CO₂-Kompensationen
Ein Whistleblower und ein Projekt-Entwickler in Afrika geben schockierende Einblicke in das Vorzeigeunternehmen, das mit CO₂-Kompensation einen Milliardenwert erreicht hat.
25. Oktober 2023 • Beat Schmid

Über das Kompensationsprojekt Kariba in Simbabwe ist bereits viel Negatives bekannt. Doch was in den letzten Tagen bekannt wurde, schlägt dem Fass den Boden aus. Die Zürcher CO₂-Kompensationsfirma South Pole soll trotz interner Warnungen wissentlich wertlose CO₂-Papiere verkauft haben. Zudem habe CEO Renat Heuberger Bedenken über die Seriosität des lokalen Projektentwicklers in den Wind geschlagen.

Das sogenannte Kariba REDD+ Projekt ist eines der grössten CO₂-Kompensationsprojekte weltweit. Mit dem Waldschutzprojekt in Simbabwe kompensieren Unternehmen wie Gucci, Nestlé oder Volkswagen freiwillig ihre Emissionen, um sich mit dem Label «klimaneutral» schmücken zu können.

Das vor über zehn Jahren lancierte Projekt ist eng mit dem rasanten Wachstum und Erfolg der Zürcher Klimafirma South Pole verbunden. Die Firma, für die auch der grüne Nationalrat Bastien Girod arbeitet, ist in den letzten Monaten vermehrt in die Kritik geraten. Verschiedene Medien berichteten, dass nur ein Bruchteil der Gelder tatsächlich vor Ort in Simbabwe nachgewiesen werden konnte. Zudem wurde bekannt, dass das Unternehmen die Einsparungen viel zu hoch angesetzt hatte.

Eine neue Recherche des Magazins «The New Yorker» bringt nun haarsträubende Details ans Licht. Dirk Muench, ein alter Freund von Renat Heuberger, kam 2021 zu South Pole, nachdem er einige Jahre an der Wall Street gearbeitet hatte. Wie er dem Magazin erklärte, untersuchte er die Finanzströme im Fall des Kariba-Projekts und des Entwicklers dahinter – Steve Wentzel, ein Geschäftsmann aus Simbabwe.

Keine Belege für Geldübergaben

Nach monatelanger Kleinarbeit stellte er fest, dass die Gelder, die in das Projekt fliessen sollten, im Nirgendwo versickerten. Der Projektträger Wetzel konnte nicht nachweisen, wie das Geld investiert worden war. Nach langem Hin und Her schickte Wentzel eine Aufstellung, in der er Zahlungen in Höhe von sechs Millionen Euro aufführte. Doch auch diese Gelder konnten nicht verifiziert werden.

Am 9. Juli 2022 schickte Muench eine E-Mail mit der Betreffzeile «Red Flag» an Heuberger und andere Führungskräfte. Er berichtete, dass er nach einer langen Untersuchung nur zu dem Schluss kommen könne, dass der Grossteil der Gelder für das Kariba-Projekt in die «falsche Richtung» geflossen sei.

Wie der «New Yorker» schreibt, habe er Heuberger gedrängt, die Probleme zuzugeben: «Wir müssen an die Öffentlichkeit gehen, bevor es in der Presse steht». Doch Heuberger wollte offenbar nicht auf seinen alten Freund hören. South Pole zog Muench von der Untersuchung der Finanzen Wentzels ab. Laut Heuberger war das Kariba-Projekt so gut, wie es sein musste.

Projektbesitzer Steve Wentzel nutzte für die Transaktionen eine Offshore-Firma auf den britischen Kanalinseln. Wie er dem «New Yorker» sagte, sei es sehr schwierig gewesen, das Geld über offizielle Kanäle von Guernsey nach Simbabwe zu transferieren. Deshalb habe er es von Guernsey auf das Konto eines Bekannten überwiesen, der das Geld auf Mauritius, den Cayman Islands, den Seychellen oder in Russland haben wollte.

Dieser Bekannte, so Wentzel, habe dann dafür gesorgt, dass ihm der Gegenwert in US-Dollar nach Simbabwe «geliefert» wurde. Eine andere Möglichkeit: Er bezahlte eine Rechnung für jemand anderen, zum Beispiel für die Lieferung von Motorrädern, und diese Person lieferte ihm den gleichen Betrag in bar.

Am Ende habe er das Geld in bar an die Farmer und andere Begünstigte des Projekts verteilt. Auf diese Weise soll er Hunderttausende von Dollar unter die Leute gebracht haben. Doch Papiere, die diese Geldübergaben belegen würden, konnte er nicht vorweisen. «Für Europäer oder Amerikaner ist das nicht nachvollziehbar», sagt er. «Wie viele Menschen im Westen haben schon eine halbe Million Dollar in bar in der Hand gehabt?» Das sei illegal gewesen, sagt er, und er werde dafür wahrscheinlich ins Gefängnis gehen.

Wertlose Papiere verkauft

Die abenteuerlichen Geldflüsse sind nur ein Problem. Das andere ist, dass South Pole die CO₂-Einsparungen viel zu hoch angesetzt hat. Bei Projekten wie Kariba geht man davon aus, dass CO₂ eingespart wird, wenn eine bestimmte Waldfläche nicht abgeholzt wird. Um abzuschätzen, wie gross die Abholzung wäre, wenn das Waldgebiet nicht geschützt würde, wird ein ungeschütztes Waldgebiet als Vergleich herangezogen. Mit Hilfe von Satellitenbildern wird dann untersucht, wie viel in diesem Vergleichswald über einen Zeitraum von 10 Jahren abgeholzt wird. Die Differenz kann als CO₂-Einsparung verkauft werden.

Das Problem im Karbia-Projekt war, dass im Vergleichswald viel weniger abgeholzt wurde als ursprünglich angenommen. Erste Hinweise gab es schon vor Jahren. Doch als der Termin für eine Überprüfung durch die Rating-Firma Verra näher rückte, wurde das Problem immer drängender. Im September 2022 warnten Muench und andere Führungskräfte CEO Heuberger, dass man unmöglich noch mehr Zertifikate verkaufen könne.

Sie forderten Heuberger auf, den Verkauf von Kompensationsgutschriften für das Kariba-Projekt sofort einzustellen. «Wenn sich herausstellt, dass wir wissentlich Gutschriften verkauft haben, die nicht einer Tonne vermiedener CO₂-Emissionen entsprechen, würde das enormen Schaden anrichten», sagte Muench dem «New Yorker». Heuberger wies dieses Ansinnen zurück.

South Pole habe weiterhin enthusiastisch für Kariba geworben. Recherchen zufolge verkaufte das Unternehmen in den Monaten nach Bekanntwerden des Rechenfehlers mehr als drei Millionen ökologisch wertlose Gutschriften an Porsche, Nestlé und Nando's sowie an andere Unternehmen wie das Filmfestival von Cannes und ein Netzwerk australischer Zoos.

Gegenüber dem US-Magazin sprach Heuberger von einem «Shitstorm» auf dem Kohlenstoffmarkt. Er beschuldigte seinen alten Freund Muench, Umweltschützer und Ölkonzerne, die geheime Komplotte finanzieren, um diejenigen zu vernichten, die einen Preis für Kohlenstoff erheben wollen. Unterkriegen lassen will er sich nicht. «Wir sind hartnäckige Menschen, wir stehen immer wieder auf», sagte er.

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