Etwa sechs Monate bevor die Credit Suisse am 19. März an die UBS verkauft wurde, wollte SNB-Direktoriumspräsident Thomas Jordan 50 Milliarden Schweizer Franken in die Bank pumpen und sie verstaatlichen, berichtet Reuters unter Berufung auf drei mit der Angelegenheit vertraute Quellen.
Damals, im Oktober 2022, erlebte die CS einen massiven Abfluss von Einlagen. Jordan und andere namentlich nicht genannte Beamte seien zu dem Schluss gekommen, dass sich die Grossbank in einer existenziellen Krise befinde, die nicht einfach mit einer Geldspritze gelöst werden könne.
Die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (Finma) und das Eidgenössische Finanzdepartement lehnten die Idee einer Verstaatlichung jedoch ebenso ab wie das Management der Credit Suisse. Da man sich nicht einigen konnte, beschlossen die Schweizer Behörden, dass es die beste Lösung sei, das Unternehmen seinem Schicksal zu überlassen.
Als der damalige Finanzminister Ueli Maurer Ende 2022 aus dem Amt schied, sagte er, man solle die CS ein paar Jahre in Ruhe lassen, dann komme es schon gut. Als die Bank dann im März durch weitere Geldabzüge faktisch zahlungsunfähig wurde, waren die Schweizer Behörden unvorbereitet und hatten nur eine realistische Option: den Verkauf an den Erzrivalen UBS.
Eine Quelle sagte, die Finma sei der Ansicht gewesen, dass ein Austausch der obersten Führungsebene nicht zielführend sei, da die Probleme der Bank viel tiefer lägen. Für die UBS sei es einfacher, das Management auszutauschen, als für die Behörden. Ein Sprecher der Finma bestätigte gegenüber Reuters, dass die Aufsichtsbehörde die Bank aufgefordert habe, sich auf einen Verkauf vorzubereiten.
Ein Sprecher des Finanzministeriums sagte, die Regierung habe eine vorübergehende Übernahme der Credit Suisse durch die öffentliche Hand in Erwägung gezogen, aber dies sei nicht «die beste verfügbare Lösung».
Von einem zum nächsten Skandal
Reuters schreibt in ihrem Bericht, dass Differenzen zwischen derzeitigen und ehemaligen Schweizer Regierungsvertretern, Spitzenbankern und Beratern die Fähigkeit der Schweizer Aufsichtsbehörden untergraben hätten, die Credit Suisse angemessen zu beaufsichtigen. Vor ihren Augen sei die Credit Suisse von einem Skandal in den nächsten gestolpert. Der Zusammenbruch der Credit Suisse habe den Ruf der Schweiz als wichtiger Finanzplatz und sicherer Hafen beschädigt.
Wie Reuters richtig feststellt, müssen die Schweizer Aufsichtsbehörden nun eine noch grössere Bank beaufsichtigen: Nach der Übernahme der Credit Suisse verfügt die UBS über eine Bilanzsumme von mehr als 1,6 Billionen Dollar, fast doppelt so viel wie die Schweizer Volkswirtschaft. Die Nachrichtenagentur spricht von der Notwendigkeit, die globale Finanzregulierung zu stärken und die Schweizer Aufsicht «in die Pflicht zu nehmen».
Viele in der Schweiz seien der Meinung, dass es besser gewesen wäre, wenn die Politik früher gehandelt hätte, sagt Stefan Gerlach gegenüber Reuters. Er ist Chefökonom von EFG International und ehemaliger stellvertretender Gouverneur der irischen Zentralbank. «Viele Finanzcrashs haben gemeinsam, dass die Politiker oft zu schnell die Ansichten der grössten Banken akzeptieren», sagte er.
Erste Liquiditätsprobleme schon 2020
SNB-Chef Thomas Jordan habe sich bereits im Februar 2020 Sorgen um die Credit Suisse gemacht, als Tidjane Thiam zurücktrat. Damals, als die COVID-19-Pandemie einen Run auf Bargeld auslöste, hatte die Credit Suisse laut Reuters Schwierigkeiten, ihren Finanzierungsbedarf zu decken.
Dass die CS bereits damals Liquiditätsprobleme hatte, ist neu. Es soll dazu gekommen sein, als die Gegenparteien mehr Sicherheiten verlangten, welche die Credit Suisse kaum mehr erbringen konnte. Die Bank hatte offenbar Mühe, die Kreditlinien von Grosskunden zu bedienen. In ihrem Jahresbericht erklärte die Credit Suisse damals, sie verzeichne einen Anstieg der Nettoabflüsse, was ihre Liquiditätspuffer geschwächt habe.
Die Ereignisse hätten die Finma, damals noch unter der Leitung von Mark Branson, dazu veranlasst, die Credit Suisse zu verpflichten, höhere Liquiditätspuffer zu halten. Dieser Schritt habe es der Bank ermöglicht, die grossen Abflüsse im Oktober 2022 gerade noch zu verkraften. Branson, der eine weitere Verschärfung der Aufsicht forderte, habe von Finanzminister Ueli Maurer jedoch keine Unterstützung erhalten.
Wie Reuters schreibt, setzten sich die Banken bei der Regierung dafür ein, dass der ehemalige Finma-Chef «zurückgehalten» wurde. Anfang 2021 übernahm dann Marlene Amstad das Präsidium der Finma. Kurz nach ihrem Amtsantritt habe sie begonnen, von Finma-Kadern Informationen über die Bankenaufsicht einzufordern, was von Insidern als Möglichkeit interpretiert wurde, Branson in die Schranken zu weisen.
Amstad wollte eine Stabsstelle schaffen
Amstad habe dann vom Finma-Verwaltungsrat zusätzliches Personal gefordert, um die Kontrolle über Branson weiter auszubauen. Diese Stabsstelle wurde aber nie geschaffen, weil sich die Finma-Kontrolleure erfolgreich dagegen wehrten. Wenige Monate später verliess Branson die Finma, er ist heute Chef der deutschen Aufsichtsbehörde Bafin.
Mit seinem Abgang wurde die Finma umstrukturiert, zudem gingen die für die Bankenaufsicht und -abwicklung zuständigen Spitzenbeamten. Ein Finma-Sprecher sagte der Nachrichtenagentur, Amstad habe sich nicht in die Aufsichtsarbeit eingemischt, sondern die Arbeit des Aufsichtsgremiums «neu organisiert».