Es geht um 3,6 Milliarden Franken
Russische Grosskonzerne haben auf dem Schweizer Bondmarkt Milliarden aufgenommen. In wenigen Tagen haben die Papiere bis 80 Prozent ihres Werts verloren. Die Folgen für Schweizer Gläubiger sind dramatisch.
2. März 2022 • Beat Schmid

Es ist ein Desaster, das sich derzeit auf dem Schweizer Bondmarkt abspielt. Die Schuldpapiere von russischen Grosskonzernen, die auf dem Schweizer Markt Geld aufgenommen haben, sind in den letzten Tagen regelrecht kollabiert. Die Papiere haben bis zu 80 Prozent und mehr ihres Werts verloren.

Gemäss Datenbank der Börsenbetreiberin SIX ist Energieriese Gazprom der grösste Anleihen-Emittent auf dem Schweizer Markt. Das weltweit grösste Gasförderunternehmen hat in den letzten Jahren drei Anleihen im Umfang von 1,75 Milliarden Franken begeben – je zwei Bonds über 500 Millionen Franken und einen über 750 Millionen Franken.

Ein anderer russischer Grossemittent ist die staatliche Eisenbahngesellschaft Russian Railways. Sie hat seit 2017 insgesamt fünf Anleihen im Gesamtvolumen von 1,4 Milliarden Franken auf den Schweizer Markt gebracht.

Auch VTB Bank und Alfa Holding dabei

Mindestens zwei andere russische Gesellschaften haben sich ebenfalls in der Schweiz verschuldet, es ist dies die VTB Bank mit einem Bond über 350 Millionen Franken sowie die Alfa Holding, die 165 Millionen Franken aufgenommen hat.

Allein die vier Firmen haben total über 3,6 Milliarden Franken ausstehend in der Schweiz. Möglicherweise gibt es noch weitere russische Unternehmen. Normalerweise nehmen Firmen Kapital im eigenen Land und in der Landeswährung auf. Russische Firmen also in Russland und in Rubel. Es kann jedoch für Gläubiger und Schuldner attraktiv sein, Schulden in einem anderen Land und in einer anderen Währung zu machen. Die Bonds wurden meist von UBS oder der Credit Suisse zusammen mit russischen Banken platziert.

Die Titel stiessen auf grosses Interesse und handelten lange über 100 Prozent. Doch in den letzten Tagen brachen sie ein. Der Bond der Russian Railways, der 2017 herausgegeben wurde und nächstes Jahr abläuft, hat 80 Prozent seines Werts verloren. Der sogenannte Yield-to-Maturity beträgt 145 Prozent. Die Bonds von Alfa und VTB Bank haben 75 Prozent und 60 Prozent verloren. Für einen Gazprom-Bond wurde gestern ein Kurs mit einem Abschlag von 90 Prozent gestellt.

Handel wurde illiquid – es kam zu Panikverkäufen

In den letzten Tagen kam es zu regelrechten Panikverkäufen. Wie in solchen Situationen üblich, frieren die Märkte schnell ein. Dass etwas aus den Fugen geraten ist, zeigt sich auch am riesigen Spread zwischen Geld- und Briefkurs. Also zwischen dem Preis, den Anleger für die Anleihen haben wollen und dem Preis, der ihnen geboten wird. Zum Teil klafft eine Lücke von 20 Prozentpunkten.

Das zeigt, dass der Markt nicht mehr funktioniert. Die zunehmende Ausgrenzung des russischen Finanzsektors dürfte es nur schon schwer machen, die jährlichen Coupon-Zahlungen auf Schweizer Konten zu überweisen. Ob die Firmen nach Ende der Laufzeit den vollen Betrag zurückzahlen können, sehen die Anleger auch skeptisch. Zumindest implizieren das die Kurse.

Schweizer Anleger sollen eine Schwäche für Russian Railways gehabt haben

Doch wer sind überhaupt die Gläubiger? Anlässlich der Lancierung einer 450-Millionen-Anleihe im Jahr 2017 schrieb die Nachrichtenagentur Reuters, dass der Bond zu zwei Dritteln bei Banken und Privatkunden platziert werden konnte. 21 Prozent seien an Asset-Manager gegangen, fünf Prozent an Pensionskassen und der Rest an Versicherungen und Unternehmen.

Reuters schrieb damals, dass die staatlich kontrollierte Gesellschaft sehr beliebt sei bei Schweizer Privatkunden, die eine Schwäche für Eisenbahnen hätten und zudem schätzten, dass der russische Staat hinter dem Bahnunternehmen stehe. Bondspezialisten bestätigen gegenüber Tippinpoint, dass sich die russischen Franken-Bonds praktisch ausschliesslich im Besitz von Schweizer Gläubigern befinden.

Besonders ärgern dürften sich jene Anlegerinnen und Anleger, die noch im letzten Herbst zugriffen, als Gazprom und Russian Railways mit neuen Anleihen an den Markt kamen.