Digital Assets Briefing
Hinter Bitcoin bringen sich andere Blockchains in Stellung. Wer hat das Ökosystem der Zukunft? Ralf Kubli und Marc Baumann sind zwei Schweizer Kryptoexperten – und völlig unterschiedlicher Meinung.
12. Juli 2024 • Werner Grundlehner

Wer von Krypto spricht, meint in erster Linie den Bitcoin – manchmal kommt noch Ethereum dazu. Oft werden die beiden grössten «digitalen Währungen» verglichen – bezüglich Wert, Transaktionsgeschwindigkeit, Prüfverfahren und Anwendungsmöglichkeiten. Doch das ist ein wenig sinnvoller Vergleich, weil die beiden Plattformen bezüglich Technologie und Verwendungszweck unterschiedlich sind. Angebrachter wäre es, Ethereum und Solana miteinander zu vergleichen, was Investoren in den vergangenen Monaten auch vermehrt gemacht haben.



Und in den Short Cuts diese Woche:
• Konnichiwa Bitcoin!
• Trump spricht an Bitcoin-Konferenz


Ethereum und Solana haben sich in den vergangenen Jahren zu zentralen Säulen der Krypto-Welt entwickelt. Beide Blockchains bieten Plattformen für dezentrale Anwendungen (dApps) und Smart Contracts, doch ihre technischen Ansätze und Philosophien unterscheiden sich stark. In letzter Zeit scheint Solana dem Platzhirsch Ethereum den Rang abzulaufen, da die kostengünstige und schnelle Chain zum Liebling vieler Kleinanleger geworden ist. Sie klettert scheinbar unaufhaltsam von einem Kurshoch zum nächsten.

Der Vergleich von unterschiedlichen Blockchains sei durchaus sinnvoll, sagt Marc Baumann, Krypto-Experte und Gründer von FiftyOne Ventures. «Firmen und Technologien, die die unterste Schicht des Infrastruktur-Stacks kontrollieren, sind oft sehr profitabel, da sie grundlegende Standards setzen und entscheidenden Einfluss auf das gesamte Ökosystem haben», ergänzt der Experte. Ein Vergleich mit der frühen Internetzeit verdeutliche die Dynamik dieser Konkurrenz: Ähnlich wie verschiedene Netzwerktechnologien und Webbrowser um die Vorherrschaft rangen, konkurrieren Ethereum und Solana um Entwickler, Nutzer und Marktanteile.

Zweifel an Solana

Dem widerspricht Ralf Kubli Tokenisierungsexperte, Vorstandsmitglied bei Casper Association und Berater von Nucleus Finance heftig. Ein Vergleich macht aus seiner Sicht keinen Sinn: «Solana ist eher zentralisiert und die gesamte Infrastruktur ist stark reglementiert».

Kubli betont die Herausforderung grosse Ökosysteme erfolgreich auszubauen. Viele Projekte werden von den Blockchains stark unterstützt. «Ob die einen Nutzen oder Bestand haben, ist zweifelhaft», fügt er an. Er sehe viele junge Programmierer, die in dieses System hineinkommen, weil das Upside des Tokens verlockend sei. «Viele davon werden wieder verschwinden, wenn die Tokens der jeweiligen Projekte an Wert verlieren. Da ist Ethereum eine Ausnahme unter den grossen Blockchains, denn dort gibt es einen Visionär, der die Leute bei der Stange hält, wenn es schwierig wird», sagt Kubli.

Entspricht der Wert dem Nutzen?

Es stellt sich die Frage, ob der Wert der Blockchain ein sinnvoller Indikator ist, um das Potenzial eines Netzwerks einzuschätzen. «Die kurz- und mittelfristige Wertentwicklung hat so gut wie gar nichts mit dem Ökosystem zu tun», sagt Lucas Betschart von 21Analytics. Das sehe man gut im Vergleich der historischen Charts in den Jahren 2013 bis 2023. In der Rangliste der wertvollsten zehn Blockchains mit dem grössten Wert würden die Altcoins kommen und gehen. «Nur der Bitcoin bleibt immer auf Platz 1.»

Die Werteentwicklung der Token sei nur bedingt ein guter Indikator, um festzustellen, ob sich ein Ökosystem durchsetzt oder nicht, glaubt auch Marc Baumann. «Wichtig sind auch Nutzer- und Entwickleraktivität, Transaktionsvolumen und -häufigkeit, Netzwerkstabilität und Sicherheit, Community-Engagement und regulatorische Akzeptanz», erklärt er. Die Zulassung des Ethereum ETF in den USA im Mai sei ein grosser Schritt zur Legitimation von Krypto bei institutionellen Investoren gewesen. Noch bedeutender sei, dass Ether als Rohstoff und nicht als Wertpapier klassifiziert werden dürfte.

Ethereum-ETF werden gemäss Baumann als «Commodity-Based Trust Shares» (CBTS) genehmigt. Diese regulatorische Klassifizierung unterscheidet diese ETF von traditionellen Wertpapier-ETF. Solana wurde von der SEC noch nicht klassifiziert. Solche Unterschiede könnten Ethereum einen entscheidenden Legitimationsvorsprung geben. Ralf Kubli sieht jedoch nicht ein, was ein ETF – positiv oder negativ – für einen Einfluss auf die Entwicklung und die Anwendungen auf der Blockchain haben soll. «Ich sehe ein grosses Risiko, dass die Nützlichkeit der Tokens problematisch wird, wenn der Preis, Nachfrage oder Scarcity vom Kapitalmarkt bestimmt wird», fügt er an.

Ethereum Marktführer bei DeFi und NFT

Ethereum ist die marktführende Infrastruktur für dezentrale Applikationen, Decentralized Finance (DeFi) und NFT (Non Fungible Tokens). Grundlage von Ethereum ist eine virtuelle Maschine, auf der Wenn-Dann-Funktionen (sogenannte Smart Contracts) automatisch ausgeführt werden. Die Transaktionen auf Ethereum werden von einem grossen Netzwerk aus Teilnehmern dezentral verwaltet und validiert. Solana auf der anderen Seite ist eine besonders skalierbare Computing-Plattform zum Ausführen von Smart Contracts. Durch technische Besonderheiten wie die Kombination aus Proof of Stake und Proof of History kann eine sehr hohe Anzahl von Transaktionen pro Sekunde durchgeführt werden, bei sehr niedrigen Netzwerkgebühren. Deshalb gilt Solana auch als einer der stärksten Ethereum-Konkurrenten.

Investoren stellen sich die Frage, wer langfristig die besseren Chancen hat, den Wettstreit für sich zu entscheiden? Das müsste sich zwangsläufig auch im Wert der Token und damit im Vermögen der Investoren niederschlagen. Um das zu entscheiden, ist ein Blick auf die Blockchain-Architektur hilfreich. Diese beschreibt, wie eine Blockchain aufgebaut und strukturiert ist, um Daten zu speichern und zu verwalten. Das umfasst die technischen Komponenten und Mechanismen, die dafür sorgen, dass Transaktionen sicher, effizient und dezentral verarbeitet werden können.

Ein oder zwei Layer

Ethereum nutzt eine modulare Architektur, die durch sogenannte Layer-2-Lösungen, die Skalierbarkeit des gesamten Ethereum-Ökosystems verbessert. Diese Lösung entlastet die Haupt-Blockchain (Layer 1) und erhöht die Transaktionsgeschwindigkeit, während sie die Kosten senkt. Solana verfolgt einen anderen Ansatz. Die gesamte Infrastruktur ist auf einem einzigen Layer (L1) aufgebaut. Solana verwendet den Proof of History (PoH), um die Reihenfolge der Transaktionen effizient zu verifizieren und so die Gesamtleistung zu steigern.

Die Architektur von Ethereum ermöglicht es, eine hohe Anzahl von Transaktionen zu verarbeiten, ohne die Haupt-Blockchain zu überlasten. Die modulare Struktur bietet zusätzliche Sicherheit, da Layer-Transaktionen Off-Chain eigenständig verarbeitet werden, was die Haupt-Blockchain vor Überlastung schützt. Durch die modulare Architektur können sich Layer-2-Netzwerke auf bestimmte Blockchain-Anwendungen spezialisieren (NFTs, Gaming, Real World Assets, Trading), was eine breite Palette von DeFi-Anwendungen und anderen dApps ermöglicht.

Das führt aber auf der Mainchain von Ethereum zu hohen Transaktionskosten, da die Hauptblockchain nicht direkt skaliert ist, sondern die Netzwerkaktivität auf dem Layer 2 abwandert, da diese kostengünstiger sind. Zudem ist Ethereum im Vergleich zu neueren Blockchains langsamer, was zu längeren Wartezeiten führen kann. Die modulare Struktur führt zur Fragmentierung des Kapitals auf verschiedenen Layern, was das gesamte Ökosystem ineffizienter macht. Die Aufteilung der Liquidität sorgt dafür, dass die verschiedenen Layer einander kannibalisieren. Ethereum profitiert nicht im gleichen Masse von der Netzwerkaktivität auf Layer-2-Lösungen wie von der Aktivität auf der Haupt-Blockchain. Anwender müssen sich durch ein komplexes System navigieren, was die Benutzerfreundlichkeit beeinträchtigt.

Zuverlässigkeit lässt noch zu wünschen übrig

Solana glänzt dagegen mit einer hohen Transaktionsgeschwindigkeit: Die Blockchain kann theoretisch bis zu 65’000 Transaktionen pro Sekunde verarbeiten, was deutlich schneller ist als die Ethereum Mainchain. Die Verwendung eines einzigen Layers vereinfacht die Architektur und kann die Entwicklung und Wartung von Anwendungen erleichtern. Das ist aber auch mit Nachteilen verbunden, etwa mit einer geringeren Dezentralisierung, welche die Risiken erhöht. Die Blockchain hat im Vergleich mit Ethereum eine geringere Anzahl an Validatoren. Das beeinträchtigt die Widerstandsfähigkeit des Netzwerks gegen Angriffe und Manipulationen. Weil Solana deutlich jünger ist als die Konkurrenz-Blockchain, ist ihre Sicherheit und Stabilität weniger getestet. Ethereum verfügt dagegen über eine grössere Community, die zur Verbesserung der Netzwerksicherheit beiträgt.

In den vergangenen Monaten kam es zu mehreren Abstürzen der Solana-Blockchain. Das macht das Netzwerk (noch) unattraktiv für grosse DeFi-Anwendungen, die auf hundertprozentige Zuverlässigkeit angewiesen sind. Wegen dieser Instabilität wird Solana momentan in deutlich geringerem Mass von grossen Playern genutzt, die auf hohe Sicherheitsstandards und konstante Verfügbarkeit angewiesen sind. Die Kursrally in den vergangenen Monaten war vor allem vom Hype der Memecoins getrieben, die viele als nutzlose Spielerei ansehen. Die steigende Netzwerknutzung hat Stabilität und Effizienz der Solana Blockchain in Mitleidenschaft gezogen, zudem zogen die Transaktionskosten deutlich an.

Innovator oder Betrüger?

«Solanas Meme-Coin-Rally und Ausfälle sind kein Makel, sondern Teil ihrer Identität», sagt Marc Baumann. Die «Move Fast and Break Things»-Philosophie fördere Innovation und ziehe eine lebendige Community an, berge aber auch Risiken. Solana positioniere sich als experimentelle Plattform, auf der auch Meme-Coins ihren Platz haben. Die Ausfälle sind gemäss Baumann zwar ein Problem, das angegangen werden muss, aber sie sind auch ein Zeichen für Solanas rasante Entwicklung und Risikobereitschaft. «Langfristig muss Solana jedoch Stabilität beweisen, um als seriöse Layer 1 Blockchain wahrgenommen zu werden», ergänzt der Experte.

Das sieht Ralf Kubli anders: «Der Meme-Coin Hype ist ein Problem für die ganze Industrie. Es haben Tausende von jungen Leuten ihre ganzen Ersparnisse verloren, das ist ein Riesenproblem. Auf den Kanälen von diversen Communities verschiedener Blockchains sei eine «regelrechte Shitshow» im Gang, weil sich so viele Leute über fragwürdige Projekte beklagen die rasch und dramatisch an Wert verlieren.

Auch der Bitcoin kann mehr

Doch kommt es überhaupt zum High-Noon-Duell von Ethereum und Solana? In den vergangenen Monaten kam es bei der Ur-Blockchain Bitcoin rund um den BRC-20-Token-Standard, Ordinals und Runes zu Entwicklungen, die das Geschäftsmodell von Ethereum und anderen Altcoin-Chains herausfordern könnte, weil so der Betrieb und die Erstellung von NFT auf dem Bitcoin-Netzwerk möglich gemacht wurden – vorerst zum Preis von stark steigenden Transaktionskosten.

«Obwohl Runes und Ordinals Bitcoin neuen Aufschwung geben und die Bitcoin-Maxi-These stärken, indem sie neue Anwendungsfälle ermöglichen, ist eine Dominanz im Smart Contract- und DeFi-Bereich aufgrund bestehender Herausforderungen wie Skalierbarkeit und Gebühren unwahrscheinlich», sagt Marc Baumann. Bitcoin werde eher eine Nische besetzen, während Ethereum seine starke Position beibehalte. Beide Blockchains werden wahrscheinlich koexistieren und sich auf ihre jeweiligen Stärken konzentrieren.

Er gehe davon aus, dass Bitcoin wrapped BTC (Bitcoins auf anderen Layer-1-Blockchains) Smart Contracts und DeFi dominieren werden, weil die Stablecoins regulatorische Schwierigkeiten bekämen, sagt dagegen Lucas Betschart. «Dann ist es wieder wie früher: Alles wird gegen Bitcoin getraded. Bitcoin wird wieder zur Leitwährung der ganzen Kryptoindustrie».

Kubli erachtet Defi-Anwendungen nur als «Nischengeschichte», bis algorithmisch definierte Finanzkontrakte auf DLT verfügbar seien. Vorher gebe es nur simple Commodity-basierte Instrumente auf der Blockchain. Dazu zählt Kubli Kryptowährungen wie Ether und Bitcoin. «Es geht um die Frage, was am sichersten ist, um Wert auszutauschen». Das sei der Bitcoin und nicht Solana mit Zentralisierung und fragwürdiger Technologie.




Short cuts: News aus der digitalen Welt


Konnichiwa Bitcoin!

Der japanische Tech-Riese Sony steigt in den Kryptowährungsmarkt ein. Das Unternehmen hat angekündigt, dass es Whalefin, eine Krypto-Börse, die Sony 2023 mit der Amber Group erworben hat, mit neuen Anwendungen wiederbeleben werde. Das gesamte Angebot der Muttergesellschaft Amber Japan wird in S.BLOX umbenannt. Während Sony bereits zuvor durch verschiedene Investitionen und Kooperationen Interesse an Web3 gezeigt hat, stellt diese Akquisition das bisher direkteste Engagement im Kryptowährungssektor dar. Das Unternehmen hat sich mit Astar Network für ein Web3-Inkubationsprogramm zusammengetan und ein Patent für plattformübergreifende NFT-Transfers in Spielen angemeldet. Während sich der japanische Yen im freien Fall gegenüber dem Dollar befindet, scheint das Interesse japanischer Unternehmen an Kryptowährungen zu steigen. Das zeigt sich neben dem japanischen Milliardenkonzern Sony auch durch die kleinere Aktiengesellschaft Metaplanet, die jetzt auf eine Bitcoin-Strategie setzt. Krypto-Börsen haben in Japan mit Geistern zu kämpfen, vor über zehn Jahren stellte das Land mit Mt.Gox die grösste Bitcoin-Börse, bis diese aufgrund von Hacks kollabierte.

https://www.nasdaq.com/articles/sony-nyse-sony-prepares-cryptocurrency-exchange-shares-rally

Trump spricht an Bitcoin-Konferenz

Der amerikanische Ex-Präsident und aktuelle Päsidentschaftskandidat Donald Trump wird als Sprecher an der diesjährigen «Bitcoin 2024» auftreten. Das gab der Organisator der Messe auf X bekannt. Der republikanische Kandidat soll am 27. Juli, dem letzten Tag der Konferenz, in Nashville, im Bundesstaat Tennessee, für 30 Minuten eine Rede halten. Trump dürfte versuchen, neue Wählergruppen innerhalb der Krypto-Szene für sich zu begeistern. Die Community ist bezüglich der plötzlichen «Krypto-Liebe» von Trump aber tief gespalten. Für diesen Wahlkampf akzeptierte er Spenden in Kryptowährungen, umwirbt die Mining-Industrie, spricht sich für bessere regulatorische Bedingungen für die Industrie aus und erteilte einer amerikanischen CBDC (digitale Notenbankwährung) eine Abfuhr. Doch vielen ist nur zu gut in Erinnerung, dass Trump in seiner Amtszeit zwischen 2017 und 2021 ein erbitterter Gegner von Bitcoin & Co war.