Corporate Social Responsibility
Die Tamedia-Redaktionen halten grossen Firmen gerne den Spiegel vor, doch bei der Aufarbeitung eigener Skandale ist der Konzern kein Vorbild. Jetzt soll sich das verbessern.
3. März 2023 • Beat Schmid

Nächsten Donnerstag wird die TX Group ihre Jahreszahlen vorlegen. Gleichzeitig wird sie auch ihren Geschäftsbericht – und erstmals auch einen Nachhaltigkeitsbericht publizieren. Bislang hatte die Berichterstattung über nicht-finanzielle Belange nur einen geringen Stellenwert bei der grössten privaten Mediengruppe der Schweiz.

Letztes Jahr publizierte der Konzern erstmals sieben Seiten zur “Nachhaltigkeit” – vorher gab es gar nichts.

In dem Kapitel schrieb die TX Group etwa, dass sie mit ihrem Qualitätsjournalismus einen Beitrag zu einer freien demokratischen Gesellschaft leisten wolle. Angeschnitten wird auch ein “Fokuspunkt auf Diversität, Inklusion und Chancengleichheit”, der durch einen offenen Brief von 78 Journalistinnen ausgelöst worden sei. Doch wirklich Rechenschaft über ihre Unternehmensverantwortung legte die TX Group bisher nicht ab.

In diesem Jahr soll es anders werden. Mit ihrem ersten Nachhaltigkeitsbericht holt das Medienunternehmen nach, was bei den allermeisten grösseren börsenkotierten Schweizer Firmen längst Standard ist. Gemäss einer 2021 veröffentlichen Masterarbeit erstellten zum damaligen Zeitpunkt 43 der 48 der im SMI-Expanded-Index gelisteten Unternehmen Nachhaltigkeitsberichte.

Wie hat’s die TX Group mit ihrer Rolle als vierte Macht im Staat?

Als börsenkotiertes Unternehmen, wie die TX Group eins ist, wird von Investoren und anderen Stakeholdern zunehmend erwartet, dass sie über ihre Nachhaltigkeits-Praktiken und -leistungen berichten. Ein Nachhaltigkeitsbericht kann dazu beitragen, das Vertrauen der Investoren zu stärken und das Unternehmen insgesamt transparenter zu machen.

Zwar dürften sich einige dieser Anspruchsgruppen für den Energie-, Wasser- oder Papierverbrauch interessieren. Doch bei der TX Group stehen andere Fragen im Zentrum: Wie stellt sich der Konzern zu Themen wie Diversität und Unternehmenskultur? Wie arbeitet das Medienhaus die Ereignisse wie der jüngste Sexismus-Skandal auf?

Oder: Wie wird die TX Group ihre Rolle als grösstes privates Medienunternehmen der Schweiz in diesem Bericht reflektieren? Wie gut erfüllen die Tamedia-Redaktionen ihre Rolle als vierte Macht im Staat? Sind sie die Kontrollinstanz, die die Handlungen der Regierung und anderer Institutionen überwacht und öffentlich kritisiert? Wie garantiert der Konzern die Unabhängigkeit der Berichterstattung seiner Redaktionen?

Am Donnerstag sagte ein Sprecher der TX Group, dass der Bericht Antworten “auf diese all diese Fragen” liefern werde. Dass er also auch Antworten auf die jüngsten Ereignisse in Zusammenhang mit #Mediatoo thematisieren und neue Hintergründe oder Erkenntnisse transparent machen werde.

Am Freitagmorgen krebste der Sprecher zurück und hält in einer schriftlichen Stellungnahme fest, dass der Bericht “die üblichen Themen wie Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt” abdecken werde.

Der Nachhaltigkeitsbericht enthalte ein Kapitel zu den Themen Diversität, Inklusion und Chancengleichheit. “Der in den vergangenen Wochen medial publik gewordene Fall wird dabei nicht explizit erwähnt”, sagt er. Man werde selbstverständlich allfällige Fragen dazu im Rahmen unserer Analystenkonferenz oder dem Mediengespräch zu Tamedia beantwortet, ergänzte er.

Unter kritischer Beobachtung

Die TX Group steht seit einiger Zeit unter kritischer Beobachtung von Aktionärsgruppen. So hat sich die Ethos-Stiftung bereits in den vergangenen Jahren gegen die Wiederwahl von Verleger und Verwaltungsratspräsident Pietro Supino und weiterer mehrerer Verwaltungsratsmitglieder ausgesprochen.

Dieses Jahr könnte Ethos noch einen Schritt weiter gehen, wie Geschäftsführer Vincent Kaufmann in einem Tippinpoint-Bericht ankündigte. “Wenn wir vor der Generalversammlung keine Verbesserungsmassnahmen erhalten, könnten wir die Entlastung verweigern.” Es sei nie gut für ein Unternehmen und damit auch nicht für seine Aktionäre, in eine solche Kontroverse verwickelt zu werden, sagte er.

Ethos, die an Generalversammlungen etwa 5 Prozent der Stimmen mobilisieren kann, stellte der TX Group in den letzten Jahren ein schlechtes ESG-Rating aus. Es befindet sich auf der untersten Stufe.

Kaufmann begründete die tiefe Einstufung mit der “schlechten Unternehmensführung und der mangelnden Transparenz”. In einem ESG-Rating werden nicht-finanzielle Belange wie Gleichstellung, Chefgehälter, Umgang mit Beschäftigen oder die Umweltbelastung bewertet.

Weiter kritisierte Kaufmann, dass das “Unternehmen keinen Verhaltenskodex veröffentlicht, in dem eine ‘Null-Toleranz’ gegenüber Mobbing und Belästigung festgeschrieben wäre”. Darüber hinaus gebe es keine öffentlichen Hinweise auf eine unabhängige Meldestelle für Missstände. “Dies ist das Mindeste, was ein Aktionär eines börsennotierten Unternehmens erwarten kann”, sagte der Ethos-Chef.

Er hat klare Forderungen an Pietro Supino und den TX-Verwaltungsrat: “Wir erwarten eine deutliche Verbesserung der Unternehmensführung nach der Aufdeckung des Falles. Wir warten nun auf die Veröffentlichung des Jahresberichts und die nächste Einladung zur Generalversammlung, um zu sehen, was der Verwaltungsrat zu tun gedenkt, um die Situation zu verbessern.”


Der Titel des Artikels wurde gegenüber der ersten Version geändert.

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