Die Diskussionen über die richtigen Anreizsysteme flammen jedes Jahr neu auf. Dieses Jahr sorgten die Bonizahlungen der Credit Suisse für Kopfschütteln. Trotz schlechten Resultaten schüttete die Grossbank zwei Milliarden an die Beschäftigten aus. Die Begründung: “To keep employees happy.”
Hoch gingen die Wogen auch bei der Turnschuhmarke On, die ihrem fünfköpfigen Topmanagement ein Lohnpaket von 83 Millionen Franken schnürte. Sie erhielten fast 17 Millionen Franken pro Kopf, obwohl das Unternehmen letztes Jahr einen massiven Verlust schrieb und die Aktien seit Börsenstart deutlich verloren. Einer der On-Gründer sagte in einem SRF-Interview, dass er sich von der Schweizer Bevölkerung mehr Wertschätzung wünsche und dass “man Erfolge auch zelebrieren kann, damit andere motiviert werden, den Weg zu gehen.”
Ist das wirklich so? Motiviert Geld tatsächlich? In der Fachwelt sind leistungsabhängige Vergütungen, seit sie vor 50 Jahren eingeführt wurden, umstritten.
Alternativen zum Pay-for-Performance-Modell
Das Liechtensteiner Industrieunternehmen Hilti wollte der Sache auf den Grund gehen und führte ein hochspannendes, mehrjähriges Lohnexperiment durch. Das Unternehmen, das bekannt ist für seine breite Palette von Werkzeugen für die Bauindustrie, lotete in Zusammenarbeit mit der Universität St. Gallen Alternativen zu den herkömmlichen Pay-for-Performance-Modellen aus.
Auch Hilti setzt an der Verkaufsfront seit vielen Jahren auf leistungsabhängige Bonuskomponenten zur Steuerung der Motivation. Das Unternehmen ist mit 30’000 Mitarbeitern in 120 Märkten aktiv. Etwa 70 Prozent der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind an der Verkaufsfront tätig.
Die Forscher der Uni St. Gallen wählten fürs Experiment eine Verkaufseinheit in Osteuropa mit 190 Beschäftigen, wie sie in einem kürzlich publizierten Artikel in der Fachzeitschrift MITSloan Management Review (Artikel kostenpflichtig) schreiben. Das Salär der Mitarbeiter dieser Abteilung setzt sich aus einem fixen Anteil (65 Prozent) und einem leistungsabhängigen Bonus von 35 Prozent zusammen.
Boni lösten Frust aus
Doch in den letzten Jahren häuften sich die Probleme. Das Management verbrauchte viel Zeit damit, die Leistungskomponenten zu definieren und diese den Mitarbeitern zu erklären. Wenn die Ziele geändert wurden, gab es grosse Diskussionen im Betrieb, ob diese gerecht seien oder nicht. Das löste oftmals Frust aus unter der Belegschaft.
Bald fragte man sich, ob das leistungsabhängige Lohnsystem überhaupt noch als Instrument zur Steigerung der Motivation tauge. Hinzu kam, dass sich Hilti zunehmend in ein Service-Unternehmen wandelte. Dadurch verlängerten sich die Verkaufszyklen, was die Definition von nachvollziehbaren Leistungskriterien erschwerte.
Am ersten Januar 2019 führte Hilti dann ein neues Salärsystem bei der Verkaufseinheit ein. Die Fixlöhne wurden auf 97 Prozent erhöht, wobei die Höhe individuell aufgrund von Erfahrung und individueller Leistung angepasst wurde. Die restlichen drei Prozent flossen in nicht-finanzielle Belohnungen, wie etwa Gutscheine für ein Essen mit der Familie oder Eintritte in Vergnügungsparks. Hilti veranstaltete quartalsweise Wettbewerbe, wo sich Verkäufer oder ganze Abteilungen spielerisch messen konnten.
Verblüffendes Resultat
Das Resultat war verblüffend. Im Jahr 2018, also vor dem Start des Experiments, betrug das Verkaufswachstum 14,4 Prozent. Dann im ersten Jahr mit dem neuen System konnten die Verkäufe marktbereinigt um 40 Prozent gesteigert werden. Tatsächlich schrumpfte das Wachstum leicht, doch weil der Gesamtmarkt im Jahr 2019 stärker zurückging, konnte die Abteilung relativ zum Markt dennoch ein positives Wachstum erzielen.
Interessant war, dass selbst jene Verkäufer den Markt schlugen, die am stärksten auf sogenannte extrinsische Motivationsfaktoren ansprachen – also auf einen möglichst grossen Bonus. Ebenfalls positiv war, dass die Fluktuation in der Abteilung zurückging sowie die Mitarbeiterzufriedenheit insgesamt stieg. Im Jahr 2019 lag sie höher als in den fünf Jahren zuvor. Die Zufriedenheitswerte im Verkaufsteam erhöhten sich um 19 Prozent, während sie betriebsweit um neun Prozent zunahmen. Die Befürchtung, dass Mitarbeiter sich weniger anstrengen würden, bewahrheitete sich nicht.
Aufgrund der Ergebnisse hat das Management beschlossen, “zielunabhängige” Kompensationsmodelle auch in anderen Verkaufseinheiten einzuführen. Wie in der Studie nachzulesen ist, habe Hilti auch auf Gruppenebene begonnen, die Entschädigungssysteme fürs Management zu überdenken.
Raiffeisen und Migros Bank machen erste Schritte
Dass Hilti sich offen zeigte für dieses Lohnexperiment, ist kein Zufall. Seit 2013 unterstützt es das sogenannte Hilti Lab for Integrated Performance Management der Universität St. Gallen. Wissenschaftlich begleitet wurde das Experiment von Uniprofessor Klaus Möller.
Ob “zielunabhängige” Lohnmodelle auch in Bonihochburgen wie den Banken denkbar sind? Auf Anfrage sagt Klaus Möller, dass die Erkenntnisse “sicherlich auch auf andere Branchen übertragbar” seien. Er habe bereits Gespräche mit Banken geführt. Zudem verweist Möller darauf, dass einige Institute begonnen haben, ihre Systeme umzustellen. Dazu gehören unter anderem die Migros Bank und Raiffeisen.