Vor wenigen Tagen gab Google ein Rechenergebnis auf einem neuen Halbleiter bekannt, das Nicht-Physiker – und auch den Autor – in der Einordnung ratlos zurücklässt. Für einmal ist buchstäblich das Wort Quantensprung angebracht. In einem Beitrag zur Ankündigung des neuen Computerchip Willow schrieb Sundar Pichai, CEO der Google-Muttergesellschaft Alphabet: «Wir stellen Willow vor, unseren neuen hochmodernen Chip für Quantencomputer mit einem Durchbruch, der Fehler exponentiell reduzieren kann und der eine 30-jährige Herausforderung in diesem Bereich knackt, wenn wir mehr Qubits verwenden. In Benchmark-Tests hat Willow eine Standardberechnung in weniger als fünf Minuten gelöst, für die ein führender Supercomputer mehr als 10 hoch 25 Jahre (10'000'000'000'000'000'000'000'000, zehn Quadrillionen) benötigen würde – was weit über das Alter des Universums hinausgeht». Was ein Qubits ist, wird weiter unten erklärt.
Und in den Short Cuts diese Woche:
• Ein Schwergewicht betritt den Stablecoin-Markt
• Satoshi Nakamoto so reich wie Bill Gates
Die Kapazität des neuen Halbleiters von Google überragt die bisherigen Leistungssteigerungen von Durchbrüchen bei Rechenchips. Er stellt unsere bisherigen Denkmuster auf den Kopf. Die neue Chipgeneration basiert auf den Grundlagen der Quantenmechanik, die davon ausgeht, dass wir in einem Multiversum leben – nicht zu verwechseln mit dem Metaverse. Das Konzept des Multiversums legt nahe, dass unser Universum nicht das einzige ist – es gibt gemäss dieser Theorie unzählige andere Universen, jedes mit seinen eigenen Eigenschaften, Regeln und sogar Versionen der Realität. Das Konzept geht auf verschiedene wissenschaftliche und philosophische Interpretationen zurück, insbesondere jene der Quantenmechanik.
Gleichzeitig mehrere Zustände
Hier ein Versuch, die Arbeitsweise des neuen Chips zu erklären: Quantenpartikel können in mehreren Zuständen gleichzeitig existieren, in sogenannter Überlagerung. Computer, die wir heute benutzen, haben klassische Prozessoren, die mit Bits arbeiten, die entweder eine Null oder eine Eins codieren. Quantencomputer verwenden Quantenbits, oder Qubits. Diese können eine Null, eine Eins oder beide Zustände gleichzeitig anzeigen, was bei bestimmten Arten von mathematischen Problemen eine exponentiell schnellere Verarbeitung ermöglicht.
Wenn ein Teilchen beobachtet oder gemessen wird, «wählt» es einen Zustand aus, und man sieht ein bestimmtes Ergebnis. Die Viele-Welten-Interpretation besagt, dass es nicht nur ein einziges Ergebnis gibt, sondern, dass alle möglichen Ergebnisse auftreten, allerdings in separaten, parallelen Universen. Quantencomputer nutzen die Superposition, die es ihnen ermöglicht, Berechnungen in vielen möglichen Zuständen gleichzeitig durchzuführen. Der 105-Qubit-Chip von Willow verfügt über eine einzigartige Fehlerkorrektur und konzentriert sich auf die Stabilität, anstatt einfach nur mehr Qubits zu stapeln. Das Ergebnis? Ein Sprung in Richtung praktisches Quantencomputing, das in naher Zukunft Medizin, Künstliche Intelligenz, Energie aber auch die Kryptografie revolutionieren könnte.
Das Ende der Verschlüsselung?
So weit, so verrückt und unverständlich. Ob dieses Multiversum existiert, ist mit dem jüngsten Durchbruch von Google nicht bewiesen, aber er deutet darauf hin, dass die Realität vielleicht noch bizarrer und vernetzter ist, als wir es uns je vorgestellt haben. Für die Blockchain-Technologie könnte es insbesondere heissen, dass die Verschlüsselung und damit die Private Keys von Coin-Besitzer vielleicht nicht unknackbar sind. Daneben besteht auch die Gefahr, dass Quantencomputer mit ihrer überragenden Rechenleistung das verbleibende Mining an sich reissen und die Emission neuer Bitcoins kontrollieren würden.
Bereits 1994 entwickelte Peter Shor einen Algorithmus, der zeigte, dass ein Quantencomputer mathematische Probleme im Zusammenhang mit Verschlüsselung lösen kann. Dies veranlasste Forscher zu der Befürchtung, dass Quantencomputer in der Lage sein könnten, bestehende Verschlüsselungen zu knacken. Bei der Quantenberechnung müssen jedoch Teile des Computers bei Temperaturen knapp über dem absoluten Nullpunkt (-273 Grad Celsius) betrieben werden. Es gibt weitere Probleme wie Kohärenz und Halbwertszeit, die die Stabilität der einzelnen Quanten beeinträchtigen, wenn man mehr Quanten hinzufügt. Diese Probleme sind noch nicht befriedigend gelöst.
Alte Transaktionen sind gefährdet
Bitcoin verwendet zwei Arten von Verschlüsselungsalgorithmen: SHA-256 (Bitcoin-Mining) und ECDSA (Kontrolle des Bitcoin-Eigentums). Die meisten Experten gehen davon aus, dass ein Quantencomputer wahrscheinlich nicht in der Lage ist, den SHA-256-Algorithmus zu knacken. Denn der Bitcoin hat einen eingebauten Verteidigungsmechanismus: die Schwierigkeitsanpassung. Wenn mehr Miner dem Netzwerk beitreten, passt sich das Netzwerk automatisch an die zusätzliche Hash-Rate (Miner) an, indem es das Mining eines Blocks schwieriger macht. Dies geschieht, damit die Produktion von neu geprägtem Bitcoin nach einem vorhersehbaren Zeitplan erfolgt. Das Bitcoin-Mining durchlief bereits mehrere Stufen der Rechen-Ära, wie die Umstellung von CPU auf GPU und ASICs (von Rechen- auf Graphikchips).
Die andere Art der Verschlüsselung, auf die sich das Quantencomputing auswirken könnte, wird zur Kontrolle der Bitcoin-Wallets verwendet: Elliptic Curve Digital Signature Algorithm (ECDSA). Quantencomputer werden sich wahrscheinlich zuerst auf diesen Verschlüsselungsalgorithmus auswirken. Das Risiko hierbei ist, dass ein Quantencomputer den privaten Schlüssel aus dem öffentlichen Schlüssel rekonstruieren könnte. Alte Bitcoin-Transaktionen verwendeten Pay-to-Public-Key (P2PK), bei dem der öffentliche Schlüssel offengelegt wurde. Das bedeutet, dass rund 1,7 Millionen Bitcoin besonders anfällig für Quantencomputer sind. Neuere Transaktionen verwenden die Pay-to-Public-Key-Hash (P2PKH). Diese legen den öffentlichen Key nur teilweise offen, sind aber auch nicht gefeit gegen Angriff von Quantencomputern, bieten aber ein gewisses Mass an Schutz.
In der Zukunft könnte die Bitcoin-Gemeinschaft beschliessen, die derzeit von Bitcoin verwendete Verschlüsselung auf quantenresistente Algorithmen zu aktualisieren – via Soft Fork. Alle Coins würden innerhalb eines bestimmten Zeitraums auf das neue Format übertragen. Alle Coins, die nach diesem Zeitraum nicht übertragen werden, könnten dann für ungültig erklärt werden, um zu verhindern, dass ruhende Coins oder solche mit offenen öffentlichen Schlüsseln den Markt überschwemmen.
Die Industrie wiegelt ab
Wenig erstaunlich, sieht sich die Bitcoin-Industrie wenig bis kaum bedroht. «Quantencomputer werden voraussichtlich in einigen Jahren die im Bitcoin-Protokoll eingesetzten Signaturverfahren angreifen können. Zentralisierte Systeme sind zwar ebenso verwundbar, können jedoch dank ihrer flexibleren Entscheidungsstrukturen schneller auf solche Bedrohungen reagieren», sagt Dominic Weibel, Head Research, bei Bitcoin Suisse.
Der Schweizer Bitcoin-Dienstleister Relai schreibt in einem Newsletter: Die Ankündigung zum neuen Willow-Chip habe eine Diskussion darüber ausgelöst, ob die Verschlüsselung von Bitcoin dadurch gefährdet sei. Die kurze Antwort sei: Nein. Der von Bitcoin für Signaturen verwendete kryptografische Standard könne theoretisch durch den Shors Algorithmus geknackt werden. Dafür wären jedoch Millionen von Qubits nötig, weit mehr als die 105 von Willow.
Der Bitcoin ist flexibel
Gemäss Relai könnte Grovers Algorithmus beim Mining die Sicherheit reduzieren, aber auch hier wären Millionen von Qubits erforderlich, um einen relevanten Effekt zu erzielen. Die Bitcoin-Community habe die Risiken von Quantencomputing erkannt und arbeite aktiv an quantensicheren Lösungen. «Willow ist also weit davon entfernt, Bitcoin zu gefährden. Selbst wenn es zu einer echten Bedrohung kommen sollte, ist Bitcoin flexibel genug, sich anzupassen», beruhigt Relai.
Um die Quantencomputer gibt es noch viele Konjunktive und Wenn und Aber. Die Technologie entwickelt sich aber rasant weiter. Aus der Theorie sind bereits erste funktionstüchtige Chips entstanden. Und es ist nicht nur Google, das an dieser Technologie arbeitet. Vor wenigen Tagen ist bei Arlesheim auf dem Innovationscampus von Uptown Basel «Quantum Basel» gestartet. In diesem Rechenzentrum werden Forscher oder Firmen Quanten-Rechenleistung einkaufen können.
Das tönt alles kompliziert und wenig gesichert. Nichts hasst der Markt – auch der Kryptomarkt – aber mehr als Unsicherheit. Neben Bitcoin feindlichen Staaten und Aufsichtsbehörden, Kritik am hohen Stromverbrauch und der Möglichkeit, dass ein besseres Konzept einer dezentralen Kryptowährung auf den Markt kommt, ist mit dem Quantencomputing eine weitere dunkle Wolke am sonst rosigen Bitcoin-Himmel aufgezogen.
Short cuts: News aus der digitalen Welt
Ein Schwergewicht betritt den Stablecoin-Markt
Ein Neuzugang bedrängt die Marktleader im boomenden Stablecoin-Segment. Allein in diesem Jahr hat sich das Transaktionsvolumen mit diesen Coins auf 1,35 Billionen Dollar mehr als verdoppelt. Nun lancierte Ripple den RLUSD. Der Coin ist vollumfänglich mit US-Dollar-Äquivalenten hinterlegt – also Dollar-Einlagen und -Anleihen. Die neue Währung soll für Cross-Border-Transaktionen, Treasury- und Liquiditätsmanagement, als Sicherheit für tokenisierte Werte und Integration in Decentralized-Finance-Anwendungen geeignet sein. Im Gegensatz zu anderen Kryptowährungen wird Ripple (XRP) von einem einzigen Unternehmen entwickelt, ausgegeben und kontrolliert.
Das Netzwerk positioniert sich nicht als Konkurrent von Kryptowährungen, sondern sieht sich eher als Alternative zum Swift-Zahlungssystem. Vor allem Banken nutzen das Open Source-Protokoll und das Netzwerk von Ripple. XRP ist aktuell mit einem Marktwert von 142 Milliarden Dollar die drittgrösste Kryptowährung. Der Stablecoin-Markt wird bisher von Tether dominiert, der mit einem Börsenwert von über 130 Milliarden Dollar drei Viertel der Stablecoin-Transaktionen ausmacht und auf Platz vier der Kryptowährungen rangiert. In der jüngsten Vergangenheit haben Visa, Paypal, Stripe und Blackrock Stablecoin-Initiativen angekündigt. Der Markt ist in Bewegung.
Er (oder sie) rückt vor auf der Reichstenliste
Bill Gates hat er hinter sich gelassen. Krypto-Boom sei Dank. Nach dem jüngsten Kursanstieg von Bitcoin über 106'000 Dollar ist Satoshi Nakamoto – vorläufig für kurze Zeit – zum 15. reichsten Mensch der Erde aufgestiegen. Der geheimnisvolle Schöpfer von Bitcoin liess Bill Gates, dem ein Vermögen von 107 Milliarden Dollar zugeschrieben wird, hinter sich. Es ist jedoch weiterhin nicht klar, ob Satoshi eine reale Person oder vielleicht sogar eine Gruppe von Personen ist. Laut dem Blockchain-Dienstleister Chainalysis beläuft sich Satoshis Bitcoin-Besitz auf 1,124 Millionen Bitcoin. In dieser Summe sind jedoch möglicherweise einige zusätzliche Wallets nicht berücksichtigt. Das ungelöste Rätsel um Satoshis Identität ist für den Kryptomarkt eine Hypothek, denn sein Wiederauftauchen und der Verkauf seiner Coins könnte ein Marktchaos auslösen.