Digital Assets Briefing
In den USA stehen für den Kryptobereich (überlebens-)wichtige Tage an. Doch in der Anklage der Börsenaufsicht gibt es bereits zahlreiche Risse. Die Position des SEC-Chefs hat sich innerhalb von wenigen Monaten komplett verändert.
16. Juni 2023 • Werner Grundlehner

Seit dem Amtsantritt im Frühjahr 2021 fährt der ehemaligen Investmentbanker Gary Gensler an der Spitze der US-Börsen- und Wertpapieraufsicht (SEC) eine Krypto-kritische Politik – die in den vergangenen Monaten gar Krypto-feindlich wurde.



Und in den Short Cuts diese Woche:
• UBS lanciert mit China eine Krypto-Anleihe
• Lebenswichtige Verbesserungen für Ethereum
• Macht Blackrock mit dem Bitcoin-ETF vorwärts?


Vor zwei Wochen reichte die SEC zahlreiche Klagen zuerst gegen die weltgrösste Kryptobörse Binance und einen Tag später gegen Coinbase ein. Neben angeblichen Verfehlungen in der Compliance ist der zentrale Vorwurf, die Börsen hätten mit Wertschriften gehandelt, ohne dafür die Bewilligung als Wertschriftenhändler zu besitzen. Der Hintergrund: Die SEC gab an, dass sie mindestens 68 Token als Wertschriften einstufe – ausgenommen davon sind Bitcoin und Ether.

Ein Lob auf die Blockchain und Algorand

Doch Gensler war nicht schon immer gegen die Krypto-Industrie. Vor seinem Eintritt in die SEC unterrichtete er am MIT – unter anderem auch zur Blockchain-Technologie. Nach seinem Angriff auf die Krypto-Börsen und zahlreiche Kryptowährungen machten in den sozialen Medien Videoaufzeichnungen aus vergangenen Jahren die Runde.

In einem Video aus dem Jahr 2018 hält Gensler an einer Bloomberg-Konferenz für institutionelle Investoren fest, dass es sich bei drei Viertel der Kryptowährungen um «keine Wertpapiere» handle. Dabei meinte der jetzige SEC-Vorsitzende die vier Währungen Bitcoin, Ethereum, Litecoin und Bitcoin Cash, die zu diesem Zeitpunkt rund 70 Prozent des Marktes ausmachten. Viele der jetzt «verurteilten» Währungen wurden erst später lanciert.

In einer Aufzeichnung aus dem Jahr 2019 bezeichnete Gensler Algorand als «grossartige Technologie». Doch dieser Token befindet sich nun auch auf der SEC-Liste der «ohne Erlaubnis gehandelten Wertschriften».

Bitcoin und Ether verloren in den vergangenen Tagen an Terrain, hielten sich als Taktgeber der Krypto-Branche aber verhältnismässig stabil. Die meisten alternativen Layer-1-Kryptowährungen, vor allem jene, die von Gensler explizit als Wertschriften definiert wurden, verloren innerhalb einer Woche bis zu einem Drittel ihres Wertes.

Streit um Regulierungskompetenzen

Genslers Angriff auf die Kryptowährungen scheint eher von politischen Motiven und der Suche nach medialer Aufmerksamkeit als von echtem Anlegerschutz getrieben zu sein. In den USA überwachen verschiedene Regulatoren die Finanzindustrie. Es war lange unklar, wer die Kryptobranche regulieren wird. Während die SEC die Aufsicht über den Wertschriftenhandel hat, liegt der Rohstoffhandel im Zuständigkeitsbereich der Commodity Futures Trading Commission (CFTC).

Wenn es um Währungen und Zahlungen geht, hat auch die Notenbank Federal Reserve mitzureden und selbst das Justizdepartement (DOJ) meldet sich zu Wort, wenn die Gefahr von verdeckten Zahlungen und Geldwäscherei aufkommt. Weil für digitale Assets keine rechtliche Klassifizierung vorherrscht, rangen die Behörden, vor allem SEC und CFTC, seit geraumer Zeit um die Führung in der Krypto-Aufsicht. Gensler war in seiner Karriere auch schon Vorsitzender der CFTC.

Mit seinem jüngsten Vorgehen gegen die Kryptowährungen hat das SEC die Führung an sich gerissen. Unter dem Einsatz des 1933 eingeführten Howey-Tests argumentiert Gensler, dass «so gut wie alle» Kryptowährungen als Wertpapiere eingestuft werden müssten. Dies steht im Kontrast zu der Position der CFTC, die einige digitale Assets als Rohstoffe reguliert.

Gensler blieb auch nach seinem Antritt als SEC-Chef gegenüber Kryptowährungen zwiespältig. Noch 2022 sagte Gensler dem Kongress, er brauche eine Gesetzgebung zur Regulierung der Digital-Asset-Industrie. Im laufenden Jahr meinte er jedoch, er brauche ein solche nicht. In einem Untersuchungsausschuss im Repräsentantenhaus zum Vorgehen der SEC im Krypto-Sektor am 18. April gab der SEC-Chef keine eindeutige Antwort auf die explizite Nachfrage, ob Ether, die zweitgrösste Kryptowährung, ein Wertpapier sei. «Eigentlich sind alle Wertpapiere Waren im Sinne des Commodity Exchange Act», wich der SEC-Chef aus.

Eine Bewerbung bei Binance?

Zuvor hatte er mehrfach angedeutet, dass er alle Kryptowährungen, die auf dem Proof-of-Stake-Konsensmechanismus basieren, als Wertpapiere ansieht. Seit vergangenem Jahr vertraut auch die Ethereum-Blockchain auf diesen Prüfmechanismus. In einem Interview mit dem New York Magazin im Februar war Gensler eindeutig. Alle Kryptowährungen «ausser Bitcoin» würden in den Zuständigkeitsbereich der SEC fallen.

Verteidigungsstrategie oder eine Geschichte eines Wandels? Die Anwälte von Binance behaupten, der aktuelle SEC-Chef habe sich im Jahr 2019 um ein Beratungsmandat bemüht. Laut den Anwälten soll sich Gary Gensler auch mit Binance-CEO Changpeng Zhao in Japan zum Essen getroffen haben. Dazu sollen die Anwälte dem Gericht Dokumente eingereicht haben. Im März dieses Jahres publizierte das «Wall Street Journal» eine andere Version dieser Geschichte. So sei Binance damals auf Gensler zugekommen, nicht andersherum. Die Zeitung beruft sich auf interne Chats und Insider, die dem SEC-Chef angeblich nahestehen.

Das Hin und Her von Gensler beunruhigt zahlreiche Marktteilnehmer. Es geht auch darum, ob die USA in einer Wachstumsbranche den Anschluss verpasst. Wandern bestehende Krypto-Dienstleister und noch zu gründende Start-ups ins Ausland ab? Auch in den eigenen Reihen wächst die Kritik am SEC-Vorsitzenden und Beamte verlangen klare Richtlinien für Krypto-Firmen – so wie es etwa Coinbase und andere Anbieter schon mehrmals von der Börsenaufsicht gefordert hatten.

Auch der Umgang mit den Unterlagen des SEC-Direktor Bill Hinman unterstreicht die interne Zerrissenheit. Vor fünf Jahren erklärte Himan in einer Rede an einem Finanzkongress, dass die beiden grössten Kryptowährungen, allen voran Ethereum, keine Wertpapiere seien. Er begründete, dass mit dem dezentralen Netzwerk hinter den Token. Die Rede wollte die SEC unter Verschluss halten – was ihr auch lange gelang.

Republikaner wollen neue SEC-Organisation

Vor allem aus den Reihen der Republikaner nimmt die Kritik am amtierenden SEC-Chef zu. Die für ihre kryptofreundliche und Gensler-feindliche Haltung bekannten Abgeordneten Warren Davidson und Tom Emmer, streben eine Gesetzesreform an. Sie haben den SEC Stabilization Act ins Leben gerufen, der einen «geschäftsführenden Direktor» anstelle des SEC-Vorsitzenden vorsieht. Gensler würde so durch diesen Direktor ersetzt, und ein sechster Kommissar würde hinzugefügt. Eine derartige Absetzung von Gensler würde die Chance für eine liberalere und innovationsfreundlichere Herangehensweise an die Krypto-Regulierung eröffnen.

Damit Gensler vom US-Präsidenten abgesetzt werden kann, muss ein konkreter Grund wie etwa Ineffizienz oder Vernachlässigung von Pflichten nachgewiesen werden. Das wird dem SEC-Chef zwar von verschiedener Seite vorgeworfen, es stichhaltig zu beweisen, ist aber etwas anderes. Auch sonst wäre eine Amtsenthebung eine heikle Sache. Marktbeobachter gehen davon aus, dass eine Absetzung von Gensler durch die Politik der Glaubwürdigkeit und damit der Stabilität des amerikanischen Finanzmarktes grossen Schaden zufügen würde.

Eine Absetzung des SEC-Chefs hätte – wie alle finanzpolitischen Entscheide in den USA – eine Wirkung weit über die Grenzen der USA hinaus. Das könnte weltweit eine Welle von Veränderungen in der Kryptowährungsregulierung auslösen. Speziell risikofreudige Investoren können auf die 68 Token setzen, welche die SEC kürzlich als Wertpapiere eingestuft hat. Bei einer Entlassung Genslers würden wohl hohe Wertzuwächse anstehen.




Short cuts: News aus der digitalen Welt

UBS lanciert mit China eine Krypto-Anleihe

China stösst Kryptowährungen von der Klippe und umarmt die Blockchain. So könnte man die aktuelle Politik der Volksrepublik umschreiben. Die Investmentbank-Tochter der chinesischen Notenbank hat vor wenigen Tage die Emission einer tokenisierten Anleihen über 200 Millionen chinesischen Yuan bekanntgegeben. Die UBS unterstützte das chinesische Unternehmen dabei, diese auf der Ethereum-Blockchain basierende Notes zu lancieren. «Gemeinsam mit der UBS treiben wir die Vereinfachung des Handels für digitale Vermögenswerte für Kunden im asiatisch-pazifischen Raum durch die Entwicklung von Blockchain-basierten digitalen strukturierten Produkten voran», liess die chinesische Bank verlauten. Die Schweizer Bank besitzt bereits Erfahrung mit der Tokenisierung von Wertpapieren nach englischem und Schweizer Recht.

Lebenswichtige Verbesserungen für Ethereum

Obwohl Ethereum die zweitmächtigste oder -wertvollste Kryptowährung der Welt ist und der Token der Stiftung nicht im Visier der US-Wertschriftenbehörde ist (also von der SEC nicht als «Wertpapier» deklariert wird) ist Gründer Vitalik Buterin noch nicht überzeugt, dass seine Blockchain-Technologie überleben wird. Vor kurzem definierte er drei Punkte, die Ethereum erfüllen müsste. Ansonsten wäre es möglich, dass das Projekt scheitere, so Buterin. Das Netzwerk sei zu langsam, die Interaktion mit Smart-Contract-Anwendungen zu kompliziert und die Mainstream-Adoption lasse noch immer auf sich warten. Gemäss einem Blogeintrag von Buterin braucht es eine bessere Skalierung, anwenderfreundliche Wallets und mehr Privatsphäre: Diese drei Punkte seien entscheidend für den zukünftigen Erfolg von Ethereum.
Die Kapazitätssteigerung soll durch eine Rollup-Technologie verbessert werden. Dadurch wird ein Grossteil der Transaktions-Verarbeitung ausserhalb der Blockchain abgewickelt. Dadurch würden auch die bisher hohen Kosten sinken, die wohl die Hauptursache für das Fehlen einer breiten Akzeptanz von Ethereum sind. Seit der Einführung 2015 hat sich Ethereum als tragende Säule des Kryptowährungs- und Blockchain-Ökosystems etabliert. Die Smart-Contract-Plattform verfügt über das größte DeFi- und NFT-Oekosystem und hat die meisten aktiven Entwickler in der gesamten Krypto-Industrie.

Macht Blackrock mit dem Bitcoin-ETF vorwärts?

Gemäss einer Meldung von «Coin Desk» steht Blackrock kurz vor der Einreichung eines Zulassungsantrags für einen Bitcoin-ETF. Der US-Vermögensverwalter werde dazu das Custody und die Spot-Marktdaten der Kryptobörse Coinbase nutzen. Bisher hat die US-Börsenaufsicht SEC jeden Antrag für einen Spot-Bitcoin-ETF abgelehnt. Dagegen wurden schon mehrere Bitcoin-Futures-ETF zum Handel zugelassen. Noch keine Angaben gibt es darüber, ob es sich beim neuen Blackrock-Produkt um einen ETF auf dem Kassa- oder dem Terminmarkt handeln soll.

Bereits seit vergangenem Jahr besteht eine Zusammenarbeit zwischen dem weltgrössten Vermögensverwalter und Coinbase. Für den Kryptohandel haben die Kunden von Blackrocks Investment-Management-Plattform «Aladdin» direkten Zugang zu Coinbase Prime für den Handel mit Bitcoin erhalten. Dabei können sie auch Gebrauch vom Coinbase-eigenen Brokerage- und Verwahrungsservice machen.

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