Letzte Woche gab Raiffeisen erstmals Einblick in ihre Informatik-Probleme. An einem Treffen der regionalen Genossenschaften in Luzern rapportierte die Zentralgenossenschaft aus St. Gallen über die Hintergründe, warum sie letzten Herbst urplötzlich einen Marschhalt bei der Entwicklung einer neuen App einlegte und weshalb zwei weitere Informatikprojekte im Bereich Hypotheken und der Kundenberatung grosse Verzögerungen aufweisen.
Sie legte dabei auch eine Zahl offen, die sie später in einer Newsmeldung auf der Website veröffentlichte, die die Bank jedoch nicht an die Medien verschickte. Darin räumte sie ein, dass allein der Übungsabbruch der neuen App zu «nicht weiterverwendbaren Investitionen» von 47 Millionen Franken führt. Der Finanzblog Inside Paradeplatz berichtete zuerst über diesen Verlust.
Nach dem im letzten Oktober beschlossenen Marschhalt kommt jetzt also der Abbruch. Die App wird nicht weiterverfolgt, gewisse Entwicklungen werden in die bestehende App integriert. Alles andere wird geschreddert. Hinzu kommen weitere Probleme, von denen bislang nur wenig bekannt war: Neben der App entwickelte Raiffeisen auch an zwei neuen Prozessen für den Bereich Hypotheken und in der Finanzberatung.
Drei Projekte: App, Hypo und Beratung
So sollten die regionalen Genossenschafter Werkzeuge in die Hand bekommen, die den Prüf- und Bewilligungsprozess von Neu-Hypotheken stark beschleunigt und vereinfacht hätten. Das dritte Projekt war eine Entwicklung, um den Beratungsprozess an der Kundenfront zu standardisieren und zu optimieren. Die Lösung hätte den Beraterinnen und Beratern helfen sollen, die Kunden mit den optimalen Bankdienstleistungen zu versorgen. Auch diese Projekte liefen lange in die falsche Richtung und werden jetzt neu aufgestellt, weshalb es zu grossen Verzögerungen kommt.
Man könnte die Verirrungen in der Raiffeisen-Informatik-Entwicklung nun unter schlechtem Projektmanagement abhaken. Doch so einfach ist das nicht. Es war der frühere Raiffeisen-CEO Heinz Huber, der 2022 die Weichen für das Debakel stellte. Damals baute er einen eigenständigen Bereich auf, in dem die IT-Projekte zentral angesiedelt wurden. Geleitet wurde die Abteilung von Uwe Krakau, einem ehemaligen Avaloq-Manager, der von Heinz Huber den Titel Chief Operating Officer bekam.
Laut mehreren Insidern bestand das Problem nun darin, dass die Abteilung von Krakau losgelöst von den Business-Einheiten an den Projekten werkeln konnte. Einen Austausch über Funktionalitäten und den Fortschritt der Entwicklung zwischen dem Team von Krakau und dem Business gab es kaum. Das war ein Setup, der so von Huber gewollt war. Huber war neben dem Team von Krakau auch der ganz wenigen, der stets im Bild über den Stand der Entwicklungen war.
Gesichtswahrende Lösung
Gemäss Recherchen behielt Huber viele Informationen für sich, was zu Spannungen in der Geschäftsleitung führte. Auf Druck der Business-Einheiten wurde eine Review in Auftrag gegeben, die verheerend ausfiel – das war der entscheidende Schritt, der die Wende einleitete.
Doch es verstrich nochmals wertvolle Zeit, bis der Verwaltungsrat vollständig über das Debakel ins Bild gesetzt war. Als es dann endlich so weit war, kam es im Oktober 2024 zum Entscheid, die Projekte vorläufig zu stoppen und die Abteilung von Krakau wieder aufzulösen. Krakau und weitere Mitglieder seines Teams verliessen Raiffeisen beziehungsweise befinden sich im Gardening Leave.
Auch Heinz Huber verliess zwei Monate nach Ankündigung des Projekt-Stopps Raiffeisen und wechselte als Verwaltungsratspräsident zur Graubündner Kantonalbank. Für Heinz Huber sei das eine schonende, gesichtswahrende Lösung, sagt ein Insider. Klar war, dass er nach den Millionenverlusten als CEO bei Raiffeisen sich nicht mehr halten konnte. Ein Sprecher von Raiffeisen nahm nicht weiter Stellung zu den IT-Problemen und verwies auf das öffentliche Statement.