Financials
Letztes Jahr verpflichteten sich die meisten grossen Banken der Welt, aus der Finanzierung von CO₂-intensiven Branchen auszusteigen. Jetzt zeigt sich: Sie haben die Kreditschleusen wieder geöffnet.
17. Oktober 2022 • Beat Schmid

Der Krieg in der Ukraine und die Sanktionen des Westens gegen Russland haben die Karten im Energiemarkt neu gemischt. Gemäss Daten von Bloomberg ist die weltweite Kreditvergabe der Banken an Unternehmen aus dem fossilen Brennstoffsektor in den ersten neun Monaten dieses Jahres um 15 Prozent auf über 300 Milliarden Dollar gestiegen, verglichen mit dem gleichen Zeitraum im Jahr 2021.

Gemäss den Bloomberg-Zahlen verdienten die Banken in den ersten drei Quartalen mehr als 1 Milliarde Dollar mit fossilen Krediten. Das entspricht der Summe, die sie im ganzen letzten Jahr eingenommen hatten.

Die Öffnung der Kreditschleusen der Banken steht im Widerspruch zu den Versprechungen, die sie im letzten Herbst an der Klimakonferenz COP26 abgegeben haben. Die Wall-Street-Banken J.P. Morgan, Bank of America und Morgan Stanley haben sich in Schottland verpflichtet, ihre Bankbilanzen bis 2050 vollständig zu entkarbonisieren.

Wegen “Race to Zero” kam es fast zum Eklat

Sie taten dies durch ihre Mitgliedschaft in der Glasgow Financial Alliance for Net Zero (GFANZ), einer Gruppe von rund 500 Finanzinstituten, die an der COP26 gegründet wurde. Vor wenigen Wochen zirkulierten Gerüchte, J.P. Morgan, Bank of America, Morgan Stanley sowie die spanische Santander wollten der GFANZ den Rücken kehren.

Die Wogen mögen sich wieder geglättet haben. Ein Grund könnte sein, dass die GFANZ sich formell von der Untergruppe "Race to Zero" distanziert hat. Diese forderte Anfang Jahr verbindliche Beschränkungen für die Finanzierung fossiler Brennstoffe. Die Gruppe sah dies als Notwendigkeit, um die Glaubwürdigkeit der Netto-Null-Ziele zu erhöhen.

Das wiederum passte vielen Banken nicht. Scheinbar hatten einige Banken ein Problem damit, dass sie mit ihrer Mitgliedschaft Massnahmen hätten umsetzen müssen, die beim Klimaschutz zum Teil über die gesetzlichen Vorgaben hinausgingen. Anwälte warnten vor potenziellen Klagen von Umweltorganisationen oder aktivistischen Investoren, die sofort zuschlagen würden, wenn eine Bank die Versprechungen nicht einhält.

Die GFANZ präzisierte Anfang Oktober, dass jede ihrer Untervereinigungen nur ihren eigenen Führungsstrukturen unterliege, was den GFANZ-Mitgliedern im Wesentlichen die Freiheit gibt, die Vorschläge von "Race to Zero" zu ignorieren. Die GFANZ erkläre zudem, dass sie keine Anzeichen sehe, dass Mitglieder beabsichtigen würden, die Gruppe zu verlassen. Ähnlich tönte es, als Tippinpoint bei den beiden Schweizer Grossbanken nachfragte, die ebenfalls Mitglieder der GFANZ sind.

Vor einem Jahr war die Welt eine andere

Die GFANZ-Mitglieder haben sich freiwillig verpflichtet, Treibhausgasemissionen bis 2050 vollständig aus ihren Bilanzen zu streichen. Einige Banken mögen sich im vergangenen Jahr unter Druck gesetzt gefühlt haben, der GFANZ beizutreten.

Damals war die Welt noch eine andere. Es gab keinen Krieg und keine Sanktionen (Russland stellte an der COP26 eine der grössten Delegationen). Die Märkte waren in Festlaune.

Mit dem Rückzieher der GFANZ und dem Verbleib der US-Grossbanken in der Organisation blieb Mark Carney, dem Co-Präsidenten der Organisation, womöglich eine grosse Peinlichkeit erspart. Der ehemalige Gouverneur der Bank of England teilt sich das Präsidium mit Michael Bloomberg, dem ehemaligen Bürgermeister von New York und Gründer der gleichnamigen Nachrichtenagentur.

Die GFANZ-Mitglieder vertreten Vermögenswerte im Umfang von 135 Billionen Dollar. Aus der Schweiz sind neben den Grossbanken die Basellandschaftliche und die Berner Kantonalbank dabei. Aus Liechtenstein haben sich drei Banken verpflichtet, LGT, LLB und VP Bank.