Digital Assets Briefing
Auch die stets positiven Branchenbeobachter revidieren ihre Kursziele nach unten. Die Ursachen sind aber angeblich «extern». +++ Dazu: Der Schweizer Krypto-Zauberlehrling setzt sich ab +++ Kraken leitet IPO ein.
20. November 2025 • Werner Grundlehner

Wie tief geht es noch mit dem Bitcoin? Das ist die bange Frage, die sich viele Kryptoinvestoren stellen. Und die Antwort ist wenig beruhigend, denn es könnte noch bedeutend tiefer gehen als die aktuelle Korrektur von deutlich über 25 Prozent seit dem Höchststand Anfang Oktober. Die junge Geschichte des Bitcoins lehrt einen, die Notierung ist volatil (auch wenn diese Schwankungsanfälligkeit kontinuierlich abnimmt) und bewegt sich in Zyklen. In den vergangenen drei Halving-Zyklen hat der Bitcoin in den «Kryptowintern» zwischen 75 und 85 Prozent an Wert verloren.



Und in den Short Cuts diese Woche:
• Kraken leitet IPO ein
• Der Krypto-Zauberlehrling setzt sich ab


Auch Brancheninsider sind zurückhaltend. «Unser Basis-Szenario ist, dass der Bitcoin Ende Jahr auf 85’000 Dollar notiert», sagte Adrian Fritz, Chefstratege des Kryptodienstleisters 21Shares in einem Podcast diese Woche. In seinem Negativszenario fällt der Bitcoin bis auf 55'000 und im optimistischen Ausblick notiert er bald wieder auf 100'000 Dollar. «Momentan wird der Kryptomarkt nicht von Fundamentaldaten getrieben, sondern von der Stimmung», fügt Fritz an. Und die Stimmung wird momentan am Aktienmarkt gemacht. Das zeigte sich mit dem Gewinnausweis von Nvidia. In den vergangenen Wochen waren die Stimmen, die vor einer Blase im Bereich KI (künstliche Intelligenz) warnten, immer häufiger und lauter geworden.

Nvidia bringt kurze Entspannung

Als Folge schwächelten als risikoreich geltende Assets, die in den vergangenen Monaten hohe Kursgewinne verzeichnet hatten, wie KI-Aktien und der Kryptomarkt. Das Quartalresultat von Nvidia galt als Lackmustest. Das Halbleiterunternehmen konnte die Prognosen übertreffen – der Bitcoin konnte sich in der Folge erholen und stieg wieder über 90'000 Dollar. Weil aber Nvidia in den vergangenen Quartalen, die Erwartungen immer pulverisiert hat und Übertreibungen im Markt ziemlich offensichtlich sind, reichte das nicht für einen kompletten Stimmungsumschwung.

Gracy Chen, die CEO der Kryptobörse Bitget, sieht jedoch einen Wettkampf der Risiko-Assets. Sie schreibt: «Kapital fliesst aus dem Kryptobereich in andere Wachstumsbereiche, wie etwa Künstliche Intelligenz und Halbleiter. In einem Umfeld mit begrenzter Liquidität wird Kapital naturgemäss in jene Anlageklasse gelenkt, die das stärkste Beta aufweist – in diesem Jahr ist das eindeutig KI, nicht Krypto». Dies sei kein Abbruch, sondern eine Rotation in einem liquiditätsarmen Umfeld.

Liquidität ist zentral

Der Kryptomarkt leidet unter einem Liquiditätsabfluss. So setzte die Schwäche am Kryptomarkt ein, als US-Präsident Trump am 10. Oktober den Handelskrieg mit China eskaliert und Importzölle von 130 Prozent verhängte. In der Folge wurden am Kryptomarkt gehebelte Position von 20 Milliarden Dollar aufgelöst. Gleichzeitig verfolgte die amerikanische Notenbank eine Straffung in der Geldpolitik und die erhofften Zinssenkungen blieben aus. Die Geldversorgung durch die Federal Reserve dürfte erst nach dem Jahreswechsel wieder expansiver werden.

«Bitcoin wird heute stärker von der US-Liquidität bestimmt als von der Stimmung der Anleger. Das interne Liquiditätsumfeld in den USA ist derzeit stark restriktiv: Die Fed zieht aktuell Geld aus dem System ab, Quantitative Tightening, die Renditen bleiben hoch und geplante Zinssenkungen sind vorerst vom Tisch», schreibt Gracy Chen. Zudem habe der Regierungsstillstand die Mittelzuflüsse im Treasury General Account (TGA) blockiert und somit fiskalische Liquiditätsinjektionen eingeschränkt. Der Kampf an der Oberseite der Preisspanne sei daher kein Versagen von Narrativen, sondern eine direkte Folge mangelnder Dollar-Liquidität.

Strategys Strategie imitiert

Ein wesentlicher Preistreiber der vergangenen Monate waren gemäss Stefan Höchle, Head Investment Strategy der Digital Asset Solutions, die zahlreichen Treasury-Unternehmen, die MicroStrategys fremdfinanzierte Bitcoin-Strategie nachahmen. Mit inzwischen einer Million Bitcoin verwalten diese Firmen rund zwei Drittel des Wertes, der in US-Bitcoin-ETF geflossen ist. «Bei einigen Späteinsteigern zeigen sich nun erste Risse. «Der Markt preist zunehmend das Szenario ein, dass bestimmte Unternehmen ihre Bestände veräussern müssen, um Schulden zu bedienen», sagt Höchle. Für den Pionier Michael Saylor erscheine dieses Risiko derzeit zwar gering, doch längst nicht alle Akteure haben ihre Unternehmensstrukturen ebenso robust aufgestellt. Der aktivistische Hedge Fund Glazer Capital beispielsweise gab kürzlich eine Beteiligung von 7,7 Prozent an Anthony Pomplianos Treasury-Firma ProCap Financial bekannt.

«Bei den Altcoins trennt sich nun klar die Spreu vom Weizen. In Phasen der Übertreibung zählen Fundamentaldaten weniger, in der Bereinigung aber umso mehr», ergänzt Höchle. Besonders die spekulationsgetriebenen Memecoins verloren überproportional, während einige DeFi-Projekte mit nachhaltigen Einnahmeströmen deutlich leichter einen Boden finden konnten.

Gewinnmitnahmen von Walen

Im Oktober wurde der Markt zudem mit Bitcoin-Beständen von Walen (Whales) geflutet. Diese Investoren, die Coins im Wert von 1 bis 100 Millionen Dollar besitzen, verkaufen rekordhohe Volumen. Das ist aber kein Zeichen von Panik, sondern Gewinnmitnahmen. Wenn man die Coins für ein-, zwei- oder dreistellige Beträge erworben hat, ist es angezeigt, auf einem Niveau um die 100'000 einen Teil des Gewinns zu realisieren. Doch solche Verkaufswellen verunsichern die Marktteilnehmer, die erst seit kurzem und aus rein finanziellen Überlegungen im Markt sind. So verzeichneten die Bitcoin-Spot-ETF auch hohe Abflüsse. Das Anlagevehikel von Blackrock, der Marktprimus, verzeichnete an einem einzelnen Tag Abflüsse von einer halben Milliarde. Das neue Anlageinstrument hat den Anlegern auch einen schnellen Kanal eröffnet, um in Krypto ein- und auszusteigen, was die Liquiditätsflüsse beschleunigt hat.

Jene, die aus tiefer Überzeugung in Bitcoin investiert sind, weil er ein sicheres, zensurresistentes Wertaufbewahrungs- und Zahlungsmittel ist, das von Regulatoren, Notenbanken und Regierungen nicht manipuliert werden kann, dürften in den vergangenen Jahren immer mehr in die Minderheit abgerutscht zu sein. Nicht weil viele den Glauben verloren haben, sondern weil die Zahl der Investoren stark zunahm, die Bitcoin einfach als eine weitere Anlageklasse mit hohen Kurspotenzial und guten Diversifikationsmerkmalen sehen. Das hat zur Konsequenz, dass sich die Kryptowährung immer stärker am traditionellen Finanzmarkt orientiert und «Blockchain-Kennzahlen» kaum mehr eine Rolle spielen.

Kaum Erfahrungswerte

Der Bitcoin weist erst eine kurze Geschichte auf. Ziehen schwarze Wolken über dem Finanzmarkt zusammen, werden Bitcoin-Käufer unsicher, die einzig die Absicht hatten, kurzfristig Kursgewinne zu erzielen. Es fehlt die mehrtausendjährige Geschichte des Goldes oder konkrete Produkte eines kotierten Unternehmens als Sicherheitsanker. Wenn der Markt in den «Risk-off-Modus» wechselt, ist Bitcoin – und andere Altcoins – beim 0815-Anleger, die erste Anlageklasse, die abgestossen wird.

«Man darf kurzfristige Volatilität nicht mit grundlegend ändernden Marktbedingungen verwechseln», sagt Fritz im Podcast. Es habe keine Hacks wie Mt. Cox gegeben, keine Konkurse wie Silicon Valley Bank, keine Betrügereien wie FTX oder regulatorische Verschärfungen. Das Stimmungstief sei von makroökonomischen Faktoren und der Anlegerstimmung getrieben. Die Industrie ist gemäss 21Shares-Stratege weiter am Expandieren. Als Beispiele nennt er Stablecoins, die fortschreitende Tokenisierung, mittlerweile sind 45 Milliarden Dollar in Wertschriften digital verbrieft, die steigende Zahl der Krypto-Anwender und die zunehmende Krypto-Adaption.

Die Branche expandiert weiter

Dass die Branche expandiert, zeigen etwa diese Beispiele: Mittlerweile investiert mehr als die Hälfte aller Hedge Funds in Krypto, im Vermögen der Stiftung der Harvard Universität ist Bitcoin zur grössten Einzelposition aufgestiegen, die tschechische Nationalbank kauft für eine Million Dollar Bitcoins und El Salvador nutzt die Kurs-Baisse, um das stattliche staatliche Krypto-Engagement weiter auszubauen.

Fritz meint dazu: «Die Zukunft wird langweilig, Transaktionen und Tokenisierung werden schneller und sicherer – ebenso Geldtransfer und Aktienhandel». Die Nutzer würden aber gar nicht mitbekommen, auf welcher Blockchain das geschieht. Er vergleicht das mit der Entwicklung des Internets von den Neunziger Jahren bis heute.

Der Bitcoin sei momentan ein Risk-on-Asset mit Risk-off-Eigenschaften. Bis das digitale Gold seine Vorteile gegenüber dem traditionellen Gold, wie 24/7-Handel oder endlose Teilbarkeit, ausspielen kann, braucht es aber noch Zeit.

Einmal mehr ist es so, dass Investoren, die den Bitcoin bei 124'000 Dollar attraktiv, aber zu teuer für einen Einstieg erachteten, die Kryptowährung auf dem aktuellen Niveau nicht als kaufenswert betrachten. Wie überall gilt auch beim Bitcoin: wenn man von der Anlage überzeugt ist, sollte man Rückschläge nutzen, um das Engagement auszubauen.

Kursziele verschoben

Die wichtigste Erkenntnis ist gemäss den Analysten von Leveraged Shares, dass es sich hierbei nicht um einen Zusammenbruch wie im Jahr 2022 handelt. «Die Fundamentaldaten sind stärker, die Regulierung klarer, die institutionelle Akzeptanz breiter und die Marktstrukturen robuster. Aber die Volatilität ist real und könnte sich verschlimmern, wenn sich das makroökonomische Umfeld weiter abschwächt», schreibt der ETP-Anbieter. Zu den wichtigen Risiken, die es zu beobachten gelte, gehörten ein mögliches Ausbleiben der Zinssenkung im Dezember, eine tiefere Korrektur bei Technologieaktien, beschleunigte ETF-Abflüsse und eine anhaltende Verschlechterung der Liquidität.

Rino Borini, Kryptoexperte, Dozent und Bertreiber des «House of Satoshi», führt die gleichen Risiken wie Leveraged Shares an. Er weist darauf hin, dass die Volatilität real sei und sich verschlimmern könnte, wenn sich das makroökonomische Umfeld weiter abschwäche. An seinem Kursziel von 150'000 Dollar hält Borini fest – verschiebt es einfach etwas weiter ins Jahre 2026.




Short cuts: News aus der digitalen Welt


Kraken leitet IPO ein

Die Kryptobörse Kraken macht mit dem Börsengang ernst. Am Donnerstag reichte das Unternehmen eine S-1-Registrierungserklärung bei der US-Börsenaufsicht SEC ein. Einzelheiten zum Zeitplan, Anzahl der Aktien oder der Preisspanne nennt die global sechstgrösste Kryptobörse noch nicht. Der mit Abstand grösste Handelsplatz ist Binance, vor Bybit, Bitget, Coinbase und OKX. Der Antrag erfolgt wenige Tage nach einer neuen Finanzierungsrunde. Kraken hat dabei 800 Millionen Dollar in zwei Tranchen über zwei Monate eingesammelt, die Bewertung des Unternehmens liegt nun bei 20 Milliarden Dollar. Coinbase ist an der Börse aktuell mit 68 Milliarden Dollar bewertet. Eine Tranche von 200 Millionen Dollar stammt dabei von Citadel Securities, einem Finanzdienstleister für Hedge Funds.

Kraken ist seit 2011 im Geschäft und bietet mehr als 450 digitale Assets, Futures, Aktien, ETF und institutionelle Services an. Die vertikal integrierte Architektur umfasst Exchange-Matching, Custody, Clearing, Settlement, Marktdaten und Wallet-Services. Krakens Filling reiht sich in eine Reihe von Krypto-Börsengängen seit der Rückkehr von Donald Trump ins Weisse Haus ein. Unternehmen wie Bullish, Circle und Gemini habe sich im laufenden Jahr kotieren lassen. Anfang November hat auch Grayscale den Antrag auf ein Listing an der New York Stock Exchange gestellt.


Der Krypto-Zauberlehrling setzt sich ab

Am 9. Juni werden zwei irakische Brüder im Kabinett von Nauru, dem Inselstaat im Pazifischen Ozean mit knapp 12'000 Einwohnern, zu Ehrenbürgern vereidigt. Unter der Leitung des amtierenden Obersten Richters Kini Viliame Keteca legten Dadvan Yousuf und Walat Yousuf ihren Eid ab und schworen Nauru ihre Treue. Dadvan Yousuf – da geht doch bei Krypto-interessierten Schweizern ein Licht an. Das war doch das dreijährige Flüchtlingskind, dass im Jahr 2003 mit der Familie in die Schweiz floh. Hier machte er sich im Selbststudium zum Kryptohändler und wurde mit 20 Jahren nach eigenen Angaben zum Multimillionär.

Gegenüber tippinpoint sagt Yousuf: «Ich möchte darauf hinweisen, dass ich mich bereits seit einiger Zeit vollständig aus der öffentlichen Berichterstattung zurückgezogen habe und grundsätzlich keine Auskünfte zu privaten, familiären oder persönlichen Angelegenheiten mehr gebe». Denn die Schweizer Medien stürzten sich auf die Erfolgsgeschichte des «Kryptowunderkindes».

Doch schnell waren auch Kritiker und Zweifler zur Stelle. Die Finanzmarktaufsicht (Finma) startet im Mai 2022 ein Enforcement-Verfahren gegen die von Yousuf gegründete Dorhnii Stiftung und den von dieser lancierten Token. Die Finma kommt zum Schluss, dass sich die Stiftung beziehungsweise ihr Gründer mit dem Verkauf von Dohrnii-Token ohne Bewilligung als Wertpapierhaus sowie als Finanzintermediär betätigt hat. Wegen schwerer Verletzung der aufsichtsrechtlichen Bestimmungen wurde Yousuf im März 2023 mit einer Unterlassungsanweisung belegt. Im Jahr 2022 führt der Kanton Bern ein Verfahren wegen Verdachts auf Geldwäscherei und Betrug gegen Yousuf durch – ohne dass bis heute ein Ergebnis publiziert wurde.

Heftig wird das Krypto-Wunderkind von SRF angegangen – doch Yousuf weiss sich zu wehren. Er geht gegen einen Online-Text vor, der ihn in die Nähe der Terrorfinanzierung rückt. Der Krypto-Unternehmer ist in erster Instanz erfolglos, doch nach dem Weiterzug erlässt die Staatsanwaltschaft Zürich gegen zwei SRF-Journalistinnen einen Strafbefehl wegen übler Nachrede. «Meine Tätigkeiten im Pazifik – wie auch anderswo auf der Welt – erfolgen stets im Rahmen langfristiger Zusammenarbeit mit lokalen Behörden und im Sinne konstruktiver Entwicklungen vor Ort», fügt Yousuf an. Zu laufenden oder geplanten Projekten in verschiedenen Ländern kommuniziere ich ausschliesslich direkt mit den betreffenden Regierungen und Institutionen, erteilt er der Frage nach seinen aktuellen Projekten eine Absage.

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