Ein jahrelanger Rechtsstreit konnte mit einem millionenschweren Vergleich beendet werden. Zum Eklat kam es, als die heutige NZZ-Präsidentin Chefin von IBM Switzerland war.
16. Mai 2023 • Beat Schmid
Seit knapp einem Monat ist Isabelle Welton Verwaltungsratspräsidentin der NZZ. An der letzten Generalversammlung löste sie Etienne Jornod ab, der das Amt während der letzten zehn Jahre ausübte. In ihrer Antrittsrede ging sie darauf ein, wie sie “den Wert und die Werte” der NZZ erhalten und weiterentwickeln will. Sie stehe für einen “konsequenten Fokus auf Qualitätsjournalismus mit liberalem Kompass” und eine “zeitgemässe Unternehmenskultur als Basis” ein.
Knapp einen Monat später wird Isabelle Welton von einem unschönen Rechtsfall eingeholt, der zu einem Zeitpunkt eskalierte, als sie Country Manager von
IBM Schweiz war. Nachdem Welton zuvor andere Funktionen beim Schweizer Ableger des US-Computerriesen innehatte, stiess sie im Januar 2010 an die Spitze der Schweizer Ländergesellschaft.
Im Februar 2010 kam es zum Eklat in einem bereits während Jahren schwelenden Streit zwischen IBM und der Genfer Kantonalbank. Unter Führung der gelernten Juristin kam es zur Eskalation: IBM Schweiz verlangte von der Genfer Kantonalbank ultimativ, während einer viermonatigen Übergangsphase monatlich fast 1,5 Millionen Franken zu bezahlen. Andernfalls werde man sämtliche Dienstleistungen unverzüglich einstellen.
Gericht bezifferte den Schaden auf 46,8 Millionen Franken
Weil das die Kantonalbank vor existenzielle Probleme stellte, musste das Institut bezahlen. Damit beendete
IBM Schweiz zwar die Kundenbeziehung zur
BCGE – doch der Rechtsstreit nahm damit erst richtig Fahrt auf. Wie die “
NZZ” gestern berichtete, kam es Ende 2022 zu einer Vergleichszahlung in der Höhe von 30 bis 40 Millionen Franken.
Zuvor verdonnerte das erstinstanzliche Genfer Gericht den Techkonzern zu einer Schadenersatzzahlung von 46,8 Millionen Franken. Das Genfer Kantonsgericht stützte den Vorentscheid weitgehend.
Dass es zu einem Abschluss des Verfahrens kam, wurde im Geschäftsbericht der BCGE nur sehr verklausuliert offengelegt: “Die Genfer Kantonalbank (BCGE) befand sich seit 2010 in einem Rechtsstreit mit einem Informatikanbieter bezüglich verschiedener Dienstleistungen und deren Verrechnungen. Dieser wurde Ende 2022 beigelegt und endete für die Bank mit einem Resultat.”
Die NZZ deckte den Fall gestern auf. Verwaltungsratspräsidentin Isabelle Welton wollte sich zum Streit gegenüber Tippinpoint nicht weiter äussern, wie sie über die Leiterin der Unternehmenskommunikation ausrichten liess.
Der Hintergrund
Im Zentrum der Auseinandersetzung steht die Migration der Kernbankensoftware von
BCGE auf eine neue Plattform. Im Jahr 2006 beauftragte die Bank die IT-Firma Unicible mit dem Job. Diese wurde ein Jahr später von
IBM Schweiz übernommen. Darauf kam es zum Streit, wie die Informatikarbeiten abzugelten seien. Während BCGE auf den mit Unicible festgelegten Pauschalpreis beharrte, forderte IBM Schweiz eine Bezahlung nach Aufwand. Diesen taxierte die BCGE wiederum als zu hoch.
Hinzu kam, dass die Software offenbar fehleranfällig war. Die Kantonalbank zählte rund 800 Zwischenfälle, die teilweise auch für die Nutzer spürbar waren. In einem Jahr habe BCGE mehr als 12’000 Kundinnen und Kunden verloren, schreibt die NZZ. Der Streit mit IBM spitzte sich zu. Unzählige Briefwechsel würden davon zeugen, wie jede Partei der anderen vorwarf, die vertraglichen Verpflichtungen nicht zu erfüllen, heisst es weiter.
Im Februar 2010 kam es schliesslich, wie erwähnt, zum Eklat: IBM kündigte die Verträge mit sofortiger Wirkung und stellte Millionenforderungen. BCGE musste zahlen. Gleichzeitig machte sie sich auf die Suche nach einem neuen IT-Dienstleister und wurde bei Swisscom IT Services fündig.
Der Rechtsstreit schwelte jahrelang weiter. Im Juni 2021 – mehr als zehn Jahre nach den Vorfällen also – erging schliesslich ein erstes Gerichtsurteil: Das erstinstanzliche Genfer Zivilgericht verurteilte IBM zu einer Schadenersatzzahlung von 46,8 Millionen Franken.
IBM rekurrierte gegen das Urteil. Doch auch das Genfer Kantonsgericht stützte letzten Oktober den Entscheid der Vorinstanz. IBM zog den Fall ans Bundesgericht weiter. Gleichzeitig starteten Vergleichsverhandlungen, die gemäss NZZ kurz vor Jahresende endeten. Das Resultat war, dass IBM sich verpflichtet hatte, der Genfer Kantonalbank zwischen 30 und 40 Millionen Franken zu bezahlen. Die Gelder seien bereits überwiesen.