Swiss Steel in Emmenbrücke (LU) steckt seit Monaten in der Krise. Weil die deutsche Autoindustrie mit Problemen kämpft, bricht dem Werk der wichtigste Absatzmarkt weg. Am Freitag musste das Unternehmen Medienberichten entgegentreten, wonach es kurz vor dem Zusammenbruch stehe und in Nachlassstundung gehen müsse. Solche Gerüchte würden «in aller Form zurückgewiesen», hiess es in einer Stellungnahme.
Allerdings ist das Unternehmen hoch defizitär. Im ersten Halbjahr hat Swiss Steel operativ 112 Millionen Euro (negativer Free Cash Flow) verbrannt. Geht es so weiter, dürfte das Eigenkapital in der ersten Hälfte des nächsten Jahres aufgebraucht sein. Dass diese Entwicklung zu Diskussionen mit den Banken führt, ist normal. Ein Bankenkonsortium hat eine Kreditlinie von 395 Millionen Euro gewährt. Eine grosse Position soll bei der UBS liegen.
Der Schweizer Stahlindustrie drückt der Schuh an verschiedenen Stellen. Neben Swiss Steel bei Luzern steht auch Stahl Gerlafingen im Kanton Solothurn schlecht da. Die Angst vor dem Ende der Stahlindustrie in der Schweiz hat die Politik auf den Plan gerufen. Gewerkschaften, aber auch bürgerliche Politiker wollen mit Notmassnahmen die letzten Stahlwerke stützen.
Ein wichtiger, aber nicht der wichtigste Kostenfaktor ist der Strompreis. Der italienische Industrielle Antonio Beltrame, Besitzer von Stahl Gerlafingen, beklagte sich in der NZZ über die «hohen Elektrizitätskosten» in der Schweiz. Insbesondere die Netzgebühren seien im europäischen Vergleich sehr hoch und würden den Strom künstlich verteuern. Enttäuscht zeigte er sich auch vom Bundesrat.
Swiss Steel bläst ins gleiche Horn. «Obwohl sich die Strompreise wieder auf einem normalen Niveau eingependelt haben, befinden sie sich auf einem höheren Niveau als vor der Energiekrise», teilt eine Sprecherin des Unternehmens mit. Ein Kostentreiber seien die Tarife für Netznutzung und Abgaben. Sie machten derzeit knapp 50 Prozent der gesamten Stromkosten aus – «mit steigender Tendenz». Swiss Steel «wünscht sich» von der Politik Rahmenbedingungen, die grünen Strom zu «wettbewerbsfähigen Preisen» sicherstellen.
Politik will helfen
Die Reaktionen aus der Politik sind unterschiedlich. Während Wirtschaftsminister Guy Parmelin abwinkt, setzen sich regional verankerte Politiker für Lösungen ein. Christian Imark, SVP-Nationalrat aus Solothurn, hat die Netzgebühren im Visier, die ein «massives Problem» seien. Hier eine Entlastung zu schaffen, könnte politisch mehrheitsfähig sein, sagt er. Die nationalrätliche Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie (Urek) hat eine Lösung ins Auge gefasst, die eine Entlastung von 50 Prozent im ersten, 25 Prozent im zweiten und 12,5 Prozent im dritten Jahr bringen soll. Weitere Massnahmen sind im Gespräch, etwa eine Änderung des öffentlichen Beschaffungswesens, um Schweizer Stahl zu bevorzugen.
Die Regierung des Kantons Solothurn erwäge zudem, der Stahl Gerlafingen Landreserven abzukaufen, um dem Unternehmen Liquidität zu verschaffen. Ein Sprecher der Staatskanzlei will dazu nicht direkt Stellung nehmen. «Konkrete Ansätze» für eine Unterstützung des Stahlwerks gebe es «derzeit» nicht.
Experten sind skeptisch
Ob staatliche Hilfen das Problem überhaupt lösen, steht auf einem anderen Blatt. Experten sind skeptisch. Das Stahlgeschäft ist zugleich global und europäisch. Überall gibt es grosse Überkapazitäten. Die härtesten Konkurrenten der Schweiz sitzen im badischen Kehl unweit von Strassburg und im Friaul. Weil es der Wirtschaft in Deutschland und Italien nicht gut geht, haben die Werke genügend Kapazitäten, um ihren Stahl zu tiefen Preisen in die Schweiz zu liefern, wo die Bauwirtschaft nach wie vor brummt. «Ein verbilligter Strompreis würde zwar Entlastung bringen, aber ob er ein Werk wie Gerlafingen langfristig retten kann, ist eine andere Frage», sagt ein Branchenkenner.
Zudem stelle sich die Frage, ob nicht zuerst andere Sparmassnahmen umgesetzt werden müssten. Viel Potenzial scheint es bei den Managerlöhnen von Swiss Steel zu geben. Wie aus dem Vergütungsbericht hervorgeht, bezog CEO Frank Koch in den Jahren 2022 und 2023 ein Salär von 3,7 beziehungsweise 2,9 Millionen Franken. Die gesamte Konzernleitung erhielt 8,1 und 5,4 Millionen Franken. Der ehemalige Swisscom-Chef Jens Alder strich als Verwaltungsratspräsident ein Honorar von 450’000 Franken ein. Im letzten Jahr erwirtschaftete Swiss Steel einen Konzernverlust von fast 300 Millionen Franken.
Die Beltrame-Gruppe, die Stahl Gerlafingen kontrolliert, gibt individuelle Löhne nicht bekannt. Im siebenköpfigen Leitungsgremium des Familienunternehmens aus Vicenza (I) sitzt Alain Creteur, der das Stahlwerk Solothurn leitet. Im Jahr 2023 bezogen die Mitglieder 4,3 Millionen Euro, vier davon gehören der Familie Beltrame an.
Der Autor ist Herausgeber von tippinpoint. Er schreibt regelmässig für den Sonntagsblick. Dort wurde der vorliegende Artikel am 27.10.2024 in einer leicht gekürzten Version publiziert.