Die Luft scheint draussen, der Bitcoin notiert um die 110'000 Dollar in etwa auf dem Niveau vom Mai dieses Jahres. Der Höchststand von deutlich über 123'000 scheint weit weg. Die bisherigen Treiber wie die institutionelle Akzeptanz und regulatorische Klarheit in den USA haben ihre Wirkung verloren – Donald Trump macht in anderen Bereichen Schlagzeilen. Die Förderung von Krypto scheint bei der US-Administration nicht mehr hohe Priorität zu geniessen.
Und in den Short Cuts diese Woche:
• Erste Schweizer Universalbank offeriert Krypto-Lombardkredite
• Die meist genutzten Blockchains
Die aktuell eher verhaltene Konsolidierung an den Kryptomärkten fällt gemäss Denis Oevermann, Investmentstratege bei Bitcoin Suisse, gemässigt aus. Der Bitcoin handle aktuell lediglich 8 Prozent unter seinem Allzeithoch vom 14. August. Ethereum habe 14 Prozent korrigiert, nachdem am 24. August ein Allzeithoch knapp unter der 5000-Dollar-Marke erreichte wurde. Bemessen am stetigen Abwärtstrend der Bitcoindominanz befänden wir uns aktuell bereits in der Anfangsphase, was man als Altcoinzyklus bezeichnen könnte.
Bitcoin-Schwäche führt zu Verunsicherung
«Für eine nachhaltige Altcoin-Season ist es jedoch essentiell, dass der Bitcoin entweder positive Preisperformance verzeichnet oder stabile Konsolidierungsphasen durchläuft», so Oevermann. Abrupte Preiseinbrüche bei Bitcoin, welcher immer noch eine Marktdominanz von 58 Prozent aufweise, führten sonst schnell zu Verunsicherung und amplifizierter Volatilität bei den Altcoins. Basiert auf der Bitcoin-Suisse-Modellierungen lautet seine Markteinschätzung, dass bis Jahresende die Preise von Bitcoin und Ether stark anziehen, die relativen Kursgewinne bei den «Large Caps» der Altcoins jedoch überwiegen könnten.
Viele Marktbeobachter sehen eine Altcoin-Season aufziehen. Damit ist eine Kryptomarkt-Periode gemeint, in der Altcoins, also alle Kryptowährungen ausser Bitcoin, stark im Wert steigen und die Bitcoin-Avancen übertreffen. Dieses Phänomen wird typischerweise durch einen Abfluss von Kapital aus Bitcoin in die Altcoin-Märkte ausgelöst, was zu einer breiten Outperformance vieler alternativer Kryptowährungen führt.
Im Juli hat sich eine solche «Season» angedeutet und Mitte September befanden wir uns gemäss dem CMC Index kurzzeitig in einem solchen Zyklus – zuletzt fielen aber die Kryptowährungen geschlossen. «Ein Altcoin-Zyklus tritt häufig dann ein, wenn sich der Bitcoin nach einer starken Phase konsolidiert oder seitwärts bewegt, und die Bitcoin-Dominanz abnimmt», sagt Sina Meier, Head of Switzerland, France, Benelux and Middle East beim Kryptodienstleister 21Shares. Genau das beobachtet sie aktuell: Der Bitcoin hat über Monate hinweg eine starke Performance gezeigt, insbesondere im Zusammenhang mit der ETF-Zulassung in den USA. Nun komme es vermehrt zu Umschichtungen in kleinere, spekulative Kryptowährungen.
Eine gesunde Korrektur
«Nach den Kursgewinnen über die vergangenen Monate sollte die jetzige Konsolidierungsphase nicht allzu sehr überraschen. Die hohen Liquidationszahlen an den Derivatemärkten – am Montag rund 1,7 Milliarden Dollar – trotz des moderaten Rückgangs deuten auf eine Überhebelung bei kurzfristigen Händlern hin», sagt Stefan Höchle, Head Investment Strategy von Digital Asset Solutions. Für eine nachhaltige Fortsetzung des Aufwärtstrends handle es sich entsprechend um eine gesunde Korrektur.
Über die nächsten Monate wird es gemäss Höchle einige Katalysatoren geben, die insbesondere den alternativen digitalen Assets zugutekommen. Die US-ETF auf Solana und XRP, deren Start Digital Asset Solutions noch im Oktober erwartet, dürften zu kräftigen Zuflüssen führen. «Auch kaufen Digital-Asset-Treasury-Firmen monatlich mehrere Milliarden in Ethereum, Solana und weiteren Altcoins», sagt Höchle. Bei einem Ausbruch auf neue Höchststände wäre eine Outperformance oder eben eine Altcoin-Season naheliegend, fügt er an.
«Ob wir bereits am Beginn eines ausgewachsenen Altcoin-Zyklus stehen, ist noch nicht abschliessend zu beurteilen. Erste Anzeichen sind vorhanden – entscheidend wird aber sein, ob sich die Rotation in Altcoins verstetigt, neue Kapitalzuflüsse entstehen und auch institutionelle Investoren in relevante Projekte einsteigen», so Meier. Seit der Zulassung der Bitcoin-ETF in den USA hat sich der Kryptomarkt verändert: Früher wurde Bitcoin oft direkt auf Kryptobörsen in Altcoins umgeschichtet – durch die stärkere Bindung von Kapital in ETF geschieht das heute weniger unmittelbar, sagt die 21Shares-Managerin.
Faktoren der Schwäche
Die aktuelle Marktschwäche lässt sich gemäss Sina Meier auf mehrere Faktoren zurückführen. Erstens auf makroökonomische Unsicherheit: Die unklaren Signale der US-Notenbank zu Zinssenkungen und geopolitische Spannungen belasten risikobehaftete Anlageklassen wie Kryptowährungen. Zweitens Gewinnmitnahmen: Nach der starken Kursentwicklung bei Bitcoin, Solana und Ethereum realisieren viele Investoren ihre Gewinne. Drittens Saisonale Effekte: Geringere Liquidität in den Sommermonaten kann Kursschwankungen verstärken. Viertens Technische Faktoren: Überkaufte Marktbedingungen und ein Rückgang der Handelsvolumina deuten darauf hin, dass der Markt eine Verschnaufpause braucht.
In welche Coins sollen die Investoren wechseln, wenn man sich für den Altcoin-Zyklus positionieren will? «Das Auswählen einzelner Titel gestaltet sich in allen Märkten schwierig. Gerade in den kleiner kapitalisierten Kryptowährungen herrscht ausserdem eine starke Informationsasymmetrie», sagt Stefan Höchle. Er empfiehlt deshalb den breit diversifizierten Ansatz, um von einem gesamthaft wachsenden Markt zu profitieren – ähnlich wie es an den Aktienmärkten mit Indizes getan wird. Das bilde Digital Asset Solutions in ihren Anlageprodukten regelbasiert ab.
Bitcoin Suisse möchte keine Anlageempfehlung abgeben, geht aufgrund von Analysen jedoch davon aus, dass die aktuell dominanten Player im Layer 1 Bereich wie Ethereum und Solana stark performen könnten, aufgrund ihrer starken Adoption aus dem TradFi-Bereich sowie bei Retailanlegern. Ebenfalls habe sich bereits abgezeichnet, dass die Sektoren DeFi, Tokenisierung im RWA (Real-World-Assets) Bereich sowie Infrastrukturprovider von Investoren präferiert werden, und folglich stark performten.
DeFi, Stablecoin und Tokenisierung
«Eine pauschale Empfehlung ist schwierig, doch in einer Altcoin-Season richtet sich der Blick meist auf Projekte mit überzeugendem Fundament, aktiver Entwickler-Community und klar erkennbarem Anwendungsfall», sagt die 21Shares-Managerin. Das sind nach ihrer Meinung Ethereum (ETH), wegen der breiten Nutzung im DeFi-, Stablecoin- und Tokenisierungs-Bereich, zudem nehmen die institutionelle Akzeptanz durch Staking und ETF zu. Auch Solana gehöre dazu. Dies sei eine sehr schnelle, kostengünstige Blockchain mit wachsendem Ökosystem, beliebt für skalierbare Anwendungen, beispielsweise tokenisierte Aktien. Ein weiterer Coin, den Meier empfiehlt, ist Hyperliquid (HYPE), eine innovative Börse für unbefristete Futures mit hoher Liquidität. Sie kombiniert dezentrale Börsen-Funktionalität mit der Effizienz zentralisierter Börsen.
Eine weitere Empfehlung von Meier ist Aave (AAVE), eine führende Kreditvergabe/Verleih-Plattform im DeFi-Bereich mit starken Fundamentaldaten. Ebenfalls zu ihren Tipps gehören Uniswap (UNI), eine der führenden dezentralen Börsen im Kryptobereich, sowie Dogecoin (DOGE). Dieser Coin ist bekannt für seine starke Community sowie günstige Transaktionen und habe trotz Meme-Charakter langfristig Nischenpotenzial.
Wichtig ist gemäss Sina Meier, dass der Fokus auf Projekten liege, die entweder reale Probleme lösen, eine nachhaltige Roadmap vorweisen oder eine extrem starke Community besitzen würden. Damit verweist sie auf einen wichtigen Punkt. In bisherigen Altcoin-Seasons liefen teilweise exotische, wenig bekannte Coins am besten. «In Hype-Phasen erzielen exotische Altcoins manchmal spektakuläre Gewinne, doch sie sind hochriskant und schwer einzuschätzen», sagt Meier. Die Auswahl der Altcoins sei mit der steigenden Anzahl an Token noch schwieriger geworden als in der Vergangenheit.
Shitcoins und Schrott erkennen
Für den «Durchschnittsanleger» ist es gemäss Meier meist nicht sinnvoll, auf Glückstreffer zu hoffen. Die Grenze zu «Schrottcoins» sei überschritten, wenn kein klarer Anwendungsfall erkennbar ist, keine transparente Roadmap oder Nutzer/Entwickler-Aktivität vorliegt, das Handelsvolumen extrem niedrig, der Token nur auf wenig bis nicht regulierten Börsen gelistet ist oder wenn das Projekt gar keinen Token braucht.
Der aktuelle Marktzyklus werde weniger von den Kapitalflüssen von Privatanlegern, sondern eher durch institutionelle und professionelle Anleger getrieben, sagt Oevermann. «In den vergangenen Zyklen führten lockere Geld- und Liquiditätspolitik dazu, dass selbst Altcoins ohne Adoption und konkreten wirtschaftlichen Nutzen sich im Preis durchschnittlich mehr als verzehnfachten. Im aktuellen Zyklus hingegen dominieren institutionelle Zuflüsse in ETF, Digital Asset Treasuries (DAT) und gezielte Akkumulation das Marktumfeld», fügt er an. Aufgrund der Abwesenheit grosser Retailzuflüsse würden die Kursgewinne auf wenige Altcoins fallen, welche durch nachhaltige Adoption und wachsender Nutzerzahlen wachsen. Ein gezieltes Altcoin-Picking sei im aktuellen Zyklus folglich von grosser Bedeutung, und zeitgleich aufgrund transparenter Daten zur Adoption vereinfacht.
Die sogenannten «Schrottcoins» oder auch «shitcoins» im Kryptojargon, welche keinen oder mangelhaften wirtschaftlichen Nutzen aufweisen, gibt es gemäss Bitcoin-Suisse-Stratege bedauerlicherweise nach wie vor. Investoren sollten ihr Augenmerk auf nachhaltigen Nutzen und die grundlegende wirtschaftliche Daseinsberechtigung von Tokens legen. Ebenfalls gilt es die Tokenomics, also die Verteilung der Tokens auf Insider, Team und frühe Investoren zu prüfen, um zu vermeiden, die neuesten «hot-tokens» zu akkumulieren, während sie von Insidern als Exit-Liquidität genutzt werden.
Ether noch immer ein Altcoin?
In den vergangenen Monaten hat sich Ethereum stark entwickelt und für viele Beobachter zu einer eigenen Krypto-Anlagekategorie – zwischen Bitcoin und klassischen Altcoins. Das sieht auch Meier so, für sie ist Ethereum längst nicht mehr nur eine Kryptowährung, sondern das Fundament/Infrastruktur für ein breites Spektrum an dezentralen Anwendungen und Finanzprodukten – vergleichbar mit einem globalen App-Store. «Mit der Umstellung auf Proof-of-Stake, attraktiven Staking-Yields und der möglichen ETF-Zulassung von Ethereum Staking ETF wird Ethereum institutionell zunehmend als Core-Asset wahrgenommen», fügt sie an.
Ethereum gehört für Höchle insofern zu den Altcoins, als dass die Plattform nicht mit Bitcoin als digitales Gold konkurriere, sondern mit anderen Technologieplattformen wie Solana. «Unseres Erachtens ist es allerdings sinnvoller zwischen den einzelnen Subsektoren zu unterscheiden, die den Kryptomarkt ausmachen. Dort wird Ethereum bei den Smart-Contract-Blockchains angesiedelt und ist dank der Pionierrolle klarer Marktführer», führt er aus.
Die ETF-Ströme ändern
«Ethereum kann sich über eine extreme institutionelle Beliebtheit freuen, von der nativen Adoption der Basechain, bis hin zur Akkumulation von Ether in ETF und Digital Assets Treasuries», sagt Oevermann. In den jüngsten Monaten lag die Quote der ETF-Nettozuflüsse in Bitcoin und Ether ETF bei einem vier bis zwanzigfachen Übergewicht für Ethereum, im Vergleich zu einer Marktneutralen Allokation basierend auf einem Grössenvergleich der Marktkapitalisierung. Bitcoin Suisse geht davon aus, dass sich dieser Trend in den kommenden Monaten fortsetzen wird, und noch weiteres Aufholpotenzial bei Ether gegenüber Bitcoin besteht.
Oevermann zählt weitere Indizien auf: Neuzugänge in den Kryptomarkt nehmen ab, was zu einem Verfall der Marktstimmung und Einbruch der Liquiditätszuflüsse führt; Kursgewinne bei Altcoins werden realisiert, und fliessen in Bitcoin zurück; die Bitcoindominanz erreicht den Zyklus-Tiefpunkt.
Short cuts: News aus der digitalen Welt
Erste Schweizer Universalbank offeriert Krypto-Lombardkredite
Die Luzerner Kantonalbank (LUKB) bietet den Kunden die Möglichkeit, die Kryptowährungen Bitcoin und Ethereum als Sicherheit für Lombardkredite einzusetzen. So erhalten Kunden Liquidität, ohne ihre Kryptobestände veräussern zu müssen. Die (LUKB) war bereits im August 2023 eine Pionierin, als sie als erste Schweizer Staatsbank ein umfassendes Krypto-Angebot ankündigte und dies einige Monate später lancierte (allerdings nicht mehr als erste KB). Wegen der Volatilität der Kryptowährungen setzt die LUKB bewusst konservative Beleihungswerte an und federt damit das Risiko kurzfristiger Kursschwankungen ab.
Die meist genutzten Blockchains
Nein, es sind nicht Bitcoin und Ethereum. Diese zwei Protokolle sind zwar nach Marktkapitalisierung die grössten Blockchains. Doch einige Protokolle haben deutlich mehr Nutzerzahlen, dies zeigen die durchschnittlichen wöchentlichen Nutzerzahlen von tokenterminal.com für die vergangene 365 Tage.