Vor zehn Jahren klagte die Finanzmarktaufsicht Finma über die schlechte «Meldekultur» im Kampf gegen die Geldwäscherei. Will heissen über die auch international beargwöhnte tiefe Zahl von Verdachtsmeldungen bei der Meldestelle für Geldwäscherei des Bundes (MROS). Nun ist das Gegenteil der Fall. MROS-Leiter Anton Brönnimann gab am Dienstag an einem Seminar des Europainstituts der Universität Zürich bekannt, dass die Zahl der Verdachtsmeldungen im laufenden Jahr um weitere 40 Prozent auf den historischen Höchststand von 21'200 Anzeigen steigen dürfte. Damit haben sich die Meldungen innerhalb von fünf Jahren vervierfacht.
So wenig wie die tiefe Zahl von 2367 Verdachtsmeldungen vor zehn Jahren bedeutete, dass die Schweiz kein Problem mit der Geldwäscherei hatte, so wenig heisst die Flut von Anzeigen, dass die Geldwäscherei-Abwehr seither völlig versagt hat. Das Problem liegt vielmehr darin, dass die Banken dazu übergegangen sind, auch ohne aufwendige Abklärungen im Zweifelsfall Verdachtsmeldungen abzusetzen, um so allfällige Strafverfahren und Bussen zu vermeiden. Rund 30 Prozent der Meldungen nennen laut Brönnimann nicht einmal eine Vortat. «Solche Meldungen sind für die MROS grösstenteils nutzlos», sagte der MROS-Chef. Die Aufarbeitung sei, wenn überhaupt, nur mit extremem Aufwand möglich – und hat zur Folge, dass sich eine «Datenhalde» bildet, wie Brönnimann sich ausdrückte. Dadurch kommt es auch zu Verzögerungen bei der Weitergabe von Informationen an die Strafverfolgungsbehörden.
Konzentration auf Meldungen zur Schwerstkriminalität
Steht das Meldewesen deshalb vor dem Kollaps, wie der MROS-Chef provokativ fragte. Nein, meinte er und verwies auf eine Reihe von Massnahmen, die seine Behörde eingeleitet hat. So verwendet sie einen risikobasierten Ansatz bei der Bearbeitung der Anzeigen mit dem Fokus auf die Schwerstkriminalität. Andere Meldungen werden gefiltert, beziehungsweise ad acta gelegt. Fortschritte vermeldet Brönnimann zudem bei der Weiterentwicklung von technischen Fähigkeiten. Wobei die Schweiz nach seinen Worten bei der Digitalisierung drei bis fünf Jahre hinter Ländern in Südostasien und der Golfregion hinterherhinkt. Zentrales Element bei den Meldungen sei die Datenqualität, sagte der MROS-Chef und plädierte für ein «back to the roots». Er verwies auch auf Verbesserungen der Effizienz seiner Behörde. So sind die Anzeigen an die Strafverfolgungsbehörden wieder am Steigen und dürften im laufenden Jahr um knapp einen Drittel auf 1381 zunehmen.
Dennoch müsste der Personalbestand der MROS laut Brönnimann von gegenwärtig 51 Vollzeitstellen verdoppelt werden, um die Arbeitslast zu bewältigen. Weil dies angesichts der klammen Bundesfinanzen nicht realistisch ist, prüft die MROS im Auftrag des Bundesrats alternative Finanzierungsmodelle. Dazu gehöre neben einem Gebührenmodell, wie es die Eidgenössische Finanzkontrolle ins Gespräch brachte, auch eine Integration in die Schweizerische Nationalbank, sagte der MROS-Leiter und verwies auf die Lösung Italiens.
Negativtypologie ist kein Kochbuch
Brönnimann ging auch auf die Kritik an der kürzlich veröffentlichten Negativtypologie seiner Behörde ein, also auf Beispiele, in denen keine Verdachtsmeldung nötig ist. Es gehe nicht darum, einen Finanzintermediär von einer Meldung abzuhalten, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen dazu erfüllt seien. Die MROS habe auch nicht die Kompetenz das Gesetz einzuschränken oder zu präzisieren. «Es handelt sich weder um eine Rechtsauslegung noch um ein Kochbuch», sagte der MROS-Chef.