Voraussichtlich Anfang Dezember reist zum zweiten Mal im laufenden Jahr eine Delegation des Bundesstrafgerichts nach Usbekistan, begleitet von Anwälten aus der Schweiz. Wie schon im vergangenen Februar geht es um Einvernahmen von Gulnara Karimowa, der 53-jährigen Tochter des 2016 verstorbenen usbekischen Langzeitpräsidenten Islam Karimow, die seit 2014 in ihrer Heimat inhaftiert ist. Die Wiederholung der für die Schweizer Strafjustiz einmaligen Auslandsmission ist die direkte Folge des Entscheids des Bundesstrafgerichts vom vergangenen Mai, die beiden Strafverfahren im Fall Karimowa zusammenzulegen. Das heisst jenes gegen die als «Prinzessin» gehandelte ehemalige Genfer UNO-Diplomatom mit dem Verfahren gegen ihren früheren Vermögensverwalter und gegen ihre einstige Hausbank Lombard Odier.
In beiden Fällen liegen seit einem beziehungsweise zwei Jahren bereits Anklageschriften der Bundesanwaltschaft (BA) in Bellinzona. Karimowa und ein ehemaliger Geschäftspartner müssen sich im Zusammenhang mit Schmiergeldzahlungen von internationalen Telekomkonzernen in Milliardenhöhe bei der Vergabe von usbekischen Mobilfunklizenzen wegen Beteiligung an einer kriminellen Organisation, Geldwäscherei, Bestechung fremder Amtsträger sowie Urkundenfälschung verantworten. Im Fall des Vermögensverwalters und der Genfer Privatbank geht es um schwere Geldwäscherei beziehungsweise um den gleichen Tatbestand in Verbindung mit strafrechtlicher Verantwortlichkeit des Unternehmens.
Die Zusammenlegung der Verfahren, gegen die sich die BA vergeblich gewehrt hatte, bedeutet eine weitere Verzögerung in der Korruptions- und Geldwäschereiaffäre, die die hiesige Justiz seit 2012 beschäftigt und bei der damals rund 800 Millionen Franken beschlagnahmt wurden. Das Bundesstrafgericht bestätigt Informationen von Tippinpoint über die neuerliche Mission nach Taschkent. Die Einvernahmen seien im Oktober auf dem Rechtshilfeweg mit Usbekistan vereinbart worden und sollten im Prinzip im Dezember stattfinden, erklärte die stellvertretende Generalsekretärin des Gerichts, Estelle de Luze, auf Anfrage. Es handle sich um eine Folge der im Mai verfügten Zusammenlegung der beiden Verfahren. Und es gehe vor allem um Vorwürfe gegen Lombard Odier und den früheren Angestellten der Bank. Die von den Parteien beantragten und vom Gericht genehmigten Einvernahmen betreffen laut de Luze Gulnara Karimowa und vier Zeugen.
Usbekische Justiz von UNO-Gremium scharf kritisiert
Wie im Februar werden die Anwälte der Beschuldigten keine direkten Fragen stellen können. Die Befragung erfolgt vielmehr durch usbekische Staatsanwälte. Usbekistan ist auch für die Übersetzung besorgt. Für die Anwälte der Verteidigung stellt sich damit die Frage, ob die so gewonnen Aussagen vor Gericht überhaupt verwertbar sind. Zumal seit Februar ein weiteres Element hinzugekommen ist, das die Rechtsstaatlichkeit der usbekischen Justiz in Frage stellt. Die UNO-Arbeitsgruppe gegen willkürliche Inhaftierungen, ein Gremium unabhängiger Menschenrechtsexperten, bezeichnete die Inhaftierung Karimowas nämlich in einer im Juni veröffentlichten Stellungnahme als willkürlich. Zudem sei das Recht auf ein faires Verfahren in den ersten beiden Prozessen gegen die älteste Tochter des Ex-Präsidenten verletzt worden. Die usbekische Regierung wurde vom UN-Gremium aufgefordert, unverzüglich dafür zu sorgen, dass die Situation von Karimowa wieder in Einklang mit den internationalen Normen bezüglich Menschenrechte sowie zivile und politische Rechte gebracht wird. Die Regierung solle zudem eine vollständige und unabhängige Untersuchung der willkürlichen Haftumstände einleiten.
Bundesamt für Justiz lehnt Suspendierung der Rechtshilfe ab
Gestützt auf den Bericht des UN-Gremiums forderte der Genfer Rechtsanwalt und Pflichtverteidiger von Gulnara Karimowa, Grégoire Mangeat, das Bundesamt für Justiz (BJ) im Juli auf, die Rechtshilfe an Usbekistan im Fall Karimowa zu untersagen. In einem Schreiben vom 30. September lehnte das BJ dies aber ab. Allfällige Verfahrensverstösse in den usbekischen Strafverfahren könnten nicht den Schweizer Behörden oder ihren Rechtshilfeersuchen angelastet werden, heisst es im Brief. Das BJ lässt auch einen Vergleich Usbekistans mit Russland nicht gelten, wo das Risiko einer menschenrechtswidrigen Behandlung laut einem Urteil des Bundesstrafgerichts auch mit diplomatischen Zusicherungen nicht auf ein Mass herabgesetzt werden kann, dass es als nur noch theoretisch erscheint, und deshalb die Rechtshilfe zu verweigern ist.
Interessant ist in diesem Zusammenhang eine weitere Stellungnahme des BJ zu Handen des Bundesstrafgericht vom Dezember 2023. Auf die Frage nach Möglichkeiten für eine provisorische Überstellung von Gulnara Karimowa an die Schweiz beschied das BJ damals, es gebe werde eine Rechtsgrundlage noch einen Vertrag, der eine vorübergehende Überstellung Karimowas für die Durchführung eines Prozesses ermögliche. Usbekistan habe weder das Europäische Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen noch das Europäische Auslieferungsübereinkommen unterzeichnet. Die Auslieferung oder eine vorübergehende Überstellung sei auch hinsichtlich der Nationalität der Beschuldigten und der Situation der Menschenrechte in Usbekistan im Sinne der im Rechtshilfegesetz verankerten Ausschlussgründe nicht möglich.
Verjährung könnte akut werden
Auf die Frage nach dem Zeitraum für einen Prozess in der Affäre Karimowa erklärte das Bundesstrafgericht, das werde sich nach den neuen Einvernahmen zeigen. Seitens der Anwälte schliesst man nicht aus, dass aufgrund von Zusatzfragen eine dritte Runde von Einvernahmen in Usbekistan nötig werden könnte. Der Prozess könnte sich damit bis 2027 verzögern, womit die Frage der Verjährung akut würde. Das Strafverfahren gegen Karimowa und die parallelen Bemühungen der Schweizer Behörden zur Restitution der beschlagnahmten Gelder waren von Anfang an von Ungereimtheiten und Problemen begleitet gewesen. Während die Hauptfigur hierzulande nach wie vor von keinem Gericht beurteilt wurde, verurteilte die Bundesanwaltschaft vier Komplizen der Usbekin per Strafbefehl und zog den Löwenanteil der gesperrten Gelder ein.
Gestützt auf einen Bundesratsentscheid von 2018, wonach alle rechtskräftig eingezogenen Gelder an Usbekistan zurückgeführt werden, erhielt das zentralasiatische Land bisher 313 Millionen Dollar. Im Fall von weiteren 350 Millionen Franken, die die Bundesanwaltschaft einziehen möchte, hat die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts im Juli 2022 eine Verfügung aufgehoben und den Fall zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen. Dieses Verfahren wurde inzwischen bis zum Ausgang des Prozesses gegen Gulnara Karimowa sistiert. Aussenminister Ignazio Cassis empfing am vergangenen 16. Oktober den usbekischen Aussenminister Bakhtiyor Saidov in Bern. Dabei ging es unter anderem um die Rückgabe der Karimowa-Gelder. Sie sind ausserdem nach wie vor im Visier von Gläubigern der Milliardenpleite der Zuger Firma Zeromax, die nach dem Ausschluss vom Verfahren der Bundesanwaltschaft eine Staatshaftungsklage eingereicht haben.

