Digital Assets Briefing
Die Verschmelzung der beiden Konzepte beschäftigt den Markt erst wenige Wochen. Trotzdem stellt der Bereich die erfolgreichsten Krypto-Werte im Jahr 2024. +++ Dazu: Fällt der Bitcoin auf 30’000 Dollar?
10. Januar 2025 • Werner Grundlehner

Es ist die Vermählung der beiden bisher wichtigsten Technologien des 21. Jahrhunderts – Künstlicher Intelligenz (AI) und Krypto. Innerhalb weniger Wochen sind KI-getriebene Projekte kombiniert mit Blockchain-Anwendungen zum heissesten Trend der Blockchain-Branche geworden. Und das mit einer Geschwindigkeit, die selbst im schnelllebigen Tech-Bereich noch nie gesehen wurde.



Und in den Short Cuts diese Woche:
• USA werfen Tausende Bitcoins auf den Markt
• Das treibt den Bitcoin 2025


Auch unter Branchenexperten wurde die Kombination erst im vierten Quartal des vergangenen Jahres zum populären Thema. Der Wert des Tokens von Virtuals Protocol kam erst Mitte Oktober in Bewegung, war aber Ende Jahr mit einem Plus von über 20’000 Prozent das beste Krypto-Investment 2024. Ähnlich sieht es für ai16z aus – dieser Token kam erst Ende Oktober in den Handel.

Im Markt herrscht momentan eine spekulative Beschleunigung, die sich aus der Zuversicht für die Krypto-Branche und den Wachstumsversprechen der KI-Technologie speist. Die Marktkapitalisierung etwa von Virtual Protocol mit 3,6 Milliarden Dollar lässt sich durch Daten nicht rechtfertigen. Die Marktteilnehmer erwarten in diesem Gebiet Expansionsraten, die sich nicht aus herkömmlichen Messgrössen ableiten lassen.

Hyperdynamisches Umfeld

Auch Marc Baumann, Web3-Experte, Gründer und CEO von FiftyOneVentures, sieht ein hyperdynamisches Umfeld: «Die Entwicklung im Bereich von AI und Web3 führt zu einer noch nie dagewesenen Dynamik bei AI-Tokens. Das Spannende ist, dass wir nicht nur technologische Innovationen erleben, sondern auch die Verschmelzung zweier Systeme: intelligente, autonom agierende AI-Agenten und die ökonomischen Effizienz von Blockchain-Technologien.» Plattformen wie Virtuals und Frameworks wie Eliza beschleunigen gemäss Baumann diese Entwicklung. AI-Agenten, die eigenständig wirtschaftliche Entscheidungen treffen und diese sicher über Blockchains abwickeln würden, könnten das Herzstück einer völlig neuen digitalen Ökonomie werden.

AI-Agenten sind eine Weiterentwicklung von bestehenden Algorithmen, insbesondere Large Language Models (LLM). Wie LLM verwenden AI Agenten Algorithmen des maschinellen Lernens, um aus den gesammelten Daten Muster, Regeln oder Modelle abzuleiten. Darauf basierend können sie Entscheidungen treffen oder Aufgaben ausführen. Ausserdem sind sie in der Lage, mit ihrer Umgebung zu interagieren, sei es physisch in Form von Robotern oder virtuell in Form von Computerprogrammen, und sich so an veränderte Bedingungen anzupassen und kontinuierlich zu verbessern.

Grundsätzliche Differenzen der Technologien

Die beiden revolutionären Technologien AI und Krypto weisen wenig Berührungspunkte auf und sind unabhängig voneinander entstanden. Trotzdem ergänzen sie sich: Während KI die Fähigkeit mitbringt: aus Daten zu lernen und Vorhersagen oder Entscheidungen zu treffen, bietet Blockchain-Technologie, auf der etwa Kryptowährungen basieren, ein dezentrales und sicheres Datenmanagementsystem. Obwohl die Branche vom neuen Trend schwärmt – so schreibt Bitpanda: «KI-Kryptowährungen stehen an der Spitze von Blockchain- und KI-Technologien und bieten einzigartige Investitionsmöglichkeiten» – gibt es Differenzen in der grundsätzlichen Philosophie der beiden Konzepte.

Darauf macht etwa Cardano-Gründer und CEO Charles Hoskinson – er ist auch Ethereum Mitgründer – aufmerksam. Krypto und KI seien in einigen Punkten inkompatibel. Während Kryptowährungen üblicherweise das Ziel verfolgten, die Privatsphäre des Nutzers zu verbessern, sei für Privatsphäre im Umgang mit künstlicher Intelligenz kein Platz. Auch die in der Kryptobranche beliebte Verknappung von Rohstoffen sei für die KI-Branche uninteressant. Dort gelte: Je mehr Daten verfügbar seien desto besser funktionierten die Systeme. Verschlüsselung spielt in der Kryptobranche seit jeher eine wichtige Rolle. Im Umgang mit KI empfindet der Cardano-Gründer den Zustand der Vertraulichkeit als immenses Problem. Hoskinson hofft auf den künftigen Einsatz homomorpher Verschlüsselung. Diese ermöglicht die Verwendung verschlüsselter Daten ohne Offenlegung der Informationen.

Aus IoT entwickelt sich EoT

«Wir glauben, dass Krypto x KI (so nennt er die Kombination AI/Blockchain), welche die Explosion von KI-Agenten einschliesst, der Haupttreiber des kommenden Zyklus und darüber hinaus sein wird», sagt Baumann. Dieser Markt werde grösser sein als das, was wir vor ein paar Jahren mit DeFi und NFTs gesehen hätten.

Die Verbindung von KI und Web3-Technologie soll gemäss Tech-Blog von hy (the Axel Springer Consulting Group) die Grundlage der Economy of Things (EoT) bilden – eine Weiterentwicklung des Internet of Things (IoT). Das IoT ermöglicht die Vernetzung und den Datenaustausch zwischen verschiedenen Geräten. Es handelt sich um ein grosses Netzwerk verbundener Geräte (z.B. produzierende Maschinen, E-Auto-Ladesäulen, Autos, oder Haushaltsgeräte), die alle Daten sammeln und austauschen. Dadurch lassen sich Prozesse optimieren und Aufgaben automatisieren. Auch die Entscheidungsfindung wird durch ein IoT-Ökosystem erheblich verbessert: Echtzeitdaten ermöglichen eine präzisere und schnellere Reaktion auf Produktionsänderungen und Marktanforderungen.

Maschinen agieren selbständig in der Wirtschaft

Die Economy of Things erweitert das Konzept, indem die vernetzten Geräte zu wirtschaftlichen Akteuren werden. Als solche können sie direkt an Transaktionen teilnehmen und den von ihnen geschaffenen Wert monetarisieren. Dabei kommen Blockchain-basierte Technologien wie Smart Contracts sowie dezentralisierte Identitätslösungen zum Einsatz. Diese ermöglichen es, die Vorteile dezentraler Netzwerke und intelligenter Entscheidungsfindung zu nutzen. KI setzt Lernalgorithmen und prädiktive Analysen ein, um die umfangreichen Datenströme von vernetzten IoT-Geräten zu verwalten und zu analysieren.

Das Konzept der «Economy of Things» ist gemäss Baumann nicht mehr nur eine Vision, sondern wird zunehmend Realität. AI-Agenten, die sich autonom vernetzen, wirtschaftliche Entscheidungen treffen und Wertschöpfung monetarisieren, seien bereits im Einsatz – wenn auch noch in einer frühen Phase. Die Prognose des FiftyOneVentures-Gründer: «Bald werden einige dieser AI-Agenten mehr ökonomischen Wert schaffen als Unternehmen. Ihre Autonomie, Effizienz und Fähigkeit, ohne menschliches Zutun wirtschaftliche Entscheidungen zu treffen, könnte die Spielregeln der globalen Wirtschaft fundamental verändern. Es ist nicht mehr die Frage, ob dies geschieht, sondern wie schnell wir uns auf diese neuen wirtschaftlichen Realitäten einstellen».

Es ist also möglich, dass eine Krypto-KI-Anwendung schon bald Vermögen aktiv verwaltet, ohne dass ein menschliches Wesen Einfluss nimmt. Und das ist erst eine «einfache» Lösung, die Möglichkeiten scheinen unendlich.

Entsteht so eine Welt, in der AI-Agenten die Krypto-Branche entwickeln, ohne das Zutun von Menschen? Gemäss Marc Baumann ist das theoretisch möglich, praktisch werde es davon abhängen, wie gut wir diese Agenten mit Regeln, Sicherheitsmechanismen und Anreizen ausstatten. Menschliches Eingreifen werde vorerst unverzichtbar bleiben, um ethische und strategische Leitplanken zu setzen.

Wo soll der Investor einsteigen?

Auf die Frage, ob sich abschätzen lasse, welche Anwendungen wirkliches Marktpotenzial aufweisen, antwortet Baumann: «Einschätzungen sind möglich, aber schwer zu generalisieren. Einige klar definierte Use Cases wie autonome Trading-Agenten, DeFi-Optimierung oder personalisierte Service-Agenten zeigen bereits heute vielversprechendes Potenzial.» Plattformen wie Virtuals und ai16z zielten darauf ab, die Entwicklung solcher Anwendungen zu erleichtern, und er sehe bereits spezialisierte Agenten wie AI xbt (Trading) oder Zerobro (kreative Inhalte), die erfolgreich Nischen dominieren. Diese AI-Agenten seien aber noch in den Kinderschuhen und erst wenige Monate alt. Es werde viel experimentiert. Die Herausforderung bleibt gemäss dem Web3-Experten, nachhaltige Ökosysteme zu schaffen, in denen Token-Wert und tatsächlicher Nutzen in Balance stünden.

Er sehe zunehmend AI-Agenten, die mit einem eigenen Token starten, obwohl dieser oft keinen wirklichen Nutzen habe, sagt Baumann. Solche Projekte würden weniger auf einer soliden Vision oder nachhaltigem Nutzen basieren, sondern nutzten die Aufmerksamkeit, die AI und Krypto derzeit erhalten. «Langfristig wird sich zeigen, welche Projekte echte Werte schaffen, indem sie reale Probleme lösen», so der Web3-Experte. Ob der Durchschnittsanleger Krypto-Assets wie Virtuals investieren sollte, hänge stark von seinem Verständnis, seiner Risikobereitschaft und seiner Fähigkeit ab, zwischen Hype und tatsächlichem Potenzial zu unterscheiden.

Eher die «Schaufeln» kaufen

Baumann sei mit einigen Gründern solcher Projekte in Kontakt und könne sagen: «Diese Entwicklungen passieren so rasant, dass auch für sie vieles neu ist, Die Fortschritte in der KI-Technologie schreiten so schnell voran, dass niemand abschätzen kann, wo wir in ein oder zwei Jahren stehen. Es ist eine Zeit grosser Unsicherheit, aber auch vieler Chancen.»

Wie in jedem Trend ist es am sichersten – wenn man in einem derart volatilen Umfeld überhaupt von «Sicherheit» sprechen kann – nicht auf die «Goldgräber», sondern die «Lieferanten von Schaufeln» zu wetten. Im Bereich AI/Krypto sind das nicht KI-Agenten oder Token, sondern die Rahmenbedingungen und Plattformen, die sie antreiben. Ähnlich wie bei DeFi werden auch beim neusten Trend diejenigen belohnt, die die grundlegende Infrastruktur, Tools und Plattformen auf dem Web3 aufbauen und zur Verfügung stellen.



Short cuts: News aus der digitalen Welt


USA werfen Tausende Bitcoins auf den Markt

Die Vereinigten Staaten – wohlgemerkt noch unter der Administration Biden – machen auf Sachsen. Das deutsche Bundesland hatte im Jahr 2024 grosse Bestände von Bitcoin aus Gerichtsverfahren verkauft. Nur um nach einigen Monaten festzustellen, dass sich der Bitcoin-Kurs verdoppelt hatte und der Staatskasse Milliarden entgangen waren. Ob es in den USA gleich herauskommt, muss sich weisen. Die amerikanische Regierung hat am 30. Dezember 2024 die gerichtliche Genehmigung erhalten, 69’370 beschlagnahmte Bitcoin aus dem Verfahren gegen den berüchtigten digitalen Schwarzmarkt Silk Road zu verkaufen. Diese Bitcoin, die derzeit einen Wert von rund 6,5 Milliarden Dollar haben, sorgen für Verkaufsdruck. Der Bitcoin-Wert ist vom Höchst von deutlich über 100’000 Dollar auf rund 92’000 gefallen. Einige Marktbeobachter befürchten eine Kettenreaktion mit einer Reihe von Bitcoin-Liquidationen und sagen deutlich fallende Kurse voraus. Der bekannte Analyst Jacob King geht sogar von Werten unter 30’000 Dollar aus.


Das treibt den Bitcoin 2025

Obige Meldung wird die älteste Kryptowährung unter Druck bringen. Was steht aber längerfristig im laufenden Jahr in den Karten für den Bitcoin. «Garantierte» Werte-Booster wie die ETF-Zulassungen und das Halving wie 2024 stehen nicht an. An den Finanzmärkten ist es so, dass bereits Bekanntes eingepreist ist, auch wenn es erst später eintritt. Dass mit Donald Trump eine «Krypto-Präsident» das Amt in den USA übernimmt, dass der kryptofeindlich Chef der Börsenaufsicht abtritt und durch eine Pro-Krypto-Person ersetzt wird, dass die USA eine strategische Reserve in Kryptowährungen anlegen will und dass das Unternehmen MicroStrategy für 42 Milliarden Dollar Bitcoin kauft, ist deshalb bereits berücksichtigt. Falls die strategische Reserve in den USA grösser als erwartet wird oder Trump weitere Krypto-Massnahmen ergreift, würde es dagegen den Bitcoin-Wert antreiben. Ansonsten sind unerwartete Ereignisse gefragt – aber logischerweise kaum vorhersehbar.

Der Vermögensverwalter Fidelity Digital Assets, eine Tochter von Fidelity Investments, erwartet, dass im Jahr 2025 mehr Zentralbanken Bitcoin kaufen werden. Der Vermögensverwalter geht auch davon aus, dass weitere Staaten die USA kopieren und eine strategische Reserve anlegen werden. Auch MicroStrategy dürfte Nachahmer in der Unternehmenswelt finden. In wichtigen Ländern stehen 2025 Wahlen an, die Chance besteht in zahlreichen Ländern, dass liberalere, kryptofreundliche Regierungen an die Macht kommen, insbesondere in Kanada – eventuell auch in Deutschland. Keine Durchbrüche wird der Bitcoin 2025 im für ihn angedachten Aufgabenbereich, als eines vom Finanzsystem unabhängigen, digitalen Zahlungsmittels, machen. Auch im laufenden Jahr wird ein substanzieller Anteil aller Bitcoins bei Intermediären in Verwahrung sein.

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