Sexismus-Skandal
An der Medienkonferenz der TX Group nahm der Verwaltungsratspräsident auch Stellung zum Fall Canonica/Roshani.
10. März 2023 • Beat Schmid

Zuerst ging es auf eine Besichtigungstour durch die neuen Tamedia-Redaktionsräume am Stauffacherquai. Schon bald werden dort auf mehreren Stockwerken über 300 Journalistinnen und Journalisten an ihren Artikeln schleifen. Im Parterre, wo vor vielen Jahrzehnten eine mächtige Druckmaschine stand, wird das Herz der Redaktion pochen – der zentrale Newsroom, wo alle Geschichten zusammenlaufen.

Dort nahm Tamedia-Verleger Pietro Supino erstmals öffentlich Stellung zum Sexismus-Skandal, der das Zürcher Verlagshaus international in die Negativschlagzeilen brachte. Die Korrespondentin der Süddeutschen Zeitung wollte wissen, ob der letzte Woche angekündigte Totalumbau der Chefredaktion mit dem Fall Canonica zu tun hat – was verneint wurde.

Vielmehr sei der Umbau seit längerer Zeit geplant gewesen. Wir wollten eine Verkleinerung und Verjüngung der Chefredaktion, sagte TX-Verwaltungsrat Mathias Müller von Blumencron, der interimistisch den Bereich Publizistik und Produkt innerhalb des Tamedia-Zeitungsgeschäfts leitet.

Ungeklärte Frage

Bisher ungeklärt war, wer genau bei Tamedia den umstrittenen Untersuchungsbericht der Kanzlei Rudin Cantieni in Auftrag gab, der den Vorwürfen “betreffend sexueller Belästigung, Mobbing und Diskriminierung in der Redaktion von ‘Das Magazin’” nachging, wie es im Bericht heisst.

Für die bekannte Governance-Spezialistin und Strafrichterin Monika Roth ist das eine entscheidende Frage, wie sie gegenüber Tippinpoint sagte. Sie würde gerne wissen, wer den Bericht in Auftrag gegeben hat und wie die Gutachterfrage lautete.

Die erfahrene Expertin kritisierte das Gutachten. Ihr falle auf, dass der Bericht Vorwürfe von ganz unterschiedlicher “Flughöhe” gegenüberstellt. Das Gutachten übergehe, dass es sich wohl mehrheitlich um Vier-Augen-Situationen gehandelt habe, und tue so, als ob ein eigentliches Beweisverfahren mit Beweislastregeln angemessen gewesen wäre. “Mich macht das misstrauisch”, sagte sie.

Harte Befragung

Auf die Frage, wer den Auftrag für den Untersuchungsbericht gegeben hatte, fragte Verleger Pietro Supino zunächst zurück, welche Rolle das spiele. Auf Nachfrage bestätigte er, dass er als Präsident in die Auftragsvergabe involviert war. Zur Gutachterfrage sagte Supino, dass diese von der Kanzlei Rudin Cantieni empfohlen wurde. Tamedia habe ja keine Erfahrung, wie man das mache, sagte er.

Die Untersuchung scheint mit einer ziemlichen Härte durchgeführt worden zu sein. Der beschuldigte Ex-Magazin-Chefredaktor Finn Canonica musste sich nach den Befragungen der Anwälte, die zum Teil sieben Stunden dauerten, für sieben Wochen in eine Klinik begeben, wie er in einem Interview bei Roger Schawinskis Radio 1 sagte.

Anuschka Roshani, die mit ihren Mobbing- und Sexismus-Vorwürfen die Untersuchung ausgelöst hatte, wurde während neun Stunden vernommen, schrieb sie in ihrem “Spiegel”-Gastbeitrag.

Später verweigerte sie die Kooperation mit Rudin Cantieni. Nach den ersten Befragungen “liess sie – ohne Vorlage eines Arztzeugnisses – mitteilen, dass sie für die weitere Untersuchung nicht mehr zur Verfügung stehe”, heisst es in der Zusammenfassung des Untersuchungsberichts.

Möglicherweise wird der Fall noch die Gerichte beschäftigen. Anuschka Roshani hat Klage gegen den Zeitungsverlag eingereicht. Auch Finn Canonica prüft juristische Schritte.

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