisten Banken in den letzten Jahren begonnen haben, ausgeklügelte Finanzprodukte mit grünem Etikett verkaufen, scheint die Skepsis zusätzlich verstärkt zu haben. "ESG", "Nachhaltigkeit", "Sustainability" – das ist doch alles nur Greenwashing, lautet einer der Vorwürfe.
Der Finanzplatz und die Politik sind herausgefordert. Dass Politiker und Bankenvertreter sich zunehmend zu Greenwashing-Thema äussern, dürfte ein weiterer Grund sein, warum das Wort derart grossen Widerhall in den Medien findet. Der Genfer Bankier Patrick Odier gilt in der Schweiz als Aushängeschild der Sustainable-Finance-Community, der das Thema wie kein zweiter pusht. In die Schlagzeilen brachte Odier ein Film des Westschweizer Fernsehens, in dem Greenwashing-Vorwürfe gegen seine Bank erhoben wurden, wie Tippinpoint berichtete.
Greenwashing ist "vorkommende Praxis"
Auch die Finanzbranche selbst thematisiert den Begriff immer öfter. Letzten Donnerstag lud die Asset Management Association (AMAS) zu einem Mediengespräch und setzte Greenwashing zuoberst auf die Themenliste. Der Tenor ist klar: Will die Branche im Bereich Sustainable Finance führend sein, muss sie Greenwashing glaubhaft bekämpfen. Dabei wird offen zugegeben, dass "Greenwashing auch auf dem Schweizer Finanzplatz eine vorkommende Praxis" darstelle, wie in einem Positionspapier zu lesen ist.
In dem Papier lehnt der Verband jede Form von Greenwashing ab. Doch die Bekämpfung und Aufdeckung von Finanzdienstleistungen und -Produkten, die unter diese Kategorie fallen können, ist komplex. Das macht es Kritikern einfach, pauschal "die Banken" als Klimasünder an den Pranger zu stellen. Für manche Kritiker ist jegliches Investment eine Zementfirma bereits Greenwashing, selbst wenn damit eine Absenkung des CO₂-Ausstosses finanziert würde.
Die AMAS gibt zu bedenken, dass viele Kritiker auf Grundlage unklar definierter und unterschiedlich aufgefasster Begrifflichkeiten argumentieren. Greenwashing sei von individuellen Wertvorstellungen der Anlegerinnen und Anleger geprägt. Diese können sich auch durch wirtschaftliche, gesellschaftliche oder ökologische Entwicklungen sowie geopolitische Ereignisse wandeln.
Als Greenwashing wird gemäss Wikipedia eine PR-Methode bezeichnet, die darauf abzielt, einem Unternehmen in der Öffentlichkeit ein umweltfreundliches und verantwortungsbewusstes Image zu verleihen, ohne dass es dafür eine hinreichende Grundlage gibt. Erstmals aufgetaucht ist der Begriff im Jahr 1986, als der Umweltaktivist Jay Westerveld sich in einem Essay kritisch mit der “Save the Towel”-Kampagne vieler Hotels auseinandersetzte. Mit der Aufforderung, die Tücher mehrmals zu nutzen, appellierten die Hoteliers an das Umweltbewusstsein der Gäste. Den Hoteliers ging es aber nicht um die Umwelt, argumentierte Westerveld, sondern nur darum, Geld zu sparen.
Zeit drängt für eine Regulierung
Wie soll die Asset-Management-Branche darauf reagieren? Um die Integrität und Transparenz von nachhaltig vermarkteten Anlageprodukten sicherzustellen, arbeitet die AMAS an einer "prinzipienbasierten freien Selbstregulierung" für nachhaltiges Asset Management, die für die Verbandsmitglieder bindend werden soll. Diese Prinzipien sollen im dritten Quartal vorliegen.
Die Branche befindet sich unter Zeitdruck. Der Bund hat ihr im vergangenen November eine Frist bis Ende 2022 gegeben, um das Greenwashing-Problem zu lösen. Falls es der Finanzbranche nicht gelingt, bis dahin eine tragfähige Lösung zu finden, wird ihr der Bund die Regeln vorschreiben.
Bis eine solche Lösung steht, dürften Schweizer Medien noch viele Artikel zum Thema Greenwashing schreiben.