Credit Suisse
Noch läuft das Enforcement-Verfahren der Finma. Doch schon jetzt ist klar: Beim Aufbau des Milliardengeschäfts wurden elementare Sicherheitsvorkehrungen übersehen oder ignoriert.
15. August 2022 • Beat Schmid

Es liegt in der Natur des Auftrags der Finma, vor allem Mängel im Risikomanagement von Finanzinstituten nachzugehen. Das tat sie auch in ihrer vor über einem Jahr gestarteten Untersuchung der Greensill-Lieferkettenfonds. Im Mai führte die Behörde die letzten Befragungen mit CS-Spitzenmanagern durch. Eine abschliessende Verfügung liegt spätestens Ende Jahr vor.

Wie Recherchen ergeben haben, stiessen die Untersuchungsbeauftragten auf schwere Konstruktionsfehler beim Aufbau des Geschäfts. Was war falsch am Setup?

Um das zu verstehen, muss man kurz in die Details eintauchen. Das Basisprodukt der Greensill-Fonds sind Finanzierungslösungen für Unternehmen, schnell an Liquidität zu gelangen. Es liefert eine Ware aus und schickt die Rechnung hinterher. Doch bis der Kunde bezahlt, können 30, 60 oder mehr Tage verstreichen.

Das Unternehmen muss auf das Geld warten, erst dann kann es investieren oder Vorleistungen einkaufen. Hier springen Lieferkettenfinanzierer ein. Sie kaufen dem Unternehmen die Rechnung ab, bezahlen aber nur 99 Prozent des Betrags. Das Unternehmen ist damit zufrieden und kann weiterarbeiten.

Der Lieferkettenfinanzierer treibt dann das Geld beim Kunden ein, und zwar 100 Prozent des Betrages. Das eine Prozent steckt der Finanzierer für sich ein. Für ihn ist das Geschäft ebenfalls kapitalintensiv. Das ist der Punkt, an dem die Banken ins Spiel kommen. Sie stellen den Finanzierungsgesellschaften wie Greensill das nötige Kapital gegen einen Zins zur Verfügung.

Liquiditätsrisiken wurden also verbrieft, gebündelt und verkauft

Um die Kredite nicht auf der eigenen Bilanz zu haben, werden sie in handelbare Finanzprodukte verbrieft. Bei Greensill spricht man in diesem Zusammenhang von sogenannten Notes. Diese Notes wiederum wurden vom Asset Management der CS in Fonds verpackt, deren Anteile vom CS-Privatebanking als sichere Anlagen vermögenden Kunden verkauft wurden.

Die ursprünglichen Liquiditätsrisiken wurden also verbrieft, gebündelt und verkauft. Sie wanderten vom Lieferanten, zum Lieferkettenfinanzierer (Greensill), zur Bank (Credit Suisse), zu den Fonds und landen zuletzt in den Depots von Bankkunden. Insgesamt flossen zehn Milliarden Dollar Kundenvermögen in "Credit Suisse Supply Chain Finance Funds".

Das Geschäft lief wie geschmiert. Das Problem ist, dass hinter den Notes Kredite stehen, die vor Greensill auch an Unternehmen gezahlt wurden, die über eine schlechte Bonität verfügen, wie etwa den britisch-indischen Stahl­magnaten Sanjeev Gupta. Sein Unternehmen erhielt auch dann Geld, wenn dahinter keine Rechnungen standen, sondern zukünftige Rechnungen. Man nannte das future receivables – nicht existierende Rechnungen von noch nicht existierenden Kundinnen. Gupta selbst sprach von "prospektiven" Rechnungen.

Für die CS sind Lieferketten­finanzierungen keine Besonderheit – an sich

Der Punkt ist: Für die CS sind Lieferketten­finanzierungen keine Besonderheit. Im Firmen­kunden­geschäft gehören sie zum Standard. Doch der entscheidende Unterschied ist: Wenn die Bank die Kredite auf die eigene Bilanz nimmt, dann greifen professionelle Kontroll­instrumente. Die Kredit­abteilung durchleuchtet die zu finanzierenden Unternehmen und wacht über die Kredite. Eingeschliffene Risiko­prozesse sorgen dafür, dass Probleme auf dem Radar erfasst und, wenn sie auftauchen, eng begleitet werden.

Anders ist das im Asset-Management, wo die verbrieften Kredite in die Fonds abgefüllt wurden. Die Abteilung verfügt über keine vergleichbaren Sicherungs­mechanismen. Das Risikomanagement ist in keinster Weise mit einer professionellen Kreditabteilung zu vergleichen. In der Regel braucht sie das auch nicht, in den Fonds sind normaler­weise Aktien, Anleihen oder andere liquide Papiere, deren Bonität von einer Armada von Rating­agenturen überwacht wird.

Bei den Greensill-Papieren war das eine andere Sache, niemand schaute sich die Risiken dahinter genau an. Dieses Kontroll­manko wurde bei der Konstruktion der CS-Fonds übersehen, vergessen oder bewusst zur Seite gewischt.

Der Enforcement-Verfahren der Finma wird darüber Auskunft geben. Die Hauptverantwortlichen hinter den Fonds sind der damalige Chef des Asset-Managements der CS, Eric Varvel, und Michel Degen, Schweiz- und Europachef der Abteilung. Und Iqbal Khan, der als Chef des Wealth-Managements auch das Asset-Management führte. Im Jahr 2012 wurden die zuvor getrennten Abteilungen fusioniert. Seit April 2021 wird das Asset-Management als Folge des Debakels wieder als eigenständige Einheit geführt.

Enforcement-Bericht und die Folge auf andere Strafverfahren

Die Finma äussert sich nicht zu laufenden Verfahren, wie sie schriftlich mitteilt. Sie lässt auch offen, wann die Untersuchung zur CS zu einem Abschluss kommt. Auch die CS will auf Anfrage weder zu den Einvernahmen noch zu den Sicherheitsmechanismen im Asset Management Stellung nehmen.

Das Ergebnis des Enforcement-Berichts kann Folgen auf laufende Rechtsverfahren haben. Im April 2021 reichte das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) bei der Zürcher Staatsanwaltschaft eine Strafanzeige ein. In der Folge führte die Oberstaatsanwaltschaft letzten Herbst Razzien im Asset Management der CS in Zürich sowie bei vier Mitarbeitern durch. Dabei beschlagnahmten die Beamten Dokumente, welche die Grossbank via Anwälte umgehend versiegeln liess. Es ist im Interesse der Staatsanwälte, auf die Erkenntnisse der Finma-Untersuchung zugreifen zu können.

Im Greensill-Verfahren gehen die Ermittlungsbehörden dem Vorwurf des unlauteren Wettbewerbs nach. Anleger könnten beim Vertrieb der Greensill-Fonds getäuscht worden sein, weil möglicherweise unrichtige oder irreführende Angaben gemacht worden waren. Später könnten zudem Schadenersatzklagen auf die CS zukommen. Die Bank gab an, dass von den ursprünglich investierten 10 Milliarden Dollar rund 2 Milliarden sehr schwierig zurückzuholen seien.

Beim vorliegenden Text handelt es sich um eine gekürzte und leicht angepasste Fassung eines grösseren Artikels über die Credit Suisse, der am Freitag im Online-Magazin Republik erschienen ist.

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