Sie sind Erfindungen unterbeschäftigter Personalchefs und übervorsichtiger Regulatoren: Online-Tutorials haben zu Recht einen schlechten Ruf. Doch wehe, wer einen Kurs ausfallen lässt.
16. Juli 2024 • Beat Schmid

Der frühere Firmenkundenchef der Credit Suisse kann seinen neuen Job bei der Liechtensteinischen Landesbank nicht antreten. Der Regulator gab die Bewilligung nicht – weil eine andere Person drei Online-Tutorials für den Banker durchgeführt hat. In der Branche sorgt die Entscheidung für Kopfschütteln.

Online-Tutorials sind Kinder der Digitalisierung. Die ersten computergestützten Schulungen begannen in den Nullerjahren. Mit dem Aufkommen des Internets und der zunehmenden Verbreitung von E-Learning-Plattformen kam der Durchbruch. Die Covid-19-Pandemie beschleunigte den Trend weiter, da die Banken gezwungen waren, physische Schulungen und Beratungen durch digitale Alternativen zu ersetzen.

Davon kamen die Unternehmen nicht mehr weg. Traditionelle Schulungsmethoden sind praktisch verschwunden. Kein Wunder, sie gelten als eine teure Art der Wissensvermittlung. IBM hat bereits 2015 errechnet, dass es durch den konsequenten Einsatz von E-Learning-Technologien rund 200 Millionen Dollar pro Jahr einsparen kann.

Darüber hinaus gibt es Studien, die belegen sollen, dass Online-Tutorials und E-Learning-Programme zu einer deutlichen Verkürzung der Schulungszeiten führen. Laut einer Studie der Brandon Hall Group – die allerdings selbst im E-Learning-Geschäft tätig ist – sollen Unternehmen durchschnittlich 40 bis 60 Prozent der Schulungszeit im Vergleich zu traditionellen Methoden einsparen.

«Reine Zeitverschwendung»

Für viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bleiben sie ein Gräuel. Oft sind sie zu wenig auf die spezifischen Bedürfnisse abgestimmt. Sie sind unpersönlich und schlecht gestaltet, was zu geringerem Engagement und tiefer Beteiligung führt. Ein Banker sagt es so: «Ich habe selbst jahrelang im Finanzsektor gearbeitet, und es ist reine Zeitverschwendung.»

Im Laufe der Jahre haben die Mitarbeiter effektive Methoden gefunden, um diese Zeitverschwendung zu umgehen oder zumindest erheblich zu verkürzen. Die meisten Tutorials sind so aufgebaut, dass zunächst ein langweiliges Video gezeigt wird, in dem das Basiswissen vermittelt wird. Dann folgt eine Reihe von Testfragen. «Jetzt kann man natürlich direkt zu den Fragen gehen, und wenn etwa 70 Prozent richtig sind, hat man für die nächsten zwölf Monate Ruhe», erklärt der Banker.

Andere absolvieren die Schulungen erst gar nicht. Oft sind es die Chefs, die ihre Mitarbeiter ermutigen, den Test nicht zu machen. Sie sollen sich lieber ums Geschäft kümmern. Eine beliebte Methode ist es, den Assistenten oder die Assistentin an den Computer zu lassen. Berufseinsteiger dagegen machen die Tutorials oft in Gruppen. «Die meisten haben das früher zu zweit oder zu dritt gemacht, nach dem Motto: Einer weiss die Antwort bestimmt. Das geht auch schneller», erinnert sich ein Banker. Für ihn ist das Ganze «eine totale Lachnummer». Es nütze nur den Unternehmen, die sich mit vermeintlich gut ausgebildetem Personal brüsten würden.

Pflichtstoffe

Für bestimmte Mitarbeiter von Finanzdienstleistungsunternehmen sind Schulungen jedoch auch obligatorisch. So verlangt die Finma von den Banken, dass sie ihre Mitarbeitenden regelmässig zu Themen wie Geldwäschereiprävention (AML) und Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung (CTF) schulen.

Dies könnte ein Grund dafür sein, warum die Regulatoren offenbar kein Pardon kennen, wenn eine Gewährsperson einen Online-Test verpasst oder von jemand anderem durchführen lässt, wie es der ehemalige Firmenkundenchef der CS getan hat.

Andreas Gerber hätte Anfang August in die Geschäftsleitung der Liechtensteinischen Landesbank (LLB) einziehen sollen. Wie Recherchen ergeben haben, hat die FMA (Finanzmarktaufsicht Liechtenstein) die dafür nötige Bewilligung überraschend nicht erteilt. Hintergrund scheint tatsächlich der leichte Compliance-Verstoss im Zusammenhang mit den Online-Schulungen zu sein. Weil eine andere Person drei Online-Tutorials für Gerber durchgeführt hat, kam die FMA offenbar zum Schluss, dass deswegen seine «persönliche Integrität» nicht gegeben sei.

Für die Regulatoren scheint es eine Art Kränkung zu sein, wenn sich ein Gewährsträger über Regeln hinwegsetzt, die sie vorgeben. Sie neigen zu übertriebener Härte, selbst wenn es sich um Bagatellen handelt. Der Grundsatz der Verhältnismässigkeit wird nicht mehr gewahrt.

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