Ikea hat diese Woche entschieden, alle Einrichtungshäuser in Russland zu schliessen. Der schwedische Konzern schickt rund 15’000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nach Hause. Am Tag der Rückzugsankündigung kam es zu tumultartigen Szenen in den Shoppingcentern, wie Handyaufnahmen in den sozialen Netzwerken und Youtube dokumentieren.
Ikea begründet die Schliessung “mit dem grossen Leid, welcher der Krieg den Menschen bisher zugefügt” habe. Der Krieg habe aber auch zu “schwerwiegenden Unterbrechungen” in der Lieferkette geführt. “Wegen all diesen Gründen” habe das Unternehmen entschieden, die Geschäftstätigkeiten von Ikea in Russland temporär auszusetzen.
Es sind also zwei Gründe, die Ikea nennt: das menschliche Leid und Lieferprobleme. Für Aussenstehende wird nicht klar, welcher Grund beim schwedischen Möbelhaus überwiegt. Ist es das Entsetzen über die vielen Opfer oder der Umstand, dass es für das Möbelhaus immer schwieriger wird, Möbel zu liefern und das Geld wieder aus dem Land zu schaffen?
Ikeas Argument wirkt vorgeschoben
Fakt ist, Ikea kann wegen der Sanktionen sowieso kaum mehr nach Russland liefern. Firmen wie ABB und Siemens begründen ihre Rückzugsentscheide denn auch mit Logistikproblemen. Interessant ist zudem, dass Ikea erst nach dem Russland-Stopp von Spediteuren wie Kühne + Nagel und Maersk ihren Schliessungsentscheid kommunizierte.
Das Argument, die Läden wegen des menschlichen Leids zu schliessen, wirkt vorgeschoben. Das schwedische Möbelhaus setzt sich damit des Verdachts des “Warwashing” aus.
Zudem: Der Entscheid von Ikea vermindert das menschliche Leid nicht, er vergrössert es vielmehr. 15’000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stehen nun ohne Job da. Das Unternehmen schreibt zwar, dass es seinen Mitarbeitenden für die “unmittelbare Zukunft” Anstellung und Lohn sicherstelle. Doch wie lange Ikea finanzielle Hilfe leistet, sagt das Unternehmen nicht. Eine Anfrage bei der internationalen Medienstelle in Holland bleibt unbeantwortet.
Für Wirtschaftsethiker ist klar, Sanktionen sollten auf den Aggressor zielen. Doch mit dem Verkaufstopp von Billy-Gestellen wird nicht Wladimir Putin bestraft, sondern gewöhnliche Russinnen und Russen – Millionen von Menschen, die für den Krieg nichts können.
Es würde Putin und seine Entourage treffen, wenn alle Staaten der Welt kein Gas und Öl aus Russland beziehen würden. Doch das bringt der Westen nicht zustande. So fliesst weiterhin Erdgas von Russland nach Deutschland und Euros wieder zurück in den Kreml.
Corporate Citizenship stösst an eine Grenze
Wie soll sich ein Unternehmen im Krieg verhalten? Soll es sich neutral verhalten und die staatlich vorgegebenen Sanktionen umsetzen? Oder soll es Stellung beziehen, soll es weitergehen, als es die Sanktionen verlangen? Im Zeitalter der Wokeness werde gerade neue Präzedenzfälle geschaffen.
Westliche Unternehmen gebärden sich zunehmend als Corporate Citizens und ergreifen in politischen und gesellschaftlichen Fragen Partei. Das tun sie jetzt auch im Krieg und stellen sich klar auf die Seite der Ukraine. Offenbar finden sie, es genüge nicht, lediglich die vom Staat vorgegebenen Wirtschaftssanktionen umzusetzen.
Apple beispielsweise zeigte sich "zutiefst besorgt über die russische Invasion" und stellt sich "auf die Seite jener, die Gewalt erleiden müssen”. Deshalb stoppt das Unternehmen die Lieferung von iPhones und anderen Produkten nach Russland und schränkt gewisse Online-Dienste ein. Ähnlich argumentierte auch der Modekonzern H&M.
Wann liefern Ikea und Apple wieder?
Die Unternehmen bringen sich damit in eine schwierige Lage. Wann beenden sie den Boykott? Wann werden sie wieder liefern? Wenn der Krieg vorbei ist, wenn Putin nicht mehr an der Macht ist, wenn alle Sanktionen aufgehoben sind? Wenn man derart dezidiert argumentiert wie Apple oder H&M, muss man bereit sein, diesen Entscheid auch lange durchzuziehen. Über viele Jahre. Alles andere wäre unglaubwürdig.
Und nicht nur das: Warum bestraft Apple Russland, liefert aber weiterhin nach China, wo Millionen von Uiguren unterdrückt werden? Wird Apple auch China boykottieren (und dort auch nicht mehr produzieren lassen), wenn es Taiwan überfällt? Der Entscheid von Apple verlangt nach Konsequenz.
”Brandgefährliches” Engagement von Elon Musk
Und noch ein Problem stellt sich, auf das der deutsche Wirtschaftsethiker Markus Scholz in einem Beitrag hingewiesen hat. Er bezieht sich dabei auf Tesla-Gründer Elon Musk, der die Ukraine mit seinem Satelliten-Internet unterstützt. Er handle damit politisch. Moralisch möge das richtig sein, meint Scholz.
Es legitimiere aber sein Handeln nicht. Vielmehr sei es “brandgefährlich”. Die Frage sei, ob die Russen die Unterstützung des “Führers eines der mächtigsten und bekanntesten amerikanischen Unternehmens, für das Musk schliesslich steht, generell als amerikanische Intervention im Ukraine-Krieg” betrachten. Letzteres würde beim russischen Aggressor wahrscheinlich ebenfalls eine harsche Reaktion auslösen.
Die Diskussion über das politische Engagement von Unternehmen und die Konsequenzen dieses Handelns in Kriegsfällen hat gerade erst begonnen.
Wie denken Sie über das politische Engagement von Konzernen im Krieg? Schreiben Sie mir: beat.schmid@tippinpoint.ch