Ist es vorbei mit der Krypto-freundlichen Regulierung in der Schweiz? Das DLT-Gesetz (Digital Ledger Technologie) oder die Flexibilität bei den Anforderungen für Staking stiessen in den vergangenen Jahren in der Kryptobranche auf grosses Lob. Doch am 26. Juli publizierte die Finanzmarktaufsicht (Finma) die Aufsichtsmitteilung «Stablecoins: Risiken und Anforderungen für Stablecoin-Herausgebende und garantiestellende Banken». Die Branche war perplex. Schnell stand der Vorwurf im Raum, der Regulator verunmögliche hierzulande die Herausgabe von Stablecoins.
Und in den Short Cuts diese Woche:
• RealUnit erfüllt Versprechen
• Bitcoin Transaktionen brechen 2024 ein
Kein gutes Haar an der Regulation lässt die Swiss Blockchain Federation (SBF), der neben wichtigen Industriegrössen auch mehrere Kantone angehören. Der Interessenverband bemängelt insbesondere, dass die Finma die Ansicht vertrete, dass Emittenten von Stablecoins verpflichtet seien, alle Inhaber als Kunden zu erfassen und ihre Transaktionen zu überwachen. Dadurch wird gemäss SBF eine «dauerhafte Geschäftsbeziehung» zwischen Stablecoin-Inhaber und -Emittent und damit eine Kundenbeziehung nach Geldwäschereigesetz konstruiert.
Die von der FINMA vertretene Auslegung der geldwäschereirechtlichen Rahmenbedingungen geht deutlich weiter als das, was internationale Standardsetzer und andere Staaten verlangen. Weder die Europäische Union noch Singapur, Hong Kong, Japan oder die USA verlangen eine Identifikation aller Zwischeninhaber eines Stablecoins oder eine Beschränkung seiner Übertragbarkeit.
Hohe Hinterlegung nötig
Bereits in den rechtlichen Rahmenbedingungen, die es seit 2017 gibt, scheint der Standort Schweiz gegenüber Konkurrenten in Sachen Stablecoins benachteiligt. Banken müssen für einen Stablecoin im Wert von 1 Franken 64 Rappen als Eigenkapital hinterlegen. Gemäss Gewichtung des Basler Ausschusses für Bankenaufsicht beträgt die ungewichtete Eigenmittelquote damit 800 Prozent. In der EU müssen kleine Anbieter von Stablecoins lediglich die Vorgaben der Markets-in-Crypto-Assets-Regulation (Micar) erfüllen und nur 2 Rappen pro Franken hinterlegen. Beim Marktführer Tether aus den USA sind es 3 Rappen.
«Die 800 Prozent Risikogewicht klingen nach sehr viel. Wenn man das Ganze aber umrechnet mit Gewichtungsfaktoren kommt heraus, dass man zum Beispiel Bitcoin im Wert von 100 Franken in einer Bankbilanz mit 100 Franken Eigenkapital unterlegen muss», sagt Finanzprofessor Andreas Dietrich von der Hochschule Luzern. Das sei bei Krypto-Anlagen nachvollziehbar – bei Stablecoins könne man das aber natürlich kritisch hinterfragen. Schlussendlich argumentiere die Finma aber auch mit dem Schutz der Einleger und dem «Worst Case». Abhängig von der künftigen Ausgestaltung eines Stablecoins kann es gemäss Dietrich aber sein, dass man dieses Risikogewicht anpassen würde.
Für Banken nicht attraktiv
Heutzutage lohne sich die Nutzung von Stablecoins sicherlich nicht für eine Bank, sagt Gregor von Bergen, Spezialist für digitale Assets beim Beratungsunternehmen Capco in Zürich. Die Anwendung sei eher im Innovations-Bereich anzusiedeln. «Das sieht in Europa mit Micar anders aus, da dort die Kapitalunterlegung für Stablecoins bei 2 Prozent liegt, für systemrelevante bei 3 Prozent», fügt er an. Das könne sich aber bald schon ändern. Mit dem veränderten Basel-Standard SCO60, der am 1. Januar 2025 in Kraft trete, könne sich auch der hiesige Markt in diesem Bereich verändern.
In der Schweiz verzeichnen Stablecoins bisher kaum Volumen. Mit der neuen Finma-Aufsichtsmitteilung scheint der Ausblick noch trüber zu werden. Wie um das zu bestätigen, kündete Anfang September Bitcoin Suisse an, den eigenen Stablecoin CryptoFranc (XCHF) Ende Monat vom Markt zu nehmen. Doch das scheint nur beschränkt der neuen Finma Aufsichtsmitteilung zu tun zu haben.
Interesse erloschen
«Die Entscheidung, den CryptoFranc einzustellen oder zu verkaufen, wurde bereits vor über einem Jahr gefällt, da die Ausgabe von Stablecoins nicht zum Anlagegeschäft passt», sagt Luzius Meisser, Verwaltungsrat von Bitcoin Suisse. So habe das Unternehmen die sich im Umlauf befindliche Menge an XCHF im Verlauf des Jahres bereits sukzessive reduziert. Mit der überraschenden Aufsichtsmitteilung sei das Interesse potenzieller Käufer erloschen und Bitcoin Suisse hätte die beschlossene komplette Einstellung umgesetzt.
Der XCHF habe nie mit dem Kerngeschäft mithalten können. «Der CryptoFranc war eine Wette auf ein blühendes Schweizer Krypto-Ökosystem mit einem intrinsischen Bedürfnis nach On-Chain-Transaktionen in der hiesigen Währung», sagt Meisser. Stattdessen sei die Schweiz im internationalen Vergleich als Standort zurückgefallen und der Schweizer Franken spiele Stand heute leider keine nennenswerte Rolle bei Blockchain-basierten Transaktionen.
Desinteresse ist schuld, nicht Finma
Die Finma-Regulierung habe einem Schweizer Stablecoin sicherlich nicht den Garaus gemacht, auch wenn die Haltung des Regulators eher restriktiv sei im Vergleich zu den anderen internationalen Regulatoren, zum Beispiel bei der Identifikation von Sender und Empfänger, führt von Bergen aus. «Das fehlende Wachstum ist eher auf der Nutzerseite zu suchen. Ein Stablecoin muss Mehrwert liefern für den Kunden oder den Händler. Dies ist heute noch zu selten der Fall», so der Capco-Zahlungsexperte.
Die Integration des CryptoFranc zusammen mit Worldline sei zwar äusserst gelungen und der richtige Ansatz für den Point-of-Sale gewesen, dabei jedoch einfach ein anderes Zahlungsmittel ohne disruptive Vorteile für beide Parteien geblieben. Der Kunde habe sich zuerst den Stablecoin bei den wenigen Bezugspunkten beschaffen müssen, um dann damit zahlen zu können. Der Händler habe weiterhin die Acquiring-Gebühren bezahlt, welche dann auch aufgrund des Risikos eher hoch gewesen seien.
Revolut und Paypal machen es vor
Gemäss Capco-Fachmann braucht ein florierendes Krypto-Ökosystem aber einen Stablecoin als Abrechnungseinheit: «Das sieht man heute schon bei den altbekannten Stablecoins wie Tether und Circle, welche den Fiat on- und off-Ramp eliminieren und ferner ermöglichen, zwischen Krypto-Börsen Arbitrage-Geschäfte innerhalb von Minuten zu tätigen».
Man müsse jedoch gar nicht so weit denken. E-Money-Provider – die Vorreiter von Stablecoins – wie Revolut und Paypal zeigen gemäss von Bergen heute schon auf, dass ein geschlossenes Ökosystem mit einem eigenen Abbild einer Fiat-Währung Vorteile für Konsumenten bringe wie Geschwindigkeit, Kosten und 24/7-Verfügbarkeit. «Mit Stablecoins in einem offenen Ökosystem wird sich dies noch verstärken», ergänzt er.
Ein digitaler Franken von der SNB
Kommt nun – wenn private Projekte scheitern oder noch lange auf sich warten lassen – der Retail-CBDC (Central Bank Digital Currency für Privatkunden). Die Schweizerische Nationalbank (SNB) hat bereits verschiedene Testläufe mit Wholesale CBCD (digitale Abrechnungswährungen unter Finanzinstituten) durchgeführt. Dem Retail-CBDC schlägt aber überall viel Skepsis entgegen, da so programmierbares Geld und die totale Überwachung der Zahlungsströme ermöglicht würden. «Seitens SNB wurde schon mehrmals erwähnt, dass kein Retail CBDC geplant ist», sagt von Bergen. Die Strategie sei klar auf ein Wholesale CBDC ausgerichtet. Die Verlängerung des entsprechenden Projektes Helvetia III um zwei Jahre wurde bestätigt.
Die Schaffung von digitalem Geld wird gemäss Capco-Experten eher bei den Geschäftsbanken oder bei privaten Anbietern gesehen. So arbeiten auch die Schweizerische Bankiervereinigung oder die Swiss Stablecoin AG an einem Buchgeldtoken. «Wie das Ökosystem von Stablecoins und digitalem Zentralbankengeld aussieht, dürfte sich in den nächsten zwei bis drei Jahren auch weiterentwickeln», sagt von Bergen. Hier sei auch international viel in Bewegung- etwas mit den Initiativen der Bank für Internationalen Zahlungsausgleic (BIS). Auch die internationalen und nationalen Regulatoren seien stets nahe dabei und würden wohl ihre Wahrnehmung gegenüber Digitalwährungen über die Jahre hinweg verändern.
Erst einzelne Anwendungsfälle
In der heutigen Ökonomie gibt es gemäss Finanzprofessor Dietrich schon einzelne Use Cases für Stablecoins wie zum Beispiel den grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr. «Aber relevanter wird dieses Thema wohl vor allem dann, wenn sich auch die Wirtschaft weiterentwickelt, etwa mit programmierbaren Zahlungen, Machine-to-Machine-Zahlungen, sowie Transaktionen in der DLT-Ökonomie», fügt er an.
In einem Research-Papier mit dem Titel «Warum Stablecoins auch für Schweizer Retailbanken hoch relevant sind», schrieb Dietrich im März 2022: «Um die digitale Transformation voranzutreiben, braucht es auch eine Zahlungsverkehrsinfrastruktur, die sicher, zuverlässig, schnell, kostengünstig und stets verfügbar sein muss». Eine Diskussion sei für die hiesigen Banken wichtig, da abhängig von der Ausgestaltung einer künftigen digitalen Währung auch die Rolle von Banken als Finanzintermediäre in Frage gestellt werde.
Die Schwäche der Schweizer Stablecoins liegt nicht nur an den eingangs erwähnten Faktoren. Der Markt wird von wenigen grossen Akteuren dominiert, wie z.B. Tether (USDT) oder USD Coin (USDC). Zudem weist der Heimmarkt mit dem Franken eine der stabilsten Fiat-Währungen auf. Da Stablecoins oft als Schutz vor Volatilität genutzt werden, ist das Bedürfnis nach einem solchen Instrument in einem ohnehin stabilen Finanzumfeld geringer.
Dezentrale Projekte überzeugen Meisser
«Es darf bezweifelt werden, dass die Nationalbank oder auch kommerzielle Schweizer Banken unter den gegenwärtigen Umständen einen Stablecoin herausgeben werden, der diese Bezeichnung verdient», erklärt Luzius Meisser. Um seinen vollen Nutzen zu entfalten, müsse ein Stablecoin auf einer öffentlichen Blockchain emittiert und frei übertragbar sein. Ein solches Projekt von staatlicher Seite sei ihm zum jetzigen Zeitpunkt nicht bekannt.
Vielversprechender sind gemäss Meisser dezentral organisierte Stablecoins wie der Frankencoin. Über dieses neue Projekt von Luzius Meisser hat tippinpoint bereits berichtet. Dezentrale Stablecoins sind nicht von der Aufsichtsmitteilung der Finma betroffen. Auch können dezentrale Stablecoins gemäss dem Bitcoin-Suisse-Verwaltungsrat viel transparenter und sicherer sein, da sie im Gegensatz zu ihren zentral organisierten Pendants keinen «single point of failure» aufweisen würden.
Ein Stablecoin ist ein Blockchain-basiertes digitales Asset, das von einer zentralen Stelle emittiert wird und an den Wert einer Fiat-Währung wie den Dollar oder den Euro gekoppelt ist und mit dem entsprechenden Wert hinterlegt ist. Alternativ könnten auch Rohstoffe oder Edelmetalle an einen Stablecoin gekoppelt sein. Weil eine zentrale Ausgabestelle vielen Krypto-Enthusiasten ein Dorn im Auge ist, haben sich auch dezentrale, algorithmische Stablecoins entwickelt. Die «stabilen Coins» sollen die blitzschnellen Transaktionszeiten und die Sicherheit von Kryptowährungen mit dem stabilen Wert von traditionellen Währungen kombinieren.
Ab 2019 zeigten Finanzinstitute erstmals Interesse an Stablecoins. Ausschlaggebend dafür war das Libra-Projekt des Konzerns Meta, der auch Facebook betreibt. Libra sollte ein weltweites Zahlungssystems auf Basis des Dollars etablieren und das bestehende Finanzsystem konkurrenzieren. Auch wenn Libra angesichts des regulatorischen Drucks gescheitert ist, hat das Projekt den disruptiven Charakter von Stablecoins aufgezeigt. Stablecoins kommen heute insbesondere im Handel mit digitalen Werten als Verrechnungseinheit und für Zahlungstransaktionen zum Einsatz. Der Tether, der gewichtigste Stablecoin, ist punkto Marktkapitalisierung hinter Bitcoin und Ethereum die Nummer Drei im Markt der Kryptowährungen. Auf Platz sechs folgt der USDC. Beide Coins bilden den Dollar ab.
Short cuts: News aus der digitalen Welt
RealUnit erfüllt Versprechen
Der digitale Aktien-Token von Real Unit war für manche Finanzinstitute der erste Schritt ins Krypto-Banking – etwa für die Hypothekarbank Lenzburg. Die Aktien der Investmentgesellschaft Real Unit können als klassische Aktien oder als Aktien-Token auf der Ethereum Blockchain gehandelt werden. Das Ziel der RealUnit ist es, das Kapital der Anleger vor der Geldentwertung zu schützen. Im ersten Semester 2024 ist das gelungen. Es resultierte ein Gewinn von 3,3 Millionen Franken. Der innere Wert des Tokens stieg um 9,7 Prozent auf 1,13 Franken. Das Anlagevermögen der Gesellschaft in Höhe von 30,5 Millionen Franken bestand Ende Juni zu rund 40 Prozent aus Aktien und zu 32 Prozent aus Gold. Zudem wird in Silber, Platin, Fonds, Zertifikate sowie Bitcoin und Ethereum investiert.
Bitcoin Transaktionen brechen 2024 ein
Die Gesamtzahl der aktiven Adressen im Bitcoin-Netzwerk ist auf ein dreijähriges Tief gesunken. An diesem Wert lässt sich ein gewisses Desinteresse an den Kryptomärkten ablesen. Das zeigt sich auch an der Bitcoin-Notierung, die in dieser Woche deutlich unter die 60’000- Dollar-Marke gefallen ist. Ein Rückgang der aktiven Adressen deutet auf eine geringere Gesamtaktivität im Bitcoin-Netzwerk hin, es finden weniger Transaktionen statt. Seit jeher verfolgen viele Bitcoin-Überzeugte eine Buy-and-Hold-Strategie. Als die Zahl der aktiven Adressen vor drei Jahren das gleiche Niveau markierte, notierte der Bitcoin auf 45'000 Dollar. Weniger Aktivität im Netzwerk bedeutet in der Regel weniger Volatilität, was zu seitwärts tendierenden Kursen führt. Investoren interpretieren diese Ausgangslage, wie so oft, höchst unterschiedlich. Einige sehen den Rückgang der aktiven Adressen und des Preises als eine Gelegenheit, den Bitcoin in Erwartung einer zukünftigen Erholung zu kaufen. Andere deuten dies als Zeichen der Schwäche und des Verlusts von Relevanz im aktuellen Makroszenario.