Braucht die UBS mehr Kapital? Diese Frage beschäftigt den Finanzplatz Schweiz seit dem Zusammenbruch der Credit Suisse. Mit der Revision des geplanten «Too big to fail»-Regimes steht die Kapitalfrage wieder ganz oben auf der politischen Agenda.
Sie beschäftigt aber auch die Wissenschaft. Das von den Schweizer Banken mitfinanzierte Swiss Finance Institute (SFI) hat zu diesem Thema eine sogenannte Public Discussion Note veröffentlicht, in der die Autoren die verschiedenen «trade-offs» einer höheren Eigenkapitalunterlegung beschreiben. Die Professoren Steven Ongena und Simona Nistor legen in dem Papier nahe, dass eine Erhöhung der Eigenkapitalquote mittelfristig zu einer geringeren Kreditvergabe und «letztlich zu einem niedrigeren erwarteten Lebensstandard» führen würde.
Am Dienstagabend wurde das umstrittene Papier im Rahmen einer öffentlichen Veranstaltung diskutiert – und stiess auf teils heftigen Widerspruch (siehe auch: UBS warnt vor massiven Kosten bei Erhöhung des Eigenkapitals). Gleich zweimal meldete sich der ehemalige Chef der Eidgenössischen Bankenkommission, Daniel Zuberbühler, zu Wort. Er outete sich als «Fan von mehr Eigenkapital».
Zuberbühler, der von 1996 bis 2008 Chef der Schweizer Bankenaufsicht war, kritisierte den verengten Blick der Forscher. Zuberbühler erinnerte daran, dass schon bei der Einführung von Basel III befürchtet worden sei, dass die Banken wegen der strengeren Eigenkapitalvorschriften weniger Kredite vergeben würden. Forscher hätten dann aber in Studien festgestellt, dass «die erhöhten Sicherheiten nirgendwo auch nur ansatzweise zu einer Beeinträchtigung der Kreditvergabe geführt haben – auch weil das Bankensystem im historischen Vergleich immer noch sehr niedrige Eigenkapitalquoten aufweist».
Des Bankers neue Kleider
«Warum haben Sie das Buch 'Des Bankers neue Kleider' von Martin Hellwig und Anat Admati nicht gelesen», fragte Zuberbühler die Autoren. «Vielleicht war es Ihnen zu radikal?» Die SFI-Forscher hätten aber auch andere Schriften konsultieren können, zum Beispiel das Papier des St. Galler Bankenprofessors Manuel Ammann oder den Bericht zum Massnahmenpaket des Bundesrats. Zuberbühlers Votum gipfelte in der Frage an die Forscher: «Warum sind Sie so nett?»
Steven Ongena antwortete, er sei nicht nett. Der Bankenprofessor erinnerte daran, dass die Discussion Note keine Studie sei, sondern eine Zusammenfassung von Einschätzungen. Die Annahme, dass eine Änderung der Eigenkapitalanforderungen zu einer Einschränkung der Kreditvergabe führen würde, sei gut belegt. Er räumte jedoch ein, dass sein Papier nur Einschätzungen für einen kurzfristigen Zeitraum wiedergebe. Es könne durchaus sein, dass nach fünf Jahren alles gar nicht so schlimm sei mit der Kreditverknappung. Jürg de Spindler, Geschäftsführer des Verbandes Schweizer Regionalbanken, vermisste im Papier der SFI-Professoren Ausführungen zum «Optimum» der Eigenkapitalquote. Es mache einen Unterschied, ob die Quote von einem ökonomischen Optimum oder von einem tieferen Niveau aus angehoben werde. Steven Ongena entgegnete, dass man dafür ein strukturelles Modell mit vielen zugrundeliegenden Daten entwickeln müsse. Dies hätten sie aber nicht gemacht.Auch der Basler SFI-Professor Yvan Lengwiler, der ebenfalls auf dem Podium sass, hatte keine Antwort auf diese Frage. So bleibt offen, wo aus ökonomischer Sicht die optimale Eigenkapitalquote für eine Schweizer Grossbank liegen müsste.
«You are wrong»
Lange drehte sich die Podiumsdiskussion auch um die Frage, warum die Credit Suisse untergegangen ist. Während UBS-Konzernleitungsmitglied Markus Ronner und die anderen Podiumsteilnehmer die Meinung vertraten, die Bank sei an ihrem Geschäftsmodell und an zu wenig Liquidität gescheitert, stellte der ehemalige EBK-Chef Daniel Zuberbühler dies radikal in Frage: «You are wrong», rief er den Podiumsteilnehmern zu. Die Bank habe aufgrund zahlreicher Ausnahmen und Bilanzierungstricks schlicht zu wenig Kapital gehabt, um im Sommer 2022 einen radikalen Kurswechsel zu vollziehen.
Yvan Lengwiler entgegnete darauf, dass der Mangel an Eigenkapital vielleicht ein Auslöser dafür gewesen sei, dass die CS das Vertrauen der Kunden verloren habe. Wenn die CS aber wegen der Ausnahmen zu wenig Eigenkapital gehabt habe, müsse man sich fragen, ob es richtig sei, die Eigenkapitalquoten generell zu erhöhen, oder ob es nicht besser sei, die Ausnahmen zu eliminieren. Zuberbühler erinnerte daran, dass der Bundesrat genau dies fordere.