Der Lack ist angekratzt
Die Zeitung demontiert den SNB-Präsidenten als pedantischen Mikromanager und Prinzipienreiter, der keine anderen Meinungen zulässt.
16. August 2023 • Beat Schmid

Ein Novum? Beobachter können sich jedenfalls nicht erinnern, dass die NZZ in den vergangenen Jahren die Schweizerische Nationalbank (SNB) als Institution und ihre Exponenten je so scharf kritisiert hätte. Im Gegenteil, die Berichterstattung war von tiefem Respekt und Zurückhaltung geprägt. Nicht selten wurden ehemalige NZZ-Journalisten in die Kommunikationsabteilung der SNB geholt.

Dass die Zeitung austeilen kann, musste vor einigen Monaten auch die Finma erfahren, der die Zeitung «Beisshemmung», «miserable Kommunikation» und «falsches Personal» vorwarf. Der SNB-Verriss (Abo) ist im Ton etwas gemässigter, in der Sache aber nicht weniger vernichtend.

Besonders schlecht kommt SNB-Direktoriumspräsident Thomas Jordan weg. Er habe seinen Einfluss in den vergangenen Jahren in einem «ungesunden Mass» ausgebaut, schreibt die NZZ. Der Artikel spricht unverblümt von einer «Machtkonzentration», die in einer «künftigen Krisensituation wie bei der Credit Suisse zum Problem werden könnte».

«Auch der Kompetenteste kann Situationen falsch einschätzen»

Vor allem die mangelnde «Meinungsvielfalt» an der Spitze der SNB würde Kenner beunruhigen. Mit Jordan konzentriere sich die Macht zwar auf eine hochkompetente Person, «aber auch der Kompetenteste kann Situationen falsch einschätzen». Für die NZZ ist das Problem klar: «Es fehlt ein Gegengewicht».

Einen Teil der Probleme führen die Journalisten auf Jordans Charakter zurück. Weggefährten würden ihn als einen Mann beschreiben, «der Prinzipien über alles stellt». Er habe einen «unbändigen Willen», die Kontrolle über das Geschehen um ihn herum zu behalten, was bei fast 1000 Mitarbeitern schwierig sei.

Vor allem aber, wenn es um den «Kern des SNB-Mandats» gehe, die Geld- und Währungspolitik, kenne Jordan keine Kompromisse: Kaum jemand traue sich, ihn inhaltlich herauszufordern. Wenn es so ist, wie die NZZ schreibt, wäre das in der Tat ein grosses Problem. Denn die Idee der geldpolitischen Lagebeurteilung wäre eigentlich, dass ein Expertengremium der SNB eine kontroverse Diskussion über die anstehenden Herausforderungen führt.

Die NZZ beschreibt Thomas Jordan als Kontrollfreak, der praktisch jedes Wort, das aus der SNB nach aussen dringe, kontrollieren wolle. Damit habe er so manchen hochrangigen SNB-Vertreter frustriert.

Martin Schlegel – eine Fehlbesetzung?

Wie die NZZ feststellt, hat die Machtkonzentration in jüngster Zeit noch zugenommen. Als Fritz Zurbrügg vor einem Jahr zurücktrat, wurde er durch einen Intimus Jordans ersetzt. Mit Martin Schlegel wurde ein Ökonom Vizepräsident, der vor 20 Jahren von Jordan als Praktikant in die Forschungsabteilung geholt worden war. Wie die NZZ schreibt, gilt Schlegel in ökonomischen Fragen als Ebenbild des Präsidenten. Zwischen die beiden passe kein Blatt.

Eigentlich hätte das Anciennitätsprinzip vorgesehen, dass Direktoriumskollegin Andréa Maechler als Vizepräsidentin nachrückt. Doch Jordan überging die Westschweizerin und setzte auf den vergleichsweise jungen Schlegel. Maechler hat die SNB inzwischen in Richtung BIZ verlassen. Dass Schlegel als Chef des auch für die Finanzstabilität zuständigen Departements im CS-Krisenjahr eine Fehlbesetzung war, wie Tippinpoint Ende Juni schrieb, dazu äussert sich die NZZ nicht direkt.

Unbestritten sind für die NZZ Jordans Qualitäten als Geldtheoretiker. Er habe es geschafft, dass die Teuerung in der Schweiz ab 2021 nie mehr als 3,5 Prozent betragen habe, während sie in Europa und den USA in der Spitze bei knapp oder über 10 Prozent gelegen habe. «Keine andere namhafte Zentralbank hat das geschafft. Ausser die SNB. Das macht Jordan zum heimlichen Star der Notenbank-Welt.»

Dieses Bild wirke auf den ersten Blick makellos. Doch bei genauerem Hinsehen zeigen sich eben auch Risse. Die Nationalbank könne nach dem Zusammenbruch der Credit Suisse nicht einfach so weitermachen wie bisher.

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