Das Obergericht in Zürich wird sich am Montag mit vier Bankern der früheren Gazprombank beschäftigen, die bei Transaktionen eines engen Freundes des russischen Präsidenten nicht genau hingeschaut haben sollen.
27. Mai 2024 • David Nietlispach

Das Obergericht in Zürich wird sich am Montag mit der Rolle der Gazprombank Schweiz AG bei mutmasslichen Geldwäsche-Transaktionen in Milliardenhöhe befassen. Brisant an dem Fall ist, dass ein grosser Teil der dubiosen Transaktionen über die Zürcher Konten des Musikers Sergey Roldugin liefen, einem der engsten Freunde des russischen Herrschers Vladimir Putin. Die Staatsanwaltschaft macht auch keinen Hehl aus ihrer Vermutung, dass die Gelder in Wahrheit Putin gehören. In der Anklageschrift steht: «Es ist notorisch, dass der russische Präsident Putin offiziell nur ein Einkommen von gut CHF 100'000 hat und nicht vermögend ist, tatsächlich jedoch über enorme Vermögenswerte verfügt, welche von ihm nahestehenden Personen verwaltet werden.»

Das Obergericht ist die zweite Instanz, die sich mit den Geldtransaktionen über die Gazprombank in Zürich befassen wird. Letztes Jahr sprach das Bezirksgericht Zürich vier Angestellte der Bank schuldig, im Umgang mit den Geldflüssen rund um die Konten von Putins Freund Roldugin Sorgfaltspflichten verletzt zu haben.

Richter Aeppli verurteilte die vier — darunter den Geschäftsführer der Bank — wegen «mangelnder Sorgfalt bei Finanzgeschäften» zu bedingten Geldstrafen zwischen 48’000 und 540’000 Franken. Gegen dieses Urteil haben die Banker Berufung eingelegt und damit den Fall vor das Zürcher Obergericht gebracht.

Die Enthüllungen

Bereits vor acht Jahren, im Frühling 2016, deckte eine Recherche der Süddeutschen Zeitung und anderer Medienhäuser auf, dass die Gazprombank in Zürich und Sergei Roldugin wichtige Figuren in einem riesigen mutmasslichen Geldwäsche-Netzwerk waren. Die Enthüllungen lösten rasch Untersuchungen der Schweizer Finanzmarktaufsicht (Finma) aus, die einschneidende Folgen haben sollten.

Anfang 2018 reichte die Finma zwei separate Strafanzeigen gegen die Gazprombank Schweiz AG und deren Mitarbeiter ein. Die eine Anzeige ging bei der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich ein und hat sich zum Gerichtsprozess entwickelt, der am Montag vor dem Obergericht beginnt.

Die andere Strafanzeige landete beim Eidgenössischen Finanzdepartement und führte zu einem Verwaltungsverfahren. Dieses endete im Frühling 2023 mit der Verurteilung von zwei Gazprombank-Angestellten zu geringen Bussen per Strafbefehl, das heisst ohne Gerichtsverfahren. Doch das Finanzdepartement enthüllte in der Begründung der Strafbefehle – scheinbar beiläufig und für kurze Zeit öffentlich einsehbar – minutiös die gigantischen Summen, die das Netzwerk rund um Putins Freund Roldugin verschob.

Zwischen 2006 und 2016 flossen in rund zweitausend Transaktionen 7,7 Milliarden Franken über die Konten des mutmasslichen Geldwäsche-Netzwerks bei der Gazprombank in Zürich. Davon waren zwei Milliarden Franken Transaktionen mit anderen Banken als Gegenpartei, und 5,7 Milliarden wurden zwischen verschiedenen Konten des Netzwerks bei der Gazprombank intern hin- und hergeschoben. Die Besitzer dieser Konten waren Sergei Roldugin und vier weitere Parteien aus Russland.

Die Transaktionen, die über diese Konten liefen, waren offensichtlich dubios: es gab fiktive, rückdatierte Aktiengeschäfte, um Überweisungen zu begründen; es wurden Entschädigungszahlungen für Rücktritte von nur zum Schein vereinbarten Geschäften bezahlt oder Kreditforderungen wurden zu Spottpreisen verkauft. Ausserdem tauschten Roldugin und die anderen vier Parteien untereinander – einem Karussell ähnlich – häufig und ohne erkennbaren Grund den Besitz und die Zeichnungsberechtigung für die verschiedenen Konten aus. Das Finanzdepartement schrieb von «undurchsichtigen Transaktionen, deren wirtschaftlicher Zweck durch die eingeholten Belege nicht erhellt wurde».

Der Strippenzieher

Offensichtlich war jedoch, dass die Transaktionen häufig über die Konten von Sergei Roldugin liefen, der seit Jahrzehnten eng mit Wladimir Putin befreundet ist. Roldugin machte Putin mit seiner ersten Frau bekannt und ist der Patenonkel von dessen ältester Tochter. Während Putin als Präsident und Autokrat Russland unter seine Herrschaft brachte, machte Roldugin Karriere als Solo-Cellist und künstlerischer Leiter des Hauses der Musik in Russlands Kulturhauptstadt Sankt Petersburg.

Doch obwohl viele Gelder über Roldugins Konten flossen, spielte er nur eine passive Rolle im mutmasslichen Geldwäsche-Netzwerk. Organisiert und verwaltet wurden die Transaktionen von Angestellten der Bank Rossija in Sankt Petersburg in Russland. Das Institut übte dabei einen massiven Einfluss auf die Gazprombank aus.

«Ein Hinterfragen der Geschäfte» durch die Angestellten der Gazprombank in Zürich habe kaum je stattgefunden, schreibt das Eidgenössische Finanzdepartement in den Strafbefehlen. Und die wenigen kritischen Nachfragen habe die Bank Rossija einfach abwürgen können. Sie habe sich schlicht geweigert, «den Zweck gewisser Transaktionen zu belegen».

Laut der Autorin Catherine Belton ist die Kooperation zwischen der Bank Rossija und der Gazprombank kein Zufall. Putins engste Vertraute, teilweise Freunde aus gemeinsamen Zeiten beim sowjetischen Geheimdienst KGB, würden die Bank Rossija kontrollieren, schreibt Belton im Buch «Putin’s People». Unter Putins Herrschaft habe die Bank Rossija deshalb staatliche Firmen im Wert von Milliarden US-Dollars zu Schleuderpreisen zugeschoben bekommen. Über komplizierte Verschachtelungen, schreibt Belton, habe die «kleine» Bank Rossija im Jahr 2007 schliesslich auch die Kontrolle über die drittgrösste russische Bank, die Gazprombank, erlangt – und damit auch über den Gazprombank-Ableger in der Schweiz.

Die Spitze des Eisbergs

Die Anklage der Zürcher Staatsanwaltschaft am Bezirks- und Obergericht bezieht sich nur auf Transaktionen, die zwischen 2014 und 2016 getätigt wurden – also rund 130 Millionen Franken von den Geldflüssen im Umfang von knapp 8 Milliarden insgesamt. Wieso Staatsanwalt Jan Hoffmann seine Anklage nur auf die Zeit nach 2014 abstellt, wollte er nicht beantworten.

Wahrscheinlich hat es damit zu tun, dass die Bank Rossija im März 2014 mit US-Sanktionen belegt wurde. Und im Umgang mit einer sanktionierten Bank wird eine erhöhte Vorsicht als selbstverständlich vorausgesetzt. Schliesslich landete die Bank Rossija über Nacht auf einer Stufe mit geächteten Banken aus Nordkorea und dem Iran.

Doch die Bank aus Sankt Petersburg konnte den Gazprombank-Angestellten in Zürich weiterhin diktieren, was zu tun sei. Der Geschäftsführer der Gazprombank Schweiz schrieb elf Tage nachdem die Sanktionen verhängt worden waren an einen Mitarbeiter der Bank Rossija, dass eine Anfrage für Kontoeröffnungen für Roldugin und seinen Partner «in Moskau diskutiert werden muss». Die barsche Antwort folgte gemäss den Strafbefehlen des Finanzdepartements eine Woche später: «Wenn du bereit bist zu helfen, bin ich bereit, dir die Details der Operationen zu erzählen.» Die Konten für Roldugin und seinen Partner wurden wie geheissen kurze Zeit später eröffnet.

Ausblick

Richter Sebastian Aeppli war bei der Urteilsverkündung am Zürcher Bezirksgericht im Frühling 2023 unmissverständlich: «Für das Gericht ist […] zweifelsohne erstellt», dass Sergei Roldugin ein Strohmann gewesen sei und die Gazprombank-Angestellten dabei weggeschaut hätten. Doch wem Roldugins Gelder wirklich gehörten, sagte Aeppli nicht. Dies sei nicht Aufgabe der Gerichte.

Auch das Obergericht wird lediglich beurteilen müssen, ob die Angestellten der Gazprombank ihren gesetzlichen Sorgfaltspflichten zwischen 2014 und 2016 nachgekommen sind oder nicht. Die Hintergründe der dubiosen Geldflüsse, die mächtige Rolle der Bank Rossija in dem Netzwerk und die möglichen echten Besitzer der Vermögen, die durch die Schweiz flossen, werden dabei kaum ausgeleuchtet und benannt. Trotzdem wird ein Name im Gerichtssaal immer wieder mitschwingen – Wladimir Putin.

Zeitlinie
März 2014: Nach der Besetzung der ukrainischen Krimhalbinsel durch russisches Militär belegt das US-Finanzministerium die Bank Rossija mit Sanktionen. Sie sei die «Hausbank» für hohe Regierungsbeamte und werde vom engsten Kreis der Putin-Günstlinge kontrolliert, schrieb die Behörde zur Begründung.

April 2016: Journalisten enthüllen in einer weltweit koordinierten Aktion, den sogenannten Panama-Papers-Berichten, wie hunderte Politiker, Behördenmitglieder, Geschäftsleute und Verbrecher mit Unterstützung von Banken Gelder über Offshore-Firmen verschoben haben. Als Reaktion darauf leitet die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (Finma) eine Untersuchung gegen die Gazprombank Schweiz AG mit Sitz in Zürich ein.

September 2016: Die Gazprombank in Zürich löst die Geschäftsbeziehung mit dem Netzwerk rund um die Bank Rossija und Sergey Roldugin auf.

Februar 2018: Die Finma schliesst die 2016 eingeleitete Untersuchung, die in ein Verfahren mündete, gegen die Gazprombank ab. Sie schreibt, «dass die Gazprombank Schweiz im Zeitraum von 2006 bis 2016 schwer gegen die Sorgfaltspflichten des Geldwäschereigesetzes verstossen hatte» und verbietet der Bank, ihre Geschäftstätigkeit mit Privatkunden auszuweiten.

Februar / Mai 2018: Die Finma reicht gegen die Gazprombank und deren Mitarbeiter zwei separate Strafanzeigen ein, die eine bei der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich und die andere beim Eidgenössischen Finanzdepartement. Die Anzeigen basieren auf möglichen Verstössen gegen Sorgfaltspflichten und das Geldwäschereigesetz.

November 2022: Die Staatsanwaltschaft in Zürich erhebt Anklage gegen vier Gazprombank-Angestellte wegen «mangelnder Sorgfalt bei Finanzgeschäften».

Oktober 2022: Die Gazprombank schreibt in einer Pressemitteilung, dass sie sich aus der Schweiz zurückziehen wird.

März 2023: Das Bezirksgericht in Zürich spricht vier Angestellte der Gazprombank wegen «mangelnder Sorgfalt bei Finanzgeschäften» für schuldig. Richter Sebastian Aeppli verurteilt die Bankangestellten zu bedingten Geldstrafen zwischen 48’000 und 540’000 Franken. Die vier Verurteilten legen gegen das Urteil Berufung ein.

April 2023: Das Eidgenössische Finanzdepartement schliesst das Verwaltungsverfahren ab, das 2018 durch die Finma-Strafanzeige angestossen wurde, und verschickt an zwei Angestellten der Gazprombank Strafbefehle. Der Geschäftsführer der Bank und der Compliance-Verantwortliche werden wegen des «Erteilens falscher Auskünfte» und einer Verletzung von Meldepflichten gegenüber der Finma zu einer Busse von 4’500 und 23’000 Franken verurteilt. Das Urteil ist rechtskräftig.

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