Der Staat, der Retter
Der Staat sei der Credit Suisse zu spät zu Hilfe gekommen, sagt der ehemalige Präsident der Grossbank. Jahrelang plädierte der liberale Strippenzieher für mehr Eigenverantwortung und weniger staatliche Einmischung. Und jetzt das.
6. Juni 2023 • Beat Schmid

«Die Schweiz hat zu lange gewartet», sagt Walter Kielholz im Interview mit dem Tages-Anzeiger. Regierung, Nationalbank und Finma hätten schon im Herbst die Dringlichkeit erkennen und sagen müssen: «Jetzt müssen wir handeln.» Stattdessen hätten Nationalbank und Regulator im Herbst «zu lange gezögert, die Liquidität der Credit Suisse sicherzustellen».

In gewisser Weise sind aus Kielholz' Sicht also die staatlichen Institutionen schuld am Untergang der Credit Suisse. Diese Haltung des einst mächtigen Wirtschaftsführers ist erstaunlich. Das prominente FDP-Mitglied plädierte zeitlebens für mehr Eigenverantwortung und versuchte, wo immer möglich, den Staat zurückzudrängen.
Zuletzt während der Pandemie. 2021 rief er zur liberalen Gegenwehr auf: «Man sollte in diesem Land jetzt zu lärmen anfangen. Es braucht eine gesunde politische Auseinandersetzung. Die liberalen Kräfte müssten jetzt sehr laut werden und auf Eigenverantwortung pochen», sagte er. Es könne nicht sein, «dass sogenannte progressive Kräfte die Pandemie ausnutzen, um die Gesellschaft staatsabhängig zu machen». Es brauche nun Gegenwehr von Liberalen ebenso wie von Konservativen.

«Massiver Gegner der Vollkasko-Mentalität»

Auch ganz persönlich lebt er grösstmögliche Freiheit und Eigenverantwortung. «Ich bin ein massiver Gegner dieser Vollkasko-Mentalität, die sich in den letzten Jahren entwickelt hat», sagte er vor zehn Jahren im «Migros-Magazin». «Ich weigere mich auch, mit Helm Velo zu fahren. Da lasse ich es lieber. Hören wir doch auf! Wir haben schliesslich die Kindheit auch überlebt, ohne Helm, also bitte! Diese gesellschaftliche Entwicklung macht mir schon Sorgen. Aber unnötige Risiken gehe ich nicht ein, ich bin kein Hasardeur.»

Interessanterweise sprach sich Kielholz 2008, als die UBS vom Staat gerettet werden musste, noch gegen staatliche Interventionen aus. Dafür wurde er heftig kritisiert. Ulrich Grete, ehemaliger UBS-Manager und langjähriger Chef des AHV-Ausgleichsfonds, wetterte in einem Interview mit der «Weltwoche»: «Jetzt soll niemand mit liberalen Sprüchen kommen. Wenn die Bankmanager ihren Laden im Griff hätten, wäre es nie so weit gekommen.»

Im Ausland hätten die Regulierungsbehörden gleich gehandelt, sagte Grete. «Die eigentliche Schande ist, dass das überhaupt nötig ist. Sich jetzt dagegen zu wehren, wie das Walter Kielholz von der CS öffentlich getan hat, ist der falsche Weg. Seine CS mag heute graduell in einer besseren Position sein als die UBS. Es handelt sich hier aber nicht um eine UBS-Krise, sondern um ein Problem der Grossbanken.»

Nicht zu Ende gedacht

So überraschend Kielholz' Kehrtwende heute ist, so wenig ist sie zu Ende gedacht. Denn wenn es stimmt, dass der Staat bei der CS früher hätte eingreifen müssen, dann bedeutet das, dass die systemrelevanten Banken in der Schweiz faktisch über eine Staatsgarantie verfügen. Und wenn man anerkennt, dass private Unternehmen über eine Staatsgarantie verfügen, dann müsste diese aus liberaler Sicht auch einen Preis haben.

Kielholz als liberaler Kopf, «Freund der FDP» und ehemaliger Präsident der liberalen Denkfabrik Avenir Suisse müsste eigentlich genau das fordern. Ganz im Sinne von: Wenn die Grossbanken in der Krise auf Staatshilfe angewiesen sind, dann sollen sie auch dafür bezahlen.

Und eine weitere Forderung liesse sich daraus ableiten: Wenn der Staat für die Grossbanken geradestehen muss und die Banken für diese Hilfe eine Abgeltung bezahlen, dann müsste Kielholz aus liberaler Sicht hinter die zweistelligen Millionensaläre der Topbanker ein grosses Fragezeichen setzen. Zumindest müsste eine liberale Forderung lauten: CEOs und Verwaltungsratspräsidenten sollen alles verlieren, wenn sie eine Bank an die Wand fahren.

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