Digital Assets Briefing
Es droht der Kollaps der grössten Krypto-Börse der Welt – doch niemand scheint es zu kümmern. Die Kurse bleiben stabil. Sogar der Binance-Coin kann seinen Platz verteidigen. Wie ist das möglich?
14. Juli 2023 • Werner Grundlehner

Die weltgrösste Krypto-Börse Binance hat ernsthafte Probleme, doch Investoren in Bitcoin, Ether und anderen digitalen Währungen reagieren anders als bisher. Im Jahr 2022 rutschte der Kryptomarkt in eine schwere Depression – geschuldet war dies vor allem dem Versagen von Krypto-Dienstleistern und dem daraus entstehenden Vertrauensverlust in die gesamte Branche.



Und in den Short Cuts diese Woche:
• Warten auf das Bitcoin-Vermögen von Mt. Cox
• Krypto-Investoren finanzieren USA – wie ist das möglich?
• Der nächste Shitcoin Pump ist in den Startlöchern

Haben Sie eine Frage zu Bitcoin, Tokens und anderen Gspässigkeiten aus der Welt der Kryptos? Digital-Assets-Briefing-Autor Werner Grundlehner beantwortet sie gerne. Schreiben Sie eine E-Mail an gru@tippinpoint.ch.

Viele Beobachter sahen bereits das Ende des noch jungen Sektors. Die Skandale um die Krypto-Börse FTX, Betrügereien auf Plattformen wie Celcius und 3ArrowsCapital sowie die Pleite des Stablecoin-Konstrukts Terra Luna verunsicherten die Investoren, die bereits durch steigende Zinsen und schwächelnde traditionelle Finanzbörsen verunsichert waren. Das liess den Kurs des Bitcoins – der weiterhin die Fieberkurve des Sektors zeichnet – bis zum Jahresende 2022 auf annähernd 15’000 Dollar sinken.

Der Binance-Coin bleibt die Nummer 4

Angeblich zeigen an den Finanzmärkten am Schluss immer die Kurse die Wahrheit. Wenn dem so ist, dann gibt es keine Probleme. Der stets volatile Kryptomarkt zeigt sich überraschend stabil, der Bitcoin hat sich seit Wochen auf über 30’000 Dollar festgesetzt.

Was aber wirklich überraschend ist: Der BNB-Coin, die Krypto-Währung des Binance-Ökosystems, notiert auf dem gleichen Stand wie vor Jahresfrist. Im Jahresvergleich ist das zwar deutlich schlechter als etwa der Bitcoin. Der BNB ist ein sogenannter Discount-Coin, wer ihn einsetzt spart beim Handel auf Binance Gebühren. Mit dem Aufstieg von Binance gewann auch der Coin markant an Wert. Die Binance-Währung bleibt mit einem Marktwert von 39 Milliarden Dollar die viertgrösste Kryptowährung. Dabei liefert Binance seit Monaten eine Negativmeldung an der anderen.

Vor wenigen Tagen haben gemäss dem US-Magazin «Forbes» wichtige Schlüsselfiguren die Kryptobörse verlassen. Unter den Führungskräften sind Patrick Hillmann, Chief Strategy Officer, und Steven Christie, Senior Vice President für Compliance. Der Grund für den Abschied seien die Reaktionen von Binance-CEO Changpeng Zhao auf die laufenden Ermittlungen gegen das Unternehmen durch das US-Justizministerium.

Dieses ermittelt seit 2018 gegen Binance und Changpeng Zaho persönlich. Gerüchte um eine Anklage verdichteten sich im Dezember 2022. Den Gründer könnte gemäss Beobachtern eine Haftstrafe erwarten. Binance ist seit jeher in einer regulatorischen Grauzone unterwegs. Für das Unternehmen lag Wachstum eher im Vordergrund als regulatorische Klarheit. Diese Strategie wurde zwar in den vergangenen Jahren etwas angepasst, doch das Unternehmen geriet trotzdem immer mehr ins Fadenkreuz der Behörden.

«Ein Netz der Täuschung»

Anfang Juni erfuhr auch die breite Öffentlichkeit von dieser Auseinandersetzung. Die amerikanische Börsenaufsichtsbehörde SEC erhob eine Reihe von Anklagen gegen Binance, die grösste Kryptowährungsbörse der Welt, und ihren CEO Changpeng Zhao. Die 136-seitige Klage wurde bei einem Bundesgericht in Washington DC eingereicht. Neben falscher Handhabung von Kundengeldern soll die Börse Investoren und Aufsichtsbehörden in die Irre geführt und gegen Wertpapiervorschriften verstossen haben.

Binance habe separate US-Unternehmen als Teil eines ausgeklügelten Systems geschaffen, um die US-Wertpapiergesetze zu umgehen, behauptete die SEC und zitierte eine Reihe von Praktiken. «In dreizehn Anklagepunkten werfen wir Zhao und den Binance-Unternehmen vor, in ein weitreichendes Netz von Täuschungen, Interessenkonflikten, mangelnder Offenlegung und kalkulierter Umgehung des Gesetzes verwickelt zu sein», schrieb der SEC-Vorsitzender Gary Gensler in einer Mitteilung.

Ende März hatte schon die US Commodity Futures Trading Commission (CFTC) die Krypto-Börse und ihren Gründer wegen angeblicher Verstösse gegen die Handelsvorschriften verklagt. Die CFTC warf Binance damals vor, die Behörden bewusst hintergangen zu haben. Bereits im Dezember 2022 hatte die französische Mazars Group alle Arbeiten für Binance, Crypto.com und andere Kunden eingestellt.

Die französische Wirtschaftsprüfungsgesellschaft ist auf Kryptogesellschafgen spezialisiert und erstellt sogenannte Proof-of-Reserves-Berichte. Die Märkte liessen sich nach der FTX-Pleite durch diese Dokumente nicht mehr beruhigen. Die Aussagekraft der Berichte war schon zuvor angezweifelt worden, da sie nicht mit einer vollständigen Prüfung vergleichbar sind und nur die Aktivseite erfassen und die Verbindlichkeiten ausblenden.

Absage an Töchter und Abschläge

In den vergangenen Wochen haben verschiedene Länder den Regionalablegern von Binance die Bewilligung zum Handel entzogen. Auch in Deutschland wollte Binance mit eigener Lizenz den Handel aufnehmen. Doch Ende Juni erteilte die Finanzaufsicht Bafin dem Unternehmen eine Absage. Die regulatorischen Anforderungen hatten sich offenbar als zu hoch herausgestellt. In Österreich zog Binance kurz darauf den Lizenzantrag selbst zurück. In Ländern wie den Niederlanden oder Zypern hatte Binance bereits zuvor den Handel selbst eingestellt.

Am Kryptomarkt gibt es weitere Zeichen, dass die Teilnehmer die Lage von Binance doch nicht allzu zuversichtlich einschätzen. So wird der Bitcoin seit wenigen Tagen auf der Börse von Binance USA mit einem Abschlag von bis zu 10% gehandelt. Das scheint ein attraktiver Rabatt zu sein. Doch davon können nur die Wenigsten profitieren. Andere Kryptowährungen werden auf der Plattform ebenfalls mit einem Rabatt gehandelt.

Entkoppelung der Kurse

Der Haken an der Sache ist, dass der Rabatt nur gilt, wenn eine Kryptowährung an der Kryptobörse gegen Dollar gehandelt wird. Die Binance-Nutzer in den USA können aber seit dem 9. Juni keine neuen Dollar mehr einzahlen. Das bedeutet, dass die günstigere Kryptowährung nur mit dem Geld gekauft werden kann, das sich bereits vor der Aussetzung auf dem Konto befand. Die Befürchtung, dass Binance bald keine Dollar-Abhebungen mehr anbietet, hat auch dazu geführt, dass einige Nutzer ihre Kryptowährungen unter dem Marktwert handeln, um ihre Dollar-Positionen zu schliessen. Laut einem Schreiben von Binance an ihre Kunden, sind Dollar-Abhebungen noch bis zum 20. Juli möglich.

Ähnliche Rabatte auf Kryptowährungen und Beendigung der Ein- und Auszahlungen in Landeswährung zeigten sich auch in anderen Regionaltöchter von Binance – etwa in Australien. Die Entkoppelung der Bitcoin Kurse zwischen Binance und andere Börsen ist also kein Rabatt, den es auszunutzen gilt – sondern ein Anzeichen von gravierenden Problemen. Noch bevor bekannt ist, wie Urteil und Sanktionen der US-Behörden ausfallen. Man fragt sich daher, woher die Zuversicht im Ökosystem kommt, wenn der Handel in vielen wichtigen Märkten nicht mehr möglich ist.




Short cuts: News aus der digitalen Welt

Warten auf das Bitcoin-Vermögen von Mt. Cox

Fast zehn Jahre sind seit dem Mt.-Gox-Konkurs vergangen. Die Bitcoin-Börse gab an, dass etwa 750’000 Bitcoin von Kunden und 100'000 eigene BTC gestohlen wurden. Damals entsprach das einem Wert von 473 Millionen Dollar, heute bei einem Kurs von ungefähr 30'000 Dollar werden die 850'000 Coins mit rund 25,5 Milliarden bewertet. Kein Wunder warten Mt.-Cox-Gläubiger gespannt auf Auszahlungen aus den wieder sichergestellten Beständen durch den Treuhänder. Aber auch nicht verwunderlich ist, dass der Kryptomarkt sich Sorgen macht um einen Angebotsschock aus dem Nachlass von Mt. Cox.

Anfangs April teilte Mt. Cox auf der Website mit, dass die Frist für die Gläubiger, ihre Rückzahlungsinformationen zu übermitteln, abgelaufen sei. Zudem hiess es, dass der Treuhänder «die notwendigen Vorbereitungen für die Rückzahlung treffen muss» und dass es deshalb noch einige Monate dauern werde, bis die Rückzahlung beginne. Abgeschossen sollen diese Rückzahlungen aber bereits am 31. Oktober 2023 sein. Das Research des Krypto-Dienstleisters 21shares schätzt das Bitcoin-Guthaben des Mt.-Gox-Treuhänders auf 137’891 Bitcoin, was einem Wert von rund 4,1 Milliarden Dollar entspricht. Es ist als gut möglich, dass der Bitcoin-Kurs, der sich in den vergangenen Wochen um die 30’000-Dollar-Marke etabliert hat, bis Ende Oktober immer wieder unter Druck kommt.

Der nächste Shitcoin Pump ist in den Startlöchern

Aus Sche???e Gold machen, ist ein derber Spruch – und im jungen Krypto-Sektor wird er manchmal zur Realität. Der jüngst Meme-Coin Mr. Hankey spielt ganz bewusst mit dem Ausdruck «Shitcoin». Damit werden Kryptowährungen betitelt, die keinen Nutzen bringen oder Zweck haben und damit keine Daseinsberechtigung aufweisen – ausser einige Spekulanten reich zu machen und anderen hohe Verluste einzubringen. Der letzte Shitcoin, der für Furore und Kurskapriolen gesorgt hatte, war Pepe the Frog. Bekannt wurden Meme-Coins durch den Dogecoin von Elon Musk. Dieser hat sich aber schon fast zur «richtigen» Währung gemausert und wird von einigen Unternehmen – darunter Tesla – als Zahlungsmittel akzeptiert.

Der Mr. Hankey Coin lehnt sich an die erfolgreiche Comedy-Serie «South Park» an. Der Vorverkauf hat gestern begonnen. Krypto-Webseiten schätzen, dass der Coin in der Vorverkaufsphase bescheidene 500’000 Dollar einnehmen wird. Damit soll die Chance auf einen Spekulations-Kursfeuerwerk (Pump) erhöht werden. Die maximale Tokenanzahl von Mr Hankey ist auf 1 Milliarde Stück limitiert. Von diesen Token können 40 % im Vorverkauf erworben werden. Mit Mr Hankey bekommt der Ausdruck «schmutziges Geld» eine neue Dimension. Wir sagen da nur «holy shit»!

Krypto-Investoren finanzieren USA

Es erscheint wie eine ironische Wendung des Schicksals. Immer mehr Krypto-Anleger finanzieren den amerikanischen Staat und damit indirekt den «Feind» – das Fiat-Geldsystem Dollar. Dank der Tokenisierung von US-Staatsanleihen durch Anbieter wie OpenEden, Ondo Finance und Maple Finance sind 2023 mittlerweile annähernd 700 Millionen Dollar in Blockchain-basierten Treasuries investiert worden. Seit die US-Notenbank Fed im März 2022 begann, den Leitzins aggressiv anzuheben, wurde diese Anlageform immer attraktiver.

Mittlerweile bewegt sich der Leitzins auf 5,25 Prozent und neu emittierte Krypto-Staatsanleihen können durchaus mit der Rendite von Defi-Produkten (Decentralize Finance) mithalten. Tokenisierte Staatsanleihen sind nicht mit Kryptowährungen zu vergleichen. Es gibt keinen Wettbewerb um Netzwerkgeschwindigkeit oder Transaktionskosten. Dieser Konkurrenzkampf in der Blockchain-Industrie führt zu viel Spekulation um das beste Projekt und resultiert in hoher Volatilität. Die Tokenisierung macht den Kauf und Verkauf rasch und günstig. Laut einer Studie des Asset Managers Bernstein könnte dieser Sektor in den nächsten fünf Jahren einen Marktwert von 5 Milliarden erreichen.

MEHR ZUM THEMA


Digitale Franken-Klone bedrohen die Vormachtstellung der Nationalbank

Die Stablecoin-Begeisterung schwappt von den USA in die Schweiz. Wie viele verschiedene Franken braucht das Land? Vorne dabei die ehemalige SP-Ständerätin Pascale Bruderer.
7. Juli 2023

Was sind eigentlich Kryptowährungen - und was sind die vielen Coins?

Es ist nicht so einfach, wie es sich die US-Börsenaufsicht macht: «Coins sind Wertschriften oder eben nicht». Es ist viel komplizierter. Der Versuch einer Einordnung.
30. Juni 2023

Der Bitcoin ist dabei, die traditionelle Finanzwelt zu infiltrieren - dank Larry Fink

Bitcoin wird zum Gewinner des Angriffs der US-Behörden auf den Krypto-Bereich. Traditionelle Finanzinstitute versuchen, die junge Industrie zu vereinnahmen. Der Bitcoin notiert wieder über 30’000 Dollar.
23. Juni 2023

Wirtschaftsprüfer von Binance und Crypto.com setzt Arbeiten aus

Es ist ein weiterer Schlag für die Krypto-Branche: Die französische Mazars Group will bis auf Weiteres keine Vermögenswerte mehr prüfen.
16. Dezember 2022