Krisenmanagement des Bundes
Hätte die Todesspirale der Credit Suisse vor Jahresfrist durch einen staatlichen Rettungsschirm gestoppt werden können? Wenn ja, wer hat das versäumt, Finanzminister Ueli Maurer? Oder war alles ganz anders?
6. November 2023 • Balz Bruppacher

Um die Aufarbeitung des Untergangs der Credit Suisse (CS) ist es ruhig geworden. Mit der staatlich gestützten Übernahme durch die UBS scheint die Krise zur Genugtuung von Behörden und Finanzwelt vorerst bewältigt. Allerdings bestreiten namhafte Stimmen wie das Financial Stability Board, dass der am Wochenende vom vergangenen 19. März gewählte Weg alternativlos war. Korrekturen sind möglicherweise auch an der hierzulande gängigen Lesart nötig, wonach es vor allem das Eidgenössische Finanzdepartement (EFD), beziehungsweise sein ehemaliger Chef Ueli Maurer war, der eine rechtzeitige Rettung der Grossbank verschlafen hatte.

Es geht um die Ereignisse im Herbst 2022, als der drastische Abfluss von Kundengeldern bei der Credit Suisse bekannt wurde – ein eigentlicher Bank Run, wie im Nachhinein klar wurde. Dies löste Engpässe bei der Liquidität aus. Hat die CS noch genügend flüssige Mittel, um die Kunden auszuzahlen, die der Bank den Rücken kehren? Der Bundesrat hatte die Liquiditätsvorschriften für systemrelevante Banken am 1. Juli 2022 – trotz Widerstands der Wirtschaft und der betroffenen Banken – zwar verschärft, aber mit einer 18-monatigen Übergangsfrist versehen. Schon im März 2022 hatte der Bundesrat die Einführung eines sogenannten Public Liquidity Backstop (PLB) in Aussicht gestellt – ein Instrument, das es der Nationalbank erlaubt, systemrelevanten Banken Liquiditätsspritzen mit einer Bundesgarantie zu verabreichen. Beide Massnahmen erregten in der Öffentlichkeit kaum Aufsehen.

Erst Anfang Oktober machten einzelne Zeitungen (hier und hier) darauf aufmerksam, dass ein staatlicher Rettungsschirm in Form des PLB beim Bund in Vorbereitung war. Das war der Monat, als sich die Krise bei der CS zuspitzte. Gerüchte lösten einen weiteren Kurssturz der CS-Aktie aus, die Kosten für eine Kreditausfallversicherung schossen in die Höhe, und die lang hinausgezögerte Bekanntgabe der neuen Strategie samt Einstieg der saudischen Saudi National Bank fiel bei Kunden und Anlegern durch. Anfang November läuteten offenbar die Alarmglocken bei der Nationalbank, zu deren Auftrag es gehört, zur Finanzstabilität beizutragen.

Wer versuchte wann die CS zu retten?

Laut einem Bericht der «Sonntagszeitung» und weitgehend identischen Informationen in der Bilanz-Publikation «Warum die Credit Suisse untergehen musste» sprach SNB-Präsident Thomas Jordan Anfang November beim Bundesrat vor und forderte angesichts der Schieflage der CS die sofortige Einführung des Liquidität-Rettungsschirms PLB. Eine für den 3. November geplante ausserordentliche Sitzung des Bundesrats sei tags zuvor von Finanzminister Maurer aber wieder abgeblasen worden – so diese Quellen. Hatte es Maurer also versäumt, einen Rettungsversuch für die Credit Suisse auszulösen?

Nach Informationen dieser Publikation liefen im EFD damals sehr wohl Vorbereitungen zur Einführung des PLB per Notrecht. Demnach lag für die Bundesratssitzung vom 15. November eine beschlussreife Vorlage vor. Bundesrätin Karin Keller-Sutter, damals noch Justizministerin, bestätigte bei der Bekanntgabe der Übernahme der CS durch die UBS am 19. März, dass der Bundesrat darüber diskutiert habe, die für den Sommer 2023 vorgesehene Vernehmlassung über den PLB vorzuziehen. Sie habe im Bundesamt für Justiz auch abklären lassen, ob Notrecht möglich sei. Man habe aber damals davon abgesehen, um angesichts der Liquiditätssituation der CS nicht zu verunsichern. Nationalbankpräsident Jordan fügte hinzu, die Einführung des PLB im Oktober hätte nicht stabilisierend, sondern destabilisierend gewirkt. SNB-Vizepräsident Martin Schlegel sagte in einem Interview des «SonntagsBlick» vom 29. Oktober, es sei eine Illusion zu meinen, dass die fundamentalen Probleme der CS mit zusätzlicher Liquidität hätten gelöst werden können.

Die Bundeskanzlei wollte sich auf Anfrage unter Berufung auf die Vertraulichkeit der Sitzungen der Landesregierung und mit Hinweis auf die Arbeiten der parlamentarischen Untersuchungskommission PUK weder zum Sitzungsdatum vom 15. November noch zu den Gründen für den Verzicht auf den vorgezogenen PLB äussern. Ebenso wenig nahm sie zu Informationen Stellung, wonach die Nationalbank davon abgeraten habe. Die Finanzmarktaufsicht Finma will sich nicht zu ihrem Verhalten im November äussern.

Nationalbank hat PLB «vehement befürwortet»

Die SNB teilte auf Anfrage mit: «Der PLB ist ein zentrales Instrument zur Stärkung der Stabilität des Finanzsektors, dessen Einführung die SNB vehement befürwortet hat.» Und auf die Stellungnahmen von Jordan und Schlegel angesprochen: «Weder in der Krise der Credit Suisse noch in vorangehenden Krisen hat es je eine Situation gegeben, in der die SNB ausserordentliche Liquiditätshilfe nicht zur Verfügung gestellt hätte, wenn diese von einer Bank gewünscht worden war oder es für den Erhalt der Finanzstabilität notwendig gewesen wäre. Die SNB hat bei verschiedenen Gelegenheiten betont, dass Liquidität allein, ohne weiterführende Massnahmen, die Vertrauens- und Rentabilitätsprobleme der CS nicht hätte lösen können. In diesem Sinne sind die Äusserungen von Präsident Thomas Jordan an der Medienkonferenz vom 19. März sowie das (…) Interview von Vizepräsident Martin Schlegel zu verstehen.»

Die SNB hat bisher keinerlei Versäumnisse im Fall CS eingeräumt und stets erklärt, sie habe kein Mandat, um eine Bank zu retten oder sie zu übernehmen. Kritiker entgegnen, weil die Nationalbank so lange zugeschaut habe, habe sie am Schluss Garantien geben müssen, die ihr Mandat eigentlich verletzen. Es wird auch an die UBS-Rettung im Herbst 2008 erinnert, die von der Nationalbank mit einem beherzten Auftritt begleitet wurde («Wir sind da für die Ewigkeit»). «Wäre Jordan damals am Ruder gewesen, hätte die UBS-Rettung nicht so stattgefunden», so ein Kritiker.

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