Foodonomics
Das Leerfischen der Meere macht Fischkonsum zu einem fraglichen Vergnügen und stürzt die Luxusgastronomie ins Dilemma. Die Hotel- und Restaurantkette Relais & Châteaux sucht einen Ausweg, indem sie den Ansprüchen der Umwelt gerecht zu werden verspricht.
27. Mai 2023 • Michael Lütscher

Fisch und Meeresfrüchte waren die Krone der Gourmet-Gastronomie. Die logistischen Möglichkeiten setzten den Massstab. Je länger der Flugtransport des Getiers, desto exklusiver der Genuss. Hummer aus Nordamerika, Shrimps aus Südafrika, Seeteufel aus der Nordsee und Kaviar aus dem kaspischen Meer. Ferienträume und Meeresduft auf dem Teller. Heute lässt einen das in Bezug auf den Klimawandel und Umweltschäden eher die Stirne runzeln und womöglich den Appetit vergällen.

Relais & Châteaux (R&S), die Vermarktungsorganisation von weltweit 580 feinen, kleinen und mittelgrossen Hotels mit ausgezeichneter Küche, will «die Erhaltung der Meere zu einer Priorität» erklären. Bereits 2014 haben die R&S-Mitglieder in einem Manifest» festgehalten, «die Welt durch Kulinarik und Gastfreundschaft zu einem besseren Ort zu machen». «Die Küchenstars müssen ihre Gäste erziehen und Vorbilder sein», sagt Jan Stiller, Vorsitzender von Relais & Châteaux Schweiz und Hotelier des 5-Sterne-Hauses Lenkerhof in Lenk BE.
Um sich in den komplexen Zusammenhängen der Nahrungsmittelproduktion zurechtzufinden, ist manchmal Spezialwissen, ja eine professionelle Auseinandersetzung mit der Materie nötig. Die häufig als besonders nachhaltig gepriesene Saisonalität führt bei der Fischerei häufig ins Gegenteil. Sind besonders viele Fische einer bestimmten Art im Angebot, bedeutet das: Sie sind gerade leichter zu fangen. Das ist meistens dann der Fall, wenn sie laichen und sich in riesigen Schwärmen treffen. Ist eine Art bedroht, wird sie es durch das saisonale Fangen erst recht. Das gilt zum Beispiel für den begehrten Wolfsbarsch, der ausserhalb der Laichzeit einzelgängerisch unterwegs ist.

«Man sollte gefährdete Arten höchstens mit Mass konsumieren», sagt Elisabeth Vallet, Direktorin der in Paris domizilierten Organisation Ethic Ocean. Diese setzt sich für eine nachhaltige Fischerei ein und berät unter anderen Relais & Châteaux. Man müsse die Lebenszyklen der verschiedenen Fische und Krustentiere ebenso wie ihr Vorkommen berücksichtigen. Und Alternativen in Betracht ziehen, nämlich Tiere aus Zuchten brauchen, wobei hier die Fütterung und die Haltung zu beachten sei. Oder Süsswasserarten verwenden.

In Gourmetrestaurants kamen diese früher fast nicht vor, weil ihr Fleisch und Geschmack im Vergleich mit Meeresfischen weniger kräftig ist.
Welch grossartige Gerichte sich aber mit heimischen Fischen zubereiten lassen, zeigten die R&S-Spitzenköche Stéphane Décotterd (1 Stern, Maison Décotterd, Glion), Guy Ravet (1 Stern, Grand Hotel du Lac, Vevey) und Franck Derouet (3 Sterne, Clos des Sens, F-Annecy) gestern im Hinblick auf den Welttag des Meeres am 8. Juni im Maison Décotterd in Glion VD.
Das achtgängige Menü bestand unter anderem aus Forellen- und Hechtrogen, roh mariniertem Seesaibling, Flusskrebsen mit Tannenknospen, einer gebackenen Hechtroulade, einem glasig gegarten Felchenrücken, Egli mitsamt seiner Leber und gebratenem Zander. Die kleinen Kochkunstwerke schmeckten vorzüglich und lösten bei der tafelnden Gourmetgesellschaft immer wieder Begeisterung aus.
Bloss, in unseren Gewässern schwimmen viel zu wenige Fische, um die Nachfrage decken zu können. Der Fischkonsum bleibt ein schwieriges Kapitel. Einfache Lösungen gibt es nicht. Also bleibt der pragmatische Weg der Kompromisse. Guy Ravet, Küchenchef des Grand Hotel du Lac in Vevey sagt deshalb: «Wir verwenden auch Meerfische. Weil unsere Kundschaft das wünscht. Aber wir schauen genau, woher sie kommen und was ihre Situation ist. Im Zweifelsfalle kaufen wir lieber Schweizer Zucht- statt Meerfisch. Wir verwenden generell immer mehr Süsswasserfische. Das kommt bei den Gästen gut an».