CO₂-Kompensation
Vom Boom mit CO₂-Kompensationen profitierte auch das Zürcher Klimaunternehmen South Pole. Jetzt zeigt sich: Die Zertifikate sind das Papier oft nicht wert. Das Geschäft muss sich wandeln. Es braucht höhere Standards.
28. Juli 2023 • Beat Schmid
Renat Heuberger ist CEO der Klimafirma South Pole. Einmal mehr ist er ins Kreuzfeuer der Kritik geraten. Diese Woche musste er in der Sendung «10vor10» das umstrittene Kompensationsprojekt Kariba in Simbabwe verteidigen, das bereits in der Vergangenheit für Schlagzeilen gesorgt hatte.
Der wohl erfolgreichste Klimaunternehmer der Welt kann die Kritik nur schwer akzeptieren. Nach dem Aufbau von Myclimate gründete er South Pole, das er zu einem Einhorn machte, eines der ganz wenigen, das die ETH hervorgebracht hat. Einhörner sind Jungunternehmen, die mit einer Milliarde Dollar bewertet werden. Seit 2019 arbeitet auch Grünen-Politiker Bastien Girod als Head of Climate Solutions für die DACH-Region bei South Pole.
Ausgerechnet von der ETH kommt nun scharfe Kritik an den CO₂-Kompensationsmodellen, auf denen das Geschäftsmodell von South Pole basiert. In einer kürzlich veröffentlichten Studie schätzen die ETH und die Universität Cambridge, dass nur bescheidene 12 Prozent der verkauften Kompensationszertifikate zu tatsächlichen Emissionsreduktionen führen.
Die ETH ist nicht grundsätzlich gegen Kompensationsmärkte. Sie sollen ein wichtiger Treiber für Klimaschutzmassnahmen bleiben, die anders kaum finanzierbar sind. «Aber es braucht strengere gesetzliche Rahmenbedingungen, um Auswüchse zu verhindern», schreibt Malte Toetzke, einer der Mitautoren der Studie, in einem gestern veröffentlichten Blogbeitrag.
Falsche Anreize
Dass es zu Auswüchsen gekommen ist, ist für Toetzke nicht überraschend. Kompensationsmärkte würden nach dem Prinzip funktionieren, dass Emissionen dort eingespart werden, wo sie am billigsten sind. Dies habe die Nachfrage nach günstigen Kompensationsmöglichkeiten rasant ansteigen lassen. Dies wiederum habe zur Folge, dass Zertifikatsanbieter ihr Geschäft immer schneller hochskalieren. «Von diesem ungesunden Effekt profitieren viele: Die Prüf- und Zertifizierungsorganisationen von einem wachsenden Markt und die Käufer von günstigen Preisen», schreibt Toetzke, der Doktorand in der ETH-Forschungsgruppe für Nachhaltigkeit und Technologie ist. Er nennt mehrere Gründe, warum die Versprechen vieler Kompensationsprojekte, Klimaneutralität zu ermöglichen, angezweifelt werden müssen: • Die überwiegende Mehrheit der Projekte ziele darauf ab, zusätzliche Treibhausgasemissionen zu vermeiden, beispielsweise durch den Ersatz eines bestehenden oder geplanten Kohlekraftwerks durch Windenergie. «Bei vielen Projekten ist fraglich, ob das gleiche Ergebnis nicht auch ohne Zertifikate erreicht worden wäre. Zum Beispiel werden viele Wälder, die durch Emissionszertifikate geschützt werden, auch ohne den Schutz durch Zertifikate nicht gerodet.» • «Die überwiegende Mehrheit der Projekte versucht, die Freisetzung zusätzlicher Treibhausgase zu vermeiden, indem beispielsweise ein bestehendes oder geplantes Kohlekraftwerk durch Windenergie ersetzt wird. Solche Vermeidungsprojekte kompensieren streng genommen keine Emissionen. Stattdessen sollten wir uns stärker auf Projekte konzentrieren, die der Atmosphäre CO₂ entziehen.» Diese haben jedoch ihren Preis. Bei Climeworks – ein weiteres Klima-Einhorn der ETH – kostet eine Tonne CO₂, die der Atmosphäre entzogen und gespeichert wird, zwischen 600 und 1000 Dollar. • «Die Prognosen über die Wirkung der Projekte sind oft zu optimistisch: Die Anzahl Tonnen CO₂, die ein Projekt in Form von Zertifikaten ausschütten kann, wird meist im Voraus festgelegt. Problematisch ist, dass die Prognosen vieler Anbieter die später tatsächlich eingesparten Emissionen bei weitem übersteigen. Nicht selten werden auch von vornherein unrealistische Annahmen in die Berechnungen einbezogen.» Toetzke nennt South Pole nicht beim Namen, aber genau das ist einer der Hauptkritikpunkte am Kariba-Projekt. • Fraglich sei auch, ob die Projekte das CO₂ wirklich so lange speichern, wie es nötig wäre, nämlich mehrere Jahrhunderte, so Toetzke. Wenn Wälder aufgeforstet werden und als Kohlenstoffspeicher dienen sollen, müsse berücksichtigt werden, dass diese mittelfristig durch Brände und Rodungen bedroht sind und entsprechend langfristig geschützt werden müssen.Höhere Standards = teurere Zertifikate
Damit Klimakompensation nicht für Greenwashing missbraucht wird, plädiert Toetzke für höhere Standards. Prüfgesellschaften sollten nur Projekte genehmigen, die ohne Kompensationsmärkte nicht finanzierbar wären. Projekte zur Förderung erneuerbarer Energien sollten beispielsweise nur in sehr armen Ländern genehmigt werden. Zudem muss sichergestellt werden, dass die Kompensationsprojekte die versprochenen CO₂-Einsparungen auch tatsächlich erbringen. Die Projekte sollten kontinuierlich nachweisen müssen, ob beispielsweise in armen Ländern geförderte effiziente und klimafreundlichere Kochherde von den Haushalten überhaupt genutzt werden oder wie sich aufgeforstete Wälder tatsächlich entwickeln. Das Monitoring würde oft versagen und Abweichungen zu wenig sanktioniert. «Obwohl die Anbieter oft einen kleinen Reservepool an Zertifikaten zurückhalten, um Defizite bei der Projektumsetzung auszugleichen, sind bei einem Scheitern des Projekts die allermeisten Zertifikate längst verkauft», schreibt Toetzke. Vielleicht wäre es besser, Zertifikate erst dann zu verkaufen, wenn nachgewiesen ist, wie viel CO₂ ein Projekt eingespart hat. Würden die Standards erhöht und nur noch «qualitativ hochwertige Projekte» finanziert, würde dies zu einer Verteuerung der Zertifikate führen. Das wiederum würde einen Anreiz für Unternehmen schaffen, CO₂-Emissionen selbst zu reduzieren, statt sie mit billigen Zertifikaten einzukaufen. «Klimakompensation sollte nur dort zum Einsatz kommen, wo eigene Massnahmen noch unverhältnismässig teuer und technologisch schwierig umzusetzen sind», sagt Toetzke.Link zur ETH-Studie: Systematic review of the actual emissions reductions of carbon offset projects across all major sectors
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