Der Milliardär Ronald Lauder, seit 2007 Präsident des World Jewish Congress, war massgeblich an der historischen Vergleichszahlung von 1,25 Milliarden Dollar im Jahr 1998 beteiligt, bei der Schweizer Banken für den Umgang mit Konten von Holocaust-Opfern haftbar gemacht wurden. Doch der Kosmetik-Milliardenerbe ist überzeugt, dass damals nicht die ganze Wahrheit ans Licht kam: «Wir haben wahrscheinlich 5 bis 10 Milliarden Dollar auf dem Tisch liegen lassen», sagt er in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Bloomberg (Abo).
Fast drei Jahrzehnte später sieht Lauder seine Chance gekommen. Gemeinsam mit einem kleinen Kreis einflussreicher Verbündeter setzte er sich seit fünf Jahren dafür ein, dass Credit Suisse – und nach der Übernahme auch UBS – ihre Archive erneut öffnen. Ziel ist es, weitere Beweise für nicht gemeldete Konten von Holocaust-Opfern sowie von den Nazis geraubte Vermögenswerte zu finden. Dabei erhielten sie einen Freibrief aus dem Weissen Haus und vom US-Kongress.
Lauder und seine Mitstreiter rechnen damit, dass die UBS mit Forderungen in Milliardenhöhe konfrontiert werden könnte. Allerdings ist der Vergleich von 1998 definitiv. Für Schweizer Banken ist der Fall juristisch abgeschlossen. Doch das sehen nicht alle so: «Keine Entlastung kann eine Partei von der Haftung für betrügerisch verschleierte Aktivitäten befreien», sagte der Jurist Burt Neuborne, der damals Hauptklägeranwalt war.
Rechtschefin der UBS weibelt in den USA
Die UBS sieht sich unter Beobachtung. Mit ihren riesigen Aktivitäten in den USA bleibt ihr nichts anderes übrig, als mit US-Behörden vollumfänglich zu kooperieren. Barbara Levi, Chefjustiziarin der Bank, hat sich gemäss Bloomberg wiederholt mit US-Gesetzgebern getroffen, um die Ernsthaftigkeit der UBS-Position zu betonen. Die Bank kommentiert das nicht.
Bereits 2020 soll Lauder vom Simon Wiesenthal Center erfahren haben, dass in Argentinien eine Liste mit 12'000 Nazis gefunden wurde, darunter viele mit Konten bei einer CS-Vorgängerbank. Einige dieser Konten waren bis 2020 aktiv. «Die Zahlen sind erschütternd. Wenn ein Jude vielleicht 100'000 Dollar einzahlte, brachten diese Nazis 10 oder 20 Millionen oder den Gegenwert», sagt Lauder zu Bloomberg.
Bei der neuen Untersuchung geht es also nicht primär um Konten, die jüdischen Personen gehörten, sondern von Nazis, die möglicherweise jüdische Gelder geraubt hatten. Credit Suisse holte 2021 den US-Anwalt Neil Barofsky als unabhängigen Ombudsmann. Seine Ermittlungen brachten zahlreiche neue Beweise zutage, darunter Konten von SS-Unternehmen und Hinweise auf geheime Fluchtrouten von Nazis nach Südamerika.
Die UBS lenkte ein
Doch 2022, nach einem Wechsel im Management, stellte Credit Suisse die Untersuchung ein. Lauder und seine Partner wandten sich an den US-Kongress. Nach öffentlichem Druck veröffentlichten Senatoren wie Chuck Grassley den Barofsky-Bericht. Dieser warf der Bank vor, zentrale Informationen bewusst zurückgehalten zu haben.
Ende 2023 gab die UBS nach: Barofsky wurde mit erweitertem Mandat wiedereingesetzt. Die UBS-Archive wurden für ihn geöffnet. Er durchforstet sie für sagenhafte 2300 Dollar pro Stunde, wie die NZZ im Januar aufgedeckte. Laut einem Brief von Barofsky vom Dezember entdeckte man hunderte zusätzliche Konten von mutmasslichen Nazi-Intermediären und zahlreiche Akten mit dem Vermerk «Amerikanische schwarze Liste».
Credit Suisse sei in den 1990er Jahren nur selektiv mit Informationen umgegangen, wirft Barofsky der Bank vor: «Die damalige Vorgehensweise war, nur gezielt angeforderte Informationen zu teilen und nichts zusätzlich anzubieten, was der Bank bekannt war.» Der Umfang der neuen Entdeckungen könnte die endgültige Fertigstellung des Berichts bis Ende Jahr verzögern. Die Archive umfassen rund 300 Kilometer Regale.
«Wir bewegen uns in unbekanntem Terrain, denn niemand hat das je zuvor mit Schweizer Banken gemacht. Niemand ist je so tief in ihre Archive eingetaucht, wie wir das jetzt tun», sagt Lauder zu Bloomberg. Er ist der Sohn von Estée Lauder, bekannter pro-Israel Aktivist und Netanjahu-Unterstützer.
Die UBS zeigt sich kooperativ. Die Bank hält in einem Statement gegenüber Bloomberg fest: «UBS setzt sich dafür ein, einen Beitrag zu einer umfassenderen Aufklärung von NS-bezogenen Altkonten zu leisten, die zuvor bei den Vorgängerbanken der Credit Suisse geführt wurden. Seit der Übernahme der Credit Suisse durch UBS im Juni 2023 haben wir es uns zur Priorität gemacht, sicherzustellen, dass die Prüfung gründlich und umfassend ist, und Neil Barofsky entsprechend erneut als unabhängigen Ombudsmann engagiert. Wir gewähren ihm jede notwendige Unterstützung, um seine Arbeit zu erleichtern und um durch die durchgeführte Überprüfung mehr Licht in dieses dunkle Kapitel der Geschichte zu bringen.»