Digital Assets Briefing
Entführung, Erpressung, Verlust – die Meldungen über Straftaten im Umfeld von Krypto häufen sich. Haben die Kritiker doch Recht? +++ Dazu: Meme-Boom noch schnell vergolden? +++ Mexikanischer Milliardär und Schweizer Krypto-Experten schreiben Bitcoin-Buch.
6. Juni 2025 • Werner Grundlehner

Es ist wie die Szene aus einem Actionfilm. An einer Strassenkreuzung in Lower Manhattan wankt ein offensichtlich verletzter Mann barfuss, nur mit Shorts und T-Shirt bekleidet, auf einen uniformierten Polizisten zu und bittet ihn um Hilfe. Weil westliche Innenstädte mittlerweile vielerorts mit Videokameras überwacht werden, kann das Publikum später die Vorkommnisse am Bildschirm betrachten. Beim Mann in Shorts handelt es sich um den 27-jährigen italienischen Krypto-Unternehmer Michael Valentino Teofrasto Carturan. Gemäss US-Medien wurde der Mann von zwei Männern in einem noblen Anwesen festgehalten und gefoltert, um an seine Bitcoin-Passwörter zu kommen.



Und in den Short Cuts diese Woche:
• Meme-Boom noch schnell vergolden?
• Mexikanischer Milliardär und Schweizer Krypto-Experten schreiben Bitcoin-Buch



Die Medien stürzen sich auf den Fall, denn er enthält alles, was Aufmerksamkeit garantiert – Verbrechen, Beziehungen und Krypto. Bei den Entführern handelt es sich gemäss Polizei um John Woeltz und William Duplessie – Geschäftspartner des Opfers. Sie hielten dieses in einem fünfstöckigen Stadthaus im Viertel NoLita in Manhattan fest, für das eine monatliche Miete von 65’000 Dollar fällig ist. Die US-Medien breiteten die mutmasslichen Qualen aus, die das Opfer erleiden musste: Schläge, Stromschläge mit Elektrokabeln, das Anlegen einer Waffe an den Kopf und das Aufhängen an einer Treppe im Inneren des Gebäudes.

Krypto-Millionär foltert Krypto-Millionär

Den Polizeiberichten zufolge hielten die Entführer den Mann zwei Wochen im Haus gefangen, bevor ihm die Flucht gelang. Sie drohten Carturan, ihn und seine Familie zu töten, wenn er ihnen nicht den Zugang zu seinen Bitcoins gewährte. Täter und Opfer kannten sich aber schon länger. Einem Bericht der New York Times zufolge hatten Carturan und Woeltz Verbindungen zu einem Krypto-Hedgefonds in New York und stritten sich wegen Geld. Carturan kehrte dieses Jahr nach Italien zurück, aber Woeltz habe ihn überzeugt, nach New York zurückzukehren.

Gemäss einem Bericht der New York Post verfügt Woeltz über ein Vermögen von 100 Millionen Dollar. Und auch Duplessie nagt nicht am Hungertuch. Er war Mitgründer und CEO des Pangea Blockchain Fund, der in Lugano seinen Sitz hatte. Zu den Geldgebern gehörten unter anderem auch die Schweizer Copernicus Asset Management und Roger Ver, Besitzer von Bitcoin.com. Zu den Investitionen des Fonds zählten die Blockchain-Gaming-Plattform Axie Infinity, das ESG-Unternehmen Proof of Impact sowie die Blockchain-Beteiligungsgesellschaft StrongBlock. Gegen die festgesetzten Woeltz und Duplessie ist noch keine Anklage erhoben worden.

Entführungen nehmen zu

Der Fall ist nur der neuste einer Serie von Kryptoentführungen – diese beschränken sich aber nicht auf die USA. Zuletzt kam es in Frankreich zu einer Häufung von Fällen, allein in diesem Jahr kam es zu sechs durch die Polizei protokollierten Vorfällen. Im Januar wurden David Balland, Mitgründer der Firma Ledger, und seine Frau aus ihrem Haus in der Stadt Méreau entführt. Von einem anderen Ledger-Mitgründer verlangten die Entführer ein Lösegeld. Die Polizei konnte die beiden Entführten, die an unterschiedliche Orte verschleppt wurden, relativ rasch wieder befreien.

Im April wurde der Vater eines Unternehmers, der eine Krypto-Marketinggesellschaft auf Malta führt, in Frankreich gekidnappt, während er mit seinem Hund spazieren ging. Die Entführer verlangten ein Lösegeld in Millionenhöhe und schickten – um der Forderung Nachdruck zu verleihen – dem Sohn ein Video, das zeigt, wie dem Vater ein Finger abgetrennt wird. Die Polizei befreite den Vater und nahm mehrere Verdächtige fest. Ebenfalls in Frankreich versuchten vor einigen Monaten maskierte Männer, die Tochter von Pierre Noizat, dem CEO und Gründer der Bitcoin-Handelsplattform Paymium, in einen Lieferwagen zu zerren. Die Kriminellen wurden jedoch von einem mit einem Feuerlöscher bewaffneten Ladenbesitzer daran gehindert.

Ein Problem mit der Unterwelt

Personenentführungen sind ein neueres Phänomen in der Kryptowelt. Aber Kriminalität ist schon immer in Verbindung mit Kryptowährungen gebracht worden. Undifferenzierte Kritiker, die Krypto auch gerne als Schneeballsystem verunglimpfen, führen an, dass Krypto für kriminelle Zwecke erfunden wurde (wobei man sich hier für einen «Fehler» entscheiden müsste – keinen Nutzen und obskurer Transaktionskanal, beides geht nicht). Aber der Bereich hat ein Problem mit Kriminalität. Viele Transaktionen auf dem Darknet wurden insbesondere in der Vergangenheit mit Bitcoin & Co. bezahlt. Die Bitcoin-Bestände vieler Staaten stammen aus Beschlagnahmungen auf zwielichtigen Plattformen.

Insbesondere in Frankreich scheint eine Welle der Kriminalität über die Krypto-Szene hereinzubrechen. Vor wenigen Tagen gaben die europäischen Behörden bekannt, bei einer grenzüberschreitenden Razzia 16 Personen festgenommen und 216 Kilogramm Methamphetamin beschlagnahmt zu haben. Die Polizei fror zudem 30’000 Euro in Kryptowährung ein. Die Ermittlungen seien noch im Gange, und weitere Beschlagnahmungen seien absehbar, teilte Europol, die EU-Agentur für Polizeizusammenarbeit, mit. Das Zentrum der Organisation, die mit dem Sinaloa-Kartell in Nordmexiko verbunden sei, befand sich in Marseille. Die Gruppe habe Kryptowährungen genutzt, um Geld zu waschen, ihre Operationen zu finanzieren und Bargeld anonym zu verschieben, so die EU-Behörden.

Den Dollar will auch niemand verbieten

Hier kann mit der abgedroschenen, aber wahren Feststellung argumentiert werden, dass schon immer Verbrechen begangen und Gelder gewaschen wurden. Der wahrscheinlich grösste Teil krimineller Gelder dürfte jedoch in Dollar verschoben werden, was kein Wunder ist, weil der Greenback die «Weltwährung» ist. Kein Mensch käme auf die Idee, den Dollar verbieten zu wollen, um so das Verbrechen einzudämmen. Beim Bitcoin & Co. gibt es aber oft Rufe nach einem Verbot. Das Problem ist jedoch die kriminelle Energie der Menschen und nicht die Transaktionswährung.

«Kryptowährungen wie Bitcoin sind längst im Finanz-Mainstream angekommen – und mit ihnen auch neue Risikodimensionen. Die jüngsten Entführungsfälle von Krypto-Millionären in New York, Paris und Toronto zeigen, wie stark der digitale Reichtum inzwischen ins Visier Krimineller gerückt ist», sagt Martin Geissler, Partner bei der Strategieberatung Advyce & Company. Gerade weil Kryptovermögen dezentral, anonym und schwer rückverfolgbar verwahrt würden, seien sie für Täter besonders attraktiv. «Fast ironisch wirkt dabei die Erkenntnis: Je sicherer die Systeme selbst geworden sind, desto mehr rückt der Mensch als schwächstes Glied in den Fokus», ergänzt der Berater. Die Branche beginne strukturiert zu reagieren – mit professioneller Risikoberatung, technischer Absicherung und wachsender Sensibilisierung.

Der Anteil krimineller Coins sinkt

Zudem zeigt die Statistik, dass in der noch jungen Geschichte der Kryptowährungen der Anteil von Coins, die in obskuren Transaktionen verwendet werden, anteilmässig immer kleiner wird. Weil der Sektor ein explosives Wachstum aufweist, nimmt die «Krypto-Deliktsumme» in absoluten Zahlen dennoch zu. Im Jahr 2024 ging gemäss dem «Crypto Crime Report» von Chainalysis der Wert, den illegale Kryptowährungsadressen erhalten haben, auf 40,9 Milliarden Dollar zurück – nach 46,1 Milliarden im Vorjahr – und dies bei stark steigenden Kryptopreisen und -volumen im Jahr 2024. Das Unternehmen räumt aber ein, dass der Wert der vergangenen Jahre jeweils noch nach oben korrigiert werde, wenn im Laufe der Zeit weitere illegale Adressen identifiziert würden.

Interessant sind die Verschiebungen innerhalb der illegalen Kryptotransaktionen. War bis 2021 der Bitcoin wegen der hohen Liquidität der bevorzugte Coin der Cyberkriminellen, ist seitdem eine Diversifizierung weg vom Bitcoin zu beobachten. Mittlerweile machen Stablecoins den Löwenanteil (63 %) dieser Transaktionen aus. Einerseits scheinen Cyberkriminelle also weiterhin in Fiat-Währungen (die durch Stablecoins abgebildet werden) zu rechnen, andererseits haben Stablecoins auch allgemein im Kryptosektor an Gewicht gewonnen.

Permanent stehen mittlerweile Unternehmen in der digitalisierten, vernetzten Welt im Fokus von Hackern, die entweder Daten entwenden oder mit der Zerstörung oder Weitergabe heikler Informationen drohen. Von den Firmen wird im Gegenzug konsequenterweise die Zahlung von digitalen Geldern, also Kryptowährungen, verlangt. Dieser Akt ist mit oben erwähntem Kidnapping zu vergleichen – statt Personen werden Daten «entführt».

Keine Übergaben und Bankverbindungen

Kryptowährungen schaffen insbesondere für Entführer einen gefährlichen Anreiz. Mit nur einem Passwort erhält man Zugriff auf ein Vermögen. Es sind keine für Verbrecher riskanten Bargeldübergaben oder Banktransaktionen nötig. Die Unregulierung und Unumkehrbarkeit von Blockchain-basierten Geldern macht sie anfällig für physische Erpressung – insbesondere durch Täter, die glauben, dass es keine Spuren gibt, denen man folgen könnte. Doch das ist ein Irrtum. Ein US-Staatsanwalt sagt etwa, dass er es als Glücksfall sehe, wenn in einem Kriminalfall Bitcoins verwendet würden. Man sehe zwar nicht, wer sie verwende, sie seien jedoch bis «ans Ende der Zeit» nachzuverfolgen – und früher oder später verrate sich so auch der Besitzer.

Viel Negativschlagzeilen generieren auch Verluste von Kryptowährungen, insbesondere beim Bitcoin. Je nach Quelle gehen Fachleute davon aus, dass bereits 20 Prozent oder mehr der bisher «geschürften» Bitcoins wegen technischer Pannen oder Fehlmanipulationen verloren gegangen sind. Wer seine Coins in einem eigenen Wallet aufbewahrt und den privaten Key verliert, hat auch sein Kryptovermögen definitiv verloren.

1 Milliarde für den Müll

Schon oft erzählt wurde die Geschichte des walisischen IT-Freaks James Howells. Er kämpft seit Jahren darum, dass er seine Bitcoins, die seit zwölf Jahren in einer Deponie liegen und mittlerweile einen Wert von gegen einer Milliarde Dollar hätten, ausgraben darf. Bisher hat jedes Gericht dieses Ansinnen abgeschmettert. Es bleibt auch die Frage, ob die Coins auf der Festplatte noch lesbar wären. Howells war ein Bitcoin-Miner der ersten Stunde und häufte rund 8000 Bitcoins an. Doch 2013 verlor er das Interesse an der unkonventionellen Währung – auch wegen des tiefen Kurses – und schmiss die Festplatte in den Abfall.

Der unwiederbringliche Verlust von Kryptos ist Teil des Sicherheitsversprechens. Der Blockchain-Code kann nicht gehackt werden – auch nicht, wenn man das gerne würde oder wenn man der rechtmässige Inhaber ist. Andererseits werden Verluste durch kriminelle Aktivitäten wahrscheinlich auch verstärkt. Lieber «vernichtet» ein überführter Täter das Guthaben, als den Ermittlern ein Beweisstück zu überlassen.

Fazit: Der Bitcoin und andere Kryptowährungen sind weder gut noch kriminell. Die Technologie bietet ein neues Universum an Möglichkeiten und Anwendungen – die menschlichen Schwächen und Abgründe werden sie jedoch nicht zum Verschwinden bringen.




Short cuts: News aus der digitalen Welt


Meme-Boom noch schnell vergolden?

Der Run auf Meme-Coins hat zuletzt deutlich abgekühlt. Das scheint die Solana-Memecoin-Plattform Pump.fun nicht zu kümmern. Gemäss Gerüchten plant das Unternehmen einen Verkauf eigener Token für 1 Milliarde Dollar. Das würde die Plattform mit 4 Milliarden bewerten und zu einem der wertvollsten Krypto-Startups machen. Pump.fun hat im Meme-Coin-Sektor eine beherrschende Rolle erreicht. Der Erfolg der Plattform wirft jedoch auch Bedenken hinsichtlich der Auswirkungen auf das gesamte Solana-Ökosystem auf. Die Dominanz der Plattform bei der Einführung von Meme-Coins hat zu einer erheblichen Liquiditätskonzentration geführt – und der Markt schrumpft. Pump.fun hat seit seiner Gründung im Januar 2024 über 700 Millionen Dollar Einnahmen erzielt. Die Plattform verzeichnete zuletzt einen deutlichen Rückgang. Im Mai 2025 belief sich der Erlös auf 46,6 Millionen – ein Rückgang von 66 Prozent im Vergleich zum Januar. Diese Abnahme fällt mit einem allgemeinen Abkühlen des Marktes für Meme-Coins zusammen. Die Marktkapitalisierung von Meme-Coins sank von 137 Milliarden Dollar im Dezember 2024 auf 64 Milliarden im vergangenen Monat.


Mexikanischer Milliardär und Schweizer Krypto-Experten schreiben Bitcoin-Buch

Der mexikanische Milliardär Ricardo B. Salinas hat zusammen mit zwei Schweizer Krypto-Pionieren – Pascal Hügli und Daniel Jungen – ein Buch über die Geschichte des Geldes verfasst. «The Bitcoin Enlightenment» enthüllt gemäss Pressemitteilung «die wahre Funktionsweise der Fiat-Währungen – ein System, das auf Undurchsichtigkeit, Täuschung und unaufhörlicher Inflation beruht».

Die Autoren verbinden persönliche Einsichten mit wirtschaftlichen Fakten und präsentieren knappes Geld – insbesondere Bitcoin – als vielversprechenden Weg für Werterhalt, Unabhängigkeit und Ausweg aus stetiger Inflation und Entwertung. Ricardo Salinas, dessen Vermögen auf 5,8 Milliarden Dollar geschätzt wird, hält Anteile am Einzelhandelsunternehmen Grupo Elektra SAB. Gegenüber Bloomberg gab er an, dass sein Vermögen zu 70 Prozent in Bitcoin und zu 30 Prozent in Gold und Goldminen investiert sei. Er habe keine einzige Anleihe und keine anderen Aktien, ausser vom eigenen Unternehmen. Pascal Hügli schrieb bereits im Jahr 2019 ein Buch über Bitcoin und Blockchain mit dem Titel «Ignorieren auf eigene Gefahr». Er gründete nach mehreren Jahren im Finanzjournalismus die Content-Agentur Insight DeFi, die auf Inhalte rund um Bitcoin und Web3 spezialisiert ist. Er ist Dozent für digitale Assets an der HWZ Hochschule für Wirtschaft Zürich und arbeitet als Investmentspezialist für die Privatbank Maerki Baumann.

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