Kollaps der Credit Suisse
In ihrem aktuellen Bericht zur Finanzstabilität gibt die SNB indirekt zu, dass sie bei der Credit Suisse auf die falschen Risiken geschaut hat.
22. Juni 2023 • Beat Schmid

«Die Ursache der Krise bei der Credit Suisse war nicht ein makroökonomischer Schock, wie er in den Stressszenarien der SNB angenommen wird», schreibt die Nationalbank in ihrem heute veröffentlichten Stabilitätsbericht. Der Zusammenbruch der Grossbank sei vielmehr «die Folge von wiederholten Ereignissen innerhalb der Bank» gewesen - wie hohe Bussen, eine Reihe von aufsichtsrechtlichen Durchsetzungsmassnahmen und finanzielle Verluste (Archegos).

Im Bericht zeichnet die SNB den Niedergang der Bank detailliert nach. Wie sie nach dem Ausstieg aus dem Hedge-Fonds-Geschäft Erträge verlor, die nicht durch entsprechende Kostensenkungsmassnahmen kompensiert werden konnten, was wiederum zu Verlusten über mehrere Quartale führte. Diese Entwicklungen führten zu einer zunehmend «kritischen Beurteilung» der Bank durch Kunden, Marktteilnehmer und Ratingagenturen.
Anfang Oktober 2022 führten die wachsende Unsicherheit über die Zukunftsaussichten der Bank und Gerüchte über eine drohende Insolvenz zu erheblichen Abflüssen von Einlagen und verwalteten Vermögen. «Die Ertragsbasis der Bank wurde weiter geschwächt und ihre Refinanzierungskosten stiegen weiter an.»

Fehlendes Vertrauen

Ende Oktober 2022 habe die Credit Suisse im Rahmen ihrer strategischen Neuausrichtung angekündigt, das Investmentbanking deutlich zu verkleinern und sich auf das Wealth Management, die Vermögensverwaltung und das Schweizer Geschäft zu konzentrieren.

Die Kapitalerhöhung von vier Milliarden Franken sei zu einem Zeitpunkt erfolgt, als die Bank «bereits angeschlagen» gewesen sei. Die Umsetzung der neuen Strategie sei mit hohen Restrukturierungskosten und einer langen Übergangszeit verbunden gewesen. Analysten und Ratingagenturen schätzten das damit verbundene Umsetzungsrisiko als hoch ein. «Letztlich» reichten die von der Credit Suisse erarbeiteten Pläne nicht aus, um «das Vertrauen nachhaltig wiederherzustellen».

Am Ende war es das fehlende Vertrauen, das der Bank das Genick brach. Damit gibt die Nationalbank indirekt zu, dass sie die Krise der Credit Suisse völlig falsch eingeschätzt hat. Der jahrelange Fokus auf hohe Kapitalpuffer, den die SNB seit der Finanzkrise verfolgte, erwies sich als ungenügend, um die Probleme der Bank zu erkennen. «Die Einhaltung der Eigenkapitalvorschriften ist notwendig», schreibt die SNB, «aber nicht ausreichend, um das Vertrauen in eine Bank zu gewährleisten.»

Auf die falschen Dinge geschaut

Der Begriff Vertrauen kommt im aktuellen Stabilitätsbericht 32 Mal vor. Zum Vergleich: Im letztjährigen Bericht taucht das Wort Vertrauen genau einmal auf. Zwar war den Oberaufsehern der SNB die schlechte Verfassung der Credit Suisse auch damals nicht entgangen: «Seit dem letztjährigen Bericht zur Finanzstabilität hat sich der Abstand zwischen der UBS und der Credit Suisse sowohl bei den Credit-Default-Swap-Prämien (CDS-Prämien) als auch bei der Bewertung an den Aktienmärkten vergrössert».

Damit beschrieb die SNB aber letztlich nur das, was jeder sehen konnte, der die Börsenentwicklung verfolgte. Ansonsten übten die SNB-Aufseher keine Kritik oder mahnten. Im Gegenteil: Sie lobten die beiden Grossbanken für ihre dicken Kapitalpolster. «Dank dieser Kapitalpuffer sind die beiden global tätigen Banken gut positioniert, um das schwierigere Umfeld ab Ende 2021 und die Risiken aus dem Krieg in der Ukraine zu meistern.»

Wichtig, die Lehren zu ziehen

In den Stressszenarien hatten die Spezialisten der SNB einen globalen Vertrauensverlust nicht einkalkuliert. Die SNB lobt Besserung: «Es ist wichtig, die Lehren aus der Krise der Credit Suisse zu ziehen und entsprechende Massnahmen zu ergreifen», schreibt sie.

Überrascht wurde die SNB auch von der Geschwindigkeit der Mittelabflüsse, die aus dem Vertrauensverlust resultierten. Sie seien «beispiellos und gravierender als in den Liquiditätsvorschriften angenommen».

Die Erfahrungen mit der Credit Suisse hätten gezeigt, dass die aufsichtsrechtlichen Messgrössen in einer Stresssituation «relativ eng sind» und Korrekturmassnahmen «verzögern können».

Mit anderen Worten: SNB, Bund und Finma müssen bei der Überwachung der Banken über die Bücher.