Die Finanzbranche kann aufatmen. Der Bund verzichtet voraussichtlich auf eine eigene Verordnung gegen Greenwashing. Stattdessen vertraut er auf die Selbstregulierung der Finanzbranche. Noch vor Mitte Juni will der Bundesrat sein weiteres Vorgehen festlegen. Dies hat tippinpoint aus Kreisen erfahren, die mit den Vorgängen vertraut sind. Damit geht ein jahrelanges Seilziehen zwischen Banken, Vermögensverwaltern und Versicherern auf der einen und der Politik auf der anderen Seite zu Ende.
Wie kann Greenwashing im Finanzsektor erkannt und verhindert werden? Seit Jahren diskutieren Konsumentenschutzorganisationen, NGOs wie Greenpeace, Politik und Finanzakteure über ein griffiges Instrumentarium zur Bekämpfung von Täuschungen bei nachhaltigen Geldanlagen. Die Schweizer Finanzverbände mit der Bankiervereinigung an der Spitze haben bereits vor einiger Zeit mit Empfehlungen und einer freiwilligen Selbstregulierung begonnen, Greenwashing einen Riegel vorzuschieben.
Spätestens seit Herbst 2022 wurde aber immer klarer, dass die Politik früher oder später das Heft in die Hand nehmen wird. So kündigte der Bundesrat im Dezember 2022 an, sich Gedanken über die Bekämpfung von Greenwashing zu machen. Im Oktober 2023 war es dann so weit: Das Eidgenössische Finanzdepartement (EFD) kündigte an, «eine Vorlage für eine prinzipienbasierte staatliche Regulierung auf Verordnungsstufe auszuarbeiten». Finanzministerin Karin Keller-Sutter werde dem Gesamtbundesrat bis spätestens Ende August 2024 eine Vernehmlassungsvorlage unterbreiten, hiess es damals.
Tür nie ganz zugeschlagen
Der Bund erachtete damals die Bemühungen der Branche, Greenwashing zu verhindern, als ungenügend. Gleichzeitig hat der Bund die Tür nicht ganz zugeschlagen. Wie das EFD im letzten Herbst festhielt, könnte die Verordnung des Bundes durch Selbstregulierungen der Branchen «ergänzt» werden. Sogar einen «Rückzug der Verordnung» konnte sich das Finanzdepartement vorstellen, «falls die Finanzbranche doch noch eine Selbstregulierung vorlegt, welche die Position wirksam umsetzt».
Letzteres ist dem Vernehmen nach nun geschehen. Der Bundesrat wird aller Voraussicht nach auf eine eigene Greenwashing-Vorlage verzichten. Offenbar ist es den Vertretern des Finanzplatzes gelungen, die Selbstregulierung in entscheidenden Punkten anzupassen und/oder der Bund hat seine Position an der einen oder anderen Stelle abgeschwächt.
Bereits Ende 2022 hatte der Bundesrat die Eckwerte zur Bekämpfung von Greenwashing verabschiedet. Damals stellte er fest, dass es für das Funktionieren des Marktes ein klares und allgemeines Verständnis braucht, wann ein Finanzprodukt oder eine Finanzdienstleistung als nachhaltig angeboten werden kann. Finanzprodukte oder -dienstleistungen sollten nur dann als nachhaltig beworben werden, wenn sie mit mindestens einem spezifischen Nachhaltigkeitsziel vereinbar sind oder zur Erreichung eines Nachhaltigkeitsziels beitragen.
Entwicklungen in der EU im Auge
Damit soll aus Sicht der Politik sichergestellt werden, dass Finanzprodukte und -dienstleistungen, die mögliche ESG-Risiken reduzieren sollen, nur dann als nachhaltig bezeichnet werden können, wenn sie neben einem «rein finanziellen» auch ein «nachhaltiges» Anlageziel verfolgen. Die Anbieter müssen darlegen, wie sie das angestrebte nachhaltige Anlageziel erreichen wollen. Zudem müssen sie periodisch über die gewählten nachhaltigen Anlageziele Rechenschaft ablegen und die Einhaltung der Transparenzanforderungen muss von einer unabhängigen Stelle überprüft werden können. Der letzte Punkt: «Kundinnen und Kunden sollen ihre Rechte auf dem Rechtsweg durchsetzen können», so der Bund.
Der Sprecher des Staatssekretariats für internationale Finanzfragen (SIF), Mario Tuor, will sich zum Zeitpunkt des Entscheids nicht äussern. «Wie im Oktober 2023 angekündigt, wird der Bundesrat bis spätestens Ende August 2024 zur erweiterten Selbstregulierung des Finanzsektors Stellung nehmen und das weitere Vorgehen festlegen», schreibt er in einer Stellungnahme. Dabei werde auch die regulatorische Entwicklung in der Europäischen Union eine Rolle spielen.
Vor wenigen Tagen hat die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA ihre Leitlinien zur Eindämmung von Greenwashing in der Anlagebranche fertiggestellt. Diese schreiben vor, dass mindestens 80 Prozent der Investitionen in ESG- oder Nachhaltigkeitsfonds bestimmte Umwelt-, Sozial- oder Governance-Kriterien erfüllen müssen. Um irreführende Fondsbezeichnungen zu vermeiden, werden zudem Ausschlusskriterien für verschiedene Nachhaltigkeitsbegriffe definiert.
Die Spitzkehre des Bundes dürfte NGOs wie Greenpeace nicht gefallen. Für die Umweltschutzorganisation ist eine staatliche Regulierung «zwingend», um Greenwashing wirksam zu verhindern. Sie misstraut der Selbstregulierung der Branche, die «keinen Beweis» dafür erbracht habe, dass sie mit dieser Strategie die Anlegerinnen und Anleger tatsächlich ausreichend vor Täuschung schützen könne.