Digital Assets Briefing
Der Bitcoin ist jüngst kontinuierlich teurer geworden. Die erwartete Zulassung von mehreren Bitcoin-ETF in den USA und das Halving im April 2024 werden als Gründe angegeben. Doch was, wenn nicht das, sondern eine schrumpfende Verfügbarkeit der Grund für den Kursanstieg ist?
1. Dezember 2023 • Werner Grundlehner

«Sicher ist der Bitcoin knapp», werden informierte Bitcoiner einwenden. Das ist Sinn und Zweck der Kryptowährung. Sie kann nicht inflationiert werden. Keine Notenbank finanziert durch die Ausgabe neuer Bitcoins das Defizit eines Staates. Der Umlauf ist auf 21 Millionen Coins limitiert, die Emission verlangsamt sich fortlaufend. Neue Bitcoins entstehen, wenn ein Miner einen neuen Block in der Blockchain durch die Lösung einer komplexen Rechnungsaufgabe validiert.



Und in den Short Cuts diese Woche:
• Blockierte Kryptos: Ethereum gesperrt, Bitcoin im Hodl-Modus
• Das Krypto-Rennen der Kantonalbanken


Zahlreiche Grossrechner und Computer-Netzwerke stehen im Wettbewerb, um die korrekte Lösung zu finden. Der Computer, der das Rätsel als Erster löst, erhält eine Belohnung in Form von Bitcoins. Der Schwierigkeitsgrad des Rechenrätsels erhöht sich fortwährend und damit die Computerleistung, die erforderlich ist, um die nächste Bitcoin-Transaktion zu validieren.

Zu Beginn betrug diese Belohnung 50 Bitcoins pro Block. Alle 210’000 Blöcke wird diese Zahl halbiert (Halving). Das entspricht einem Zeitraum von ungefähr vier Jahren. Es hat bereits drei Halvings gegeben. Momentan werden 6,25 neue Bitcoins pro Block erzeugt. Im Jahr 2024 findet das nächste Halving statt. Dann wird es je Block nur noch 3,125 Coins für den Miner geben. Mittlerweile sind 93,1 Prozent oder rund 19,5 Millionen Bitcoins des Endbestandes verfügbar. Umgekehrt heisst das, dass nur noch knapp 7 Prozent aller jemals verfügbaren Bitcoin bis zum Jahre 2140 neu auf den Markt kommen.


An der Börse kaufen und lagern

Doch von dieser «gewollten» Knappheit ist hier nicht die Rede. Es geht darum, dass die Bitcoin-Bestände an den Kryptobörsen seit längerem rückläufig sind. Das lässt sich nicht mit herkömmlichen Wertschriftenbörsen vergleichen. Ein Privatkunde, der unkompliziert in Kryptowährungen investieren will, wählt dafür Handelsplätze wie Coinbase und Kraken, kauft die Coins und belässt diese bei der Börse. Die Plattform verwaltet die Guthaben der Kunden. Es hat sich gezeigt, dass im Fall von Konkursen und Betrügerein dadurch ein hohes Risiko für die Kunden besteht. Seit November des vergangenen Jahres ist die Anzahl der auf Handelsplattformen verfügbaren Bitcoins deutlich zurückgegangen (vgl. Grafik). Nach diesem starken Einbruch hat sich der Bestand an den Börsen kontinuierlich weiter reduziert.

Der Einbruch erstaunt nicht. Anfang November 2022 kamen Dokumente ans Licht, die zum Kollaps der Kryptobörse FTX von Sam Bankman Fried führten. In den folgenden Monaten gefiel sich die US-Börsenaufsicht SEC mit einem Feldzug gegen Plattformen, auf denen digitale Vermögenswerte gehandelt wurden. Eine solche mündete jüngst in einem Vergleich mit Binance und einer Rekordbusse von über 4 Milliarden Dollar.

Umschichten auf seriösere Plattformen?

Da erstaunt es nicht, dass Investoren ihre Guthaben von derart gebeutelten Plattformen zurückziehen. Doch wohin mit diesen Bitcoins, die man auf FTX, Binance etc. hielt? Man müsste nun annehmen, dass die Guthaben an Bitcoin nach diesen Vorfällen auf andere «seriösere» Börsen wie etwa Coinbase verschoben wurden. So ist zwar der US-Anbieter auch im Visier der Börsenaufsicht, aber neun von zwölf Vermögensverwalter, die in den USA einen Antrag auf Zulassung eines Bitcoin-Spot-ETF gestellt haben – darunter auch BlackRock – haben die Börse für ihre Projekte als Custodian (Verwahrer) ausgewählt. Neben Coinbase ist die von den Winklevoss-Brüdern gegründete Gemini Exchange eine weitere beliebte Quelle für die Beschaffung von Bitcoin. Fidelity Digital Assets wird als Verwahrstelle für den Fidelity/Wise Origin ETF fungieren. Xapo wird dem Valkyrie Investments ETF als Custodian dienen.

«Wir sehen die tieferen Bitcoin-Bestände an den Kryptobörsen nicht als einzige oder direkte Konsequenz der Turbulenzen im Zusammenhang mit der Liquidierung von FTX oder den laufenden Klagen der SEC gegen Binance oder Kraken. Diese Ereignisse haben jedoch sicherlich dazu geführt, dass sich Anleger – insbesondere institutionelle Anleger – mehr auf das Risk Management und insbesondere das Minimieren von Gegenparteirisiken konzentrieren», sagt Bitcoin-Suisse-Sprecherin Verena Merz. Dieses Thema stehe bei Bitcoin Suisse bereits seit Jahren im Fokus. Das Risiko werde anhand einer systematischen und regelmässigen Analyse aller Gegenparteien für die Einstufung von Kryptobörsen entwickelten Methodik gemanagt.

Aber das Handelsvolumen steigt

«Die sinkende Bitcoin-Bestände an den Börsen könnten auch auf die Absicht von Anlegern hindeuten, ihre Bitcoin-Bestände in Antizipation eines sich andeutenden Bullmarktes längerfristig halten zu wollen», so Merz weiter. Gegen eine zunehmende «Inaktivität» von Bitcoin-Investoren spreche zudem der starke Anstieg der Handelsvolumen. Nach einem positiven, durch massiv angestiegene Handelsvolumen gekennzeichneten Start ins Jahr 2023 folgte eine längere, von tiefer Volatilität und Handelsvolumen geprägte Periode, welche bis zur zweiten Hälfte des Oktobers angehalten hat. Getrieben von der möglichen Zulassung eines Bitcoin Spot ETF in den USA gab es dann jedoch einen signifikanten Wechsel zu einem positiven Marktsentiment, welches sich in den stark ansteigenden täglichen Handelsvolumen an den Börsen spiegelt.

Eine Alternative für Bitcoin-Besitzer ist es, die Kryptos in einem Wallet selbst zu verwalten. Das war auch die ursprüngliche Absicht der «peer-to-peer»-Währung. Jeder verwaltet sein Guthaben selbst und überweist im Bedarfsfall direkt an andere Wallets. Die Absicht von Bitcoin war es, (teure) Intermediäre wie Banken, aber auch Börsen auszuschalten. Aus Sicht der Kundenfreundlichkeit befindet sich der Bitcoin aber noch in der Steinzeit. Das Verwalten einer eigenen Wallet ist vielen Investoren – insbesondere den weniger technikaffinen – zu aufwendig und zu gefährlich. Verliert man den Private Key ist das Kryptoguthaben auf Nimmerwiedersehen weg.

Trend zur Selbstverwahrung

Der Rückgang der Bitcoin-Bestände an den Börsen steht nach Ansicht von Yves Longchamp, Leiter Research bei der Seba Bank, nicht in direktem Zusammenhang mit den Turbulenzen um Plattformen wie FTX und Binance. Der gesamte Bitcoin-Bestand an den Börsen sei seit 2020 rückläufig. «Die Verlagerung hin zur Selbstverwahrung und zu eleganten Lösungen, die minimale Bestände auf Börsen erfordern, spiegelt einen breiteren Trend auf dem Kryptomarkt wider. Auch Krypto-Hedge-Fonds minimieren aktiv das Risiko und halten nur die für den täglichen Handel an den Börsen erforderlichen Vermögenswerte», sagt Longchamp.

Während die Zulassung von ETF aus Sicht des Seba-Managers wieder eine Trendwende bewirken könnte, werde die allgemeine Risikominimierung der Anleger Lösungen zur Selbstverwahrung oder Diversifizierung vorantreiben. «Auch die Börsen werden sich anpassen müssen, um mit minimalen Coin-Beständen arbeiten zu können. Mit der Zulassung von ETF können Börsen mehr Coins als Verwahrer für traditionelle Finanzakteure (TradFi) halten, was das Angebot an Börsen erhöhen könnte», so Longchamp. Die Diversifizierung der Einnahmequellen werde für die Börsen in diesem Zusammenhang jedoch entscheidend.

Der Kunde ein Hodler

Krypto-Banken und -Dienstleister wie Seba halten selbst keine Kryptowährungen. «Bitcoin kommen entweder von Kunden, die sie mitbringen oder sie bitten uns, sie zu erwerben», erklärt Longchamps. Seba kaufe Bitcoins an verschiedenen Börsen, die sie sorgfältig ausgewähle. Bitcoin Suisse handelt sowohl mit zentralisierten Krypto-Börsen als auch mit diversen OTC-Plattformen, welche speziell auf Bitcoin- und Ethereum-Handelspaaren eine hohe Liquidität ausweisen.

Bemerkenswerterweise ging der Bitcoin-Bestand der Börsen nicht nur während der Preisschwäche zurück, sondern brach auch mit der deutlichen Werterholung in den vergangenen Wochen weiter ein. Man muss also davon ausgehen, dass der Preisanstieg keine «neuen» Kunden auf die Börsen brachte und der durchschnittliche Bitcoin-Investor ein «Hodler» ist. (Hodl ist ein Meme, das aus einem Tippfehler des Wortes «Hold» entstand. Es steht für die Einstellung von Anlegern, eine Kryptowährung wie Bitcoin dauerhaft zu halten). Das heisst, die Kryptowährung wird aus Sicherheitsgründen gekauft. Der Bitcoin wird kaum für Transaktionen eingesetzt oder gehandelt, egal welchen Schwankungen der Wert unterworfen ist.

70 Prozent seit einem Jahr nicht bewegt

Das zeigt auch der Umstand, dass von den mittlerweile fast 20 Millionen im Umlauf befindlichen Bitcoins, zum ersten Mal über 70 Prozent seit mehr als einem Jahr nicht mehr verschoben worden sind. Sie liegen in Wallets und bei Krypto-Dienstleistern und werden nicht bewegt, egal wie die Preisentwicklung aussieht.

Dieses Verhalten ist vielleicht nicht im Sinn der Erfinder einer Peer-to-Peer-Währung, sie verspricht jedoch für das kommende Jahr, wenn ETF ihn den USA zugelassen werden und ihre Fondsanteile mit realen Bitcoins hinterlegen müssen und durch das Halving das Angebot aus dem Mining sinkt einen weiteren Kursanstieg des Bitcoins.

Bessere Kennzahlen für die Stimmung?

Auf die Frage, ob es bessere Kennzahlen gebe, um das Sentiment der Investoren zu messen, als die Bestände auf den Kryptobörsen, antwortet die Bitcoin-Suisse-Sprecherin: «Die Aktivität der Bitcoin Investoren lässt sich primär an den Handelsvolumen ablesen. Diese sind wiederum getrieben von Volatilität und dem allgemeinen Marktsentiment, welches seit Anfang Oktober 2023 wieder positiver ist». Ein weit verbreiteter Sentiment-Indikator wäre gemäss Merz der Fear & Greed-Index, der verschiedene Faktoren wie Volatilität, Markt-Momentum, Social Media, Bitcoin-Dominanz im Markt und Trend-Faktoren von Google Suchverläufen berücksichtigt.

Ein weiteres Mass für Marktaktivität seien die Derivatemärkte – der Bitcoin-Spot-Markt ist circa zehn Mal kleiner als der Bitcoin-Derivate-Markt. Aktuell zeige sich, dass das Open Interest auf Optionen mit Bitcoin als Basiswert stark angestiegen sei, allein auf Deribit auf über 15 Milliarden Dollar. Dies zeige, dass sich – vor allem institutionelle und professionelle – Anleger vermehrt via Derivatprodukte absichern oder positionieren. Zum Vergleich: Das Open Interest auf Bitcoin-Optionen stand während dem Bullen-Markt von 2021 bei rund 14 Milliarden Dollar.




Short cuts: News aus der digitalen Welt

Die viertgrösste Kryptobörse im Visier der US-Justiz

Für einmal ist es nicht die US-Börsenaufsicht SEC. Die US-Handelskommission CFTC hat Bybit eine Vorladung geschickt. Das dürfte darauf hindeuten, dass die Behörde eine Anklage vorbereitet. Die 2018 durch den Chinesen Ben Zhou gegründete Plattform hat ihren Hauptsitz in Dubai. Bybit führte erst später Kontrollen gegen die Geldwäscherei ein, ein Know-Your-Customer (KYC) gibt es erst seit Mai 2023. Bybit soll täglich digitale Assets im Wert von 2 Milliarden Dollar umsetzen und ist die viertgrösste Kryptobörse der Welt – die drittgrösste ausserhalb der USA. Die Behörden der Vereinigten Staaten verdächtigen die Börse illegal in den USA zu operieren. Sie forderte dementsprechend Konten- und Transaktionsdaten von der US-Börse Coinbase an. Die CFTC geht davon aus, dass wenn Kunden von Bybit ihre Gelder nach Coinbase transferieren, es sich vermutlich um US-Amerikaner handle.


Britische Bank mit hohem Bitcoin-Kursziel

Es wimmelt von zuversichtlichen Preisprognosen für den Bitcoin angesichts der möglichen Zulassung mehrerer Bitcoin-Spot-ETF durch die US-Börsenaufsicht und das anstehende Halving. Doch diese Einschätzungen stammen meist von Krypto-Dienstleister, die eine gehörige Portion Eigeninteresse mit diesen bullischen Vorhersagen verbinden. Das sticht ein derartiges Kursziel einer britischen Grossbank schon heraus. Gemäss Standard Chartered könnte Bitcoin in einem Jahr die 100’000-Dollar-Marke erreichen, da die börsengehandelten Fonds (ETF) früher als erwartet auf den Markt kommen. «Wir gehen nun davon aus, dass sich der Preis vor dem Halving stärker als bisher nach oben entwickeln wird, insbesondere durch die früher als erwartete Einführung von US-Spot-ETF», schreibt das Research von Standard Chartered. Bereits im Juli wurde die abnehmende Verfügbarkeit des Bitcoin-Angebots als Grund angesehen, dass die Notierung bis Ende des laufenden Jahres auf über 50’000 Dollar steigen werde.


Lagardes Sohn verzockt sich mit Kryptowährungen

Das dürfte die Stimmung der EZB-Präsidentin Christine Lagarde bezüglich Kryptowährungen weiter eintrüben. Vergangene Woche räumte Lagarde ein, dass einer ihrer beiden Söhne sich mit Cyberdevisen verzockt habe. Es handelt sich angeblich nicht um grosse Beträge, aber davon seien 60 Prozent verloren. Lagarde nutzte den Anlass, um ein altes Klischee aufzuwärmen: «Niemand sollte das Recht haben, an kriminell sanktionierten Handel und ebensolchen Geschäften teilzunehmen», wird die EZB-Präsidentin in den Medien zitiert.

Lagarde hatte sich stets für eine starke Regulierung von digitalen Assets stark gemacht. Die EU hat sich in den vergangenen Monaten als erste grosse Wirtschaftsregion auf eine Regulierung von Kryptowährungen verständigt. Das Regelwerk mit dem Namen «Markets in Crypto Assets, MiCA» trat im Juni in Kraft. Die komplette Umsetzung der Verordnung dauert voraussichtlich bis Ende 2024. Aus Sicht von Lagarde sollte die MiCA-Regulierung nur ein erster Schritt sein.

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