Steigende Zinsen
Die Ära des billigen Geldes geht zu Ende. Vielleicht führen die steigenden Zinsen zu einer Rückkehr der Vernunft bei den Investoren.
22. Dezember 2022 • Beat Schmid

Vor einem Jahr ging eine scheinbar unendliche Party zu Ende. Nach der Finanzkrise 2008 wurden die Zinsen auf null und unter null gesenkt, um die Wirtschaft anzukurbeln. In der Folge wurde viel Geld in Bereiche gepumpt, die aus heutiger Sicht – sagen wir – fragwürdig sind.

Zum Beispiel Kryptos. Ende 2021 auf dem Höhepunkt der Blase betrug die Marktkapitalisierung aller Kryptowährungen wie Bitcoin und Ether 3000 Milliarden Dollar. Heute liegt dieser Wert bei knapp über 800 Milliarden. Letztes Jahr wurden auch Unsummen in sogenannte NFTs gesteckt, in “bored apes” etwa, in gelangweilte Affen.

Zum Beispiel Metaverse. Mark Zuckerberg von Facebook sagte letzten Oktober, dass er zig Milliarden Dollar in die Entwicklung eines eigenen Metaversums stecken werde. Er ändere sogar den Namen seiner Firma. Jetzt riskiert er, sein Social-Media-Imperium an die Wand zu fahren. Seit Jahresbeginn liegt die Aktie 64 Prozent im Minus.

Oder selbstfahrende und fliegende Autos. Ford hat im Oktober seine Abteilung für selbstfahrende Autos aufgelöst. Das Unternehmen ist sich nicht mehr sicher, wie schnell die Fahrzeuge lernen werden, sich selbst zu steuern – und zwar so, dass Aufsichtsbehörden und Versicherer ihr Plazet geben. Auch der steile Abschwung der Tesla-Aktien dürfte zu einem guten Teil damit zusammenhängen, dass die Märkte die Selbstfahr-Utopien einfach nicht mehr glauben. Eine ganze Weile lang dürften auch fliegende Autos und Lufttaxis Utopien bleiben.

Die Rolle der Venture-Capital-Firmen

Eine wichtige Rolle bei der Festsetzung von Trends spielen Venture-Capital-Firmen. 2021 flossen rekordverdächtige 630 Milliarden in Jungunternehmen. Wegen der Zinserhöhungen wird das Geld, das in Innovationen fliesst, nun umverteilt. Gemäss CBInsights sanken die weltweiten VC-Finanzierungen in den neun Monaten bis September 2022 auf 329 Milliarden Dollar. Das entspricht einem Rückgang von 27 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Diese Entwicklung muss nicht nur schlecht sein. Es kann dazu führen, dass die verfügbaren Mittel in Bereiche fliessen, die einen echten Nutzen versprechen. Dass mit den Mitteln Innovationen gefördert werden, die die Produktivität steigern und die Lebensqualität verbessern. Wenn eine neue Nüchternheit einkehrt, werden vielleicht wieder mehr Mittel in die Verbesserung von Computerchips oder Roboter fliessen, in die Nanotechnologie, in die Medizin oder die Erforschung der künstlichen Intelligenz.

Tiefe Renditen haben institutionelle Investoren dazu getrieben, Vorsorgegelder in Krypto-Börsen wie FTX zu stecken. Es ist zu hoffen, dass die steigenden Zinsen dazu führen werden, dass das kostbar gewordene Kapital tatsächlich sinnvoller eingesetzt wird.