Es ist ein überstürzter Rückzug von der Börse: Am Donnerstag hat der Verwaltungsrat von Swiss Steel beschlossen, den traditionsreichen Stahlkonzern von der Börse zu nehmen. Bereits in 20 Arbeitstagen – der kürzestmöglichen Frist – sollen die Aktionäre über den Antrag abstimmen. Der Entscheid gilt als reine Formsache, denn Investor Martin Haefner kontrolliert das Unternehmen mit knapp zwei Dritteln der Stimmen.
Warum hat es der Verwaltungsrat so eilig? Warum wartet er nicht bis zur ordentlichen Generalversammlung, die nur zwei Monate später stattgefunden hätte? Wirklich stichhaltige Gründe kann das Unternehmen nicht nennen. Eine Sprecherin sagt, der Rückzug sei das Ergebnis «strategischer Überlegungen». «Mit diesem Schritt wollen wir die Ressourcen der Swiss Steel Group gezielt auf die Fortsetzung unseres Restrukturierungsprogramms und die langfristige Stärkung des Unternehmens fokussieren», sagt sie.
Ein weiterer Grund dürfte die angespannte finanzielle Situation sein. Das Unternehmen stecke weiterhin in Schwierigkeiten, sagt ein Bankeninsider. Das vergangene Jahr dürfte erneut mit einem Millionenverlust enden, was angesichts der schlechten Halbjahreszahlen nicht verwundere. Die Verluste fressen das Eigenkapital auf, die Bilanz gerät immer mehr in Schieflage. «Spekulationen kommentieren wir grundsätzlich nicht», sagt die Swiss-Steel-Sprecherin dazu.
Börsenrückzug schon im Juni?
Der Stahlkonzern hat bei einem Bankenkonsortium einen Kredit von über 220 Millionen Franken ausstehend, der dieses Jahr ausläuft. Die Bankengruppe, unter anderem mit UBS/CS und J.P. Morgan, sollen mächtig Druck machen. Grossaktionär Martin Haefner werde noch einmal frisches Eigenkapital in das Unternehmen pumpen müssen, sagt ein Vertreter der Finanzbranche. Das müsse nicht unbedingt eine klassische Kapitalerhöhung sein, sondern könne auch in Form eines Darlehens geschehen, das später in Aktien gewandelt werde.
Wenn es schnell geht, könnte Swiss Steel schon im Juni von der Börse genommen werden. Dann wird es für Haefner einfacher, frisches Geld ins Unternehmen zu pumpen. Er kann sich dann Kosten für den Emissionsprospekt und andere Bankgebühren in Millionenhöhe sparen. Und: Wenn Swiss Steel nicht mehr an der Börse ist, erfährt die Öffentlichkeit nie die genauen Konditionen – ganz im Sinne des öffentlichkeitsscheuen Amag-Erben.
Mit dem Ergebnis, dass das Unternehmen ein Jahr später kaum weiter ist und wieder Geld braucht. Die Unternehmenssprecherin sagt dazu: «Spekulationen über mögliche zukünftige Massnahmen kommentieren wir nicht. Unser Fokus liegt weiterhin darauf, unser Restrukturierungsprogramm erfolgreich umzusetzen und die finanzielle und operative Stabilität des Unternehmens zu stärken.»
Die letzte Kapitalerhöhung von April 2024 dürfte dem früheren Mathematiklehrer noch in den Knochen stecken. Damals kam es zu einem heftigen Zerwürfnis zwischen Peter Spuhler (66) und ihm. Spuhler wollte nur frisches Geld einschiessen, wenn sein Sanierungsplan – inklusive Absetzung des Verwaltungsratspräsidenten – umgesetzt würde. Dafür wollte Haefner nicht Hand bieten. Er vertraute der bestehenden Führungscrew und musste die Kapitalerhöhung von 300 Millionen Euro allein stemmen.
Gewerkschaften kritisieren Haefner
Die Geschäftsleitung sieht die Ursachen der Probleme vor allem in externen Faktoren. Die europäische Industrie befinde sich in einem «anspruchsvollen wirtschaftlichen Umfeld», von dem auch die Stahlbranche betroffen sei. Die Produktionsniveaus seien europaweit rückläufig, so die Konzernsprecherin. Eigenes Managementversagen sieht man hingegen nicht. Die Zeche zahlen die Mitarbeitenden: Konzernweit sollen 800 Stelle abgebaut werden, allein in Emmenbrücke LU sind es 130 Stellen. Es soll zu 50 Entlassungen kommen.
Die Gewerkschaften machen Druck und nehmen vor allem Hauptinvestor Haefner ins Visier. Sie werfen ihm vor, sich zu wenig zu engagieren. «Martin Haefner muss als Mehrheitsaktionär endlich Verantwortung übernehmen und sich der Belegschaft stellen», fordert Matteo Pronzini von der Gewerkschaft Unia. Es sei unverständlich, dass Haefner, der sich gerne als Philanthrop gebe, zahlreiche Stellen abbaue – darunter viele von Frauen. Pronzini spielt damit auf die 2024 gegründete Martin+Marianne Haefner Stiftung an, die sich unter anderem für Frauenanliegen einsetzt.
Der Gewerkschafter kritisiert auch die hohen Bezüge der Manager und Verwaltungsräte von Swiss Steel. CEO Frank Koch erhielt 2023 2,9 Millionen Franken, davon 1,2 Millionen als Fixgehalt. Der glücklose Verwaltungsrat Jens Alder, bis Herbst Präsident und heute Vizepräsident des Gremiums, bezog ein Honorar von 500’000 Franken. «Es passt nicht zusammen, dass das Topmanagement Millionensaläre kassiert, das Unternehmen aber nicht bereit ist, den geltenden Sozialplan umzusetzen», sagt Pronzini, der bei der Unia für die MEM-Industrie zuständig ist.
Peter Spuhler, der auf dem Papier noch 10,11 Prozent an Swiss Steel hält, kann die jüngste Entwicklung gelassen verfolgen. Vor einem Jahr hat er sich das Recht gesichert, sein Paket zu einem Fixpreis von 55 Millionen an Martin Haefners Firma Bigpoint zu verkaufen. Ein Stadler-Rail-Sprecher sagt jedoch, der geplante Rückzug von der Börse habe auf diese sogenannte Put-Option «keinen Einfluss».