Gastkommentar
Die UBS sollte sich jetzt ernsthaft überlegen, die Credit Suisse Schweiz abzuspalten, schrieb Tippinpoint an dieser Stelle. Finanzexperte Adriano Lucatelli sieht es anders: Träume von einer wiederbelebten Credit Suisse lindern zwar den nationalen Phantomschmerz. Bei nüchterner Betrachtung sind sie jedoch wenig sinnvoll, schreibt er in einer Replik.
14. April 2023 • Adriano Lucatelli

Wenn in der Medizin Gliedmassen amputiert werden, kommt es gleichwohl vor, dass der Patient nach dem Eingriff noch für geraume Zeit Schmerzen an Körperteilen empfindet, die gar nicht mehr vorhanden sind. Der Terminus technicus dafür lautet Phantomschmerz. 

Etwas Ähnliches durchleiden wir derzeit auf kollektiv-helvetischer Ebene anhand der Credit Suisse. Es gibt sie zwar eigentlich nicht mehr und doch schmerzt die Stelle, an der sie sich früher befunden hat. Sie schmerzt so sehr, dass wir uns an ihrer Stelle irgendeine Prothese wünschen.

Ein Ausdruck dieses Wunsches ist der Beitrag von Beat Schmid an dieser Stelle.  "Die beiden UBS-Lenker müssen sich jetzt ernsthaft überlegen, ob sie die CS tatsächlich mit Haut und Haaren fressen oder ob sie den Schweizer Teil nicht wieder abspalten sollen", schreibt er. "Mit einer Abspaltung könnten Kelleher und Ermotti zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen." Ein Verkauf oder Börsengang könnte nämlich, so Schmid, "rund 10 Milliarden Franken einbringen". Für ihre Aktionäre könne die UBS im Schnelldurchlauf 7 Milliarden Franken generieren (geschätzter Börsenwert der Schweizer Einheit minus Kaufpreis) und gleichzeitig würde die "aufgebrachte Volksseele besänftigt". 

Laut Inside-Paradeplatz hegt die UBS tatsächlich Pläne, Teile der Credit Suisse als «Unternehmerbank» bald wieder an die Börse zu bringen. In meinen Augen sind solche Planspiele unergiebig. Was sind denn die konkreten Möglichkeiten und was würden sie bedeuten? 

1. Weitgehend komplette Abspaltung der früheren Credit Suisse von der UBS mittels Börsengang

Das wäre ein Ding der Unmöglichkeit. Das Vertrauen in die Werthaltigkeit der Credit-Suisse-Bilanz ist an den Finanzmärkten erschöpft. Keine Zauberei und kein Marketing können es wiederherstellen. Es sei denn, die UBS würde alle riskanten Positionen, abgefedert durch die Staatsgarantien, bei sich behalten und ausschliesslich die werthaltigen Teile des Geschäfts neu an die Börse bringen.

Aber warum sollte sie dies tun? Es käme einer Rückabwicklung der ganzen Übernahme-Übung gleich, wobei die UBS als «Bad Bank» für die möglicherweise toxischen Restanzen in der Pflicht bliebe. Trotz staatlicher Abfederung ist das keine Rolle, die (zu Recht!) irgendjemandem bei der UBS behagen würde. Der Ertrag stünde in keinem Verhältnis zum Risiko. Und offen wäre die Frage, ob die «gesunden» Teile der Credit Suisse auf sich allein gestellt attraktiv und erfolgversprechend wären. Die Antwort lautet eher «nein».

2. Abspaltung der Schweizer Einheit der früheren Credit Suisse durch Börsengang

In national orientierten Kreisen ist dies die bevorzugte Variante. Dabei wird aber verkannt, dass das Schweizer Geschäft der Credit Suisse nur dank internationalen Finanzdienstleistungen (inklusive globalem Investment Banking) recht erfolgreich war. Wer braucht eine weitere lokale Bank, die ausser Sparkonti, Depots und Hypotheken nicht viel zu bieten hat?

In diesen Bereichen gibt es genügend inländische Player von Postfinance über Raiffeisen, UBS und Kantonalbanken, die in einem gesunden Wettbewerb zueinander stehen. Auf eine Schweizer Credit Suisse als leicht erweiterte Postfinance wartet niemand – schon gar nicht anspruchsvolle Private-Banking-Klientel der Credit Suisse oder globale Firmenkunden.

3. Abspaltung einer sogenannten Unternehmerbank aus den früheren CS-Beständen als neues, börsenkotiertes Unternehmen

Will man Inside-Paradeplatz glauben, ist dies der neueste Schrei. Es wäre gleichzeitig die dümmste aller möglichen Varianten. An Banken, die Private Banking mit Boutique-Lösungen für Unternehmer verbinden, herrscht kein Mangel. Die UBS selbst hat hier Interessantes zu bieten und wird kaum die Filetstücke ziehen lassen.

4. Aufrechterhalten der Credit Suisse als Marke unter dem UBS-Schirm

Was wäre die Kombination aller schlechtesten Varianten. Bei Produktgestaltung, Eigenkapitalbeschaffung und Infrastruktur wäre die UBS im Lead. Die CS wäre nichts anderes als ein verschieden angemalter Bankschalter der UBS. Den Kunden würde mit den beiden Segeln der Credit Suisse eine Eigenständigkeit vorgegaukelt, die real nicht existiert. Wem soll das irgendeinen Vorteil bringen, ausser vielleicht der nationalen Psychohygiene? 

Ich erinnere daran, dass die Credit Suisse selber mit einer solchen «White Labeling»-Lösung einschlägige negative Erfahrungen gemacht hat. Im Jahr 1994 kaufte die CS die Neue Aargauer Bank (NAB). Ursprünglich mit dem Gedanken, das Haus als selbständige Marke im Nordwestschweizer Markt zu erhalten. Das Offering glich sich dem des Mutterhauses an. Aus Kundensicht wurden CS und NAB zunehmend austauschbar. Die vollständige Integration mit dem Verlust von zwei Dritteln der ehemaligen NAB-Filialen war nur eine Frage der Zeit und wurde Ende 2020 vollzogen.

Wie man es auch dreht und wendet: Die Credit Suisse ist tot. Die beste Option für die UBS besteht darin, den Synergie-Case in aller Konsequenz durchzuspielen. Ungeachtet aller Phantomschmerzen.

Adriano Lucatelli ist Finanzexperte sowie Mitgründer und Geschäftsführer von Descartes Finance.

MEHR ZUM THEMA


Die UBS sollte sich jetzt ernsthaft überlegen, die Credit Suisse Schweiz abzuspalten

Mit einem Verkauf oder einem Börsengang der Einheit könnte UBS-Präsident Colm Kelleher zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Ein Kommentar.
13. April 2023