An diesem Wochenende findet in Monte Carlo das traditionelle Rendez-vous de Septembre der Rückversicherungsbranche statt. Zahlreiche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Zürcher Rückversicherers werden in das monegassische Fürstentum reisen, um an zahlreichen Veranstaltungen teilzunehmen. Die Konferenz dauert bis Montag.
Da der zweitgrösste Rückversicherer der Welt ab 2021 einen internen CO₂-Preis berechnet, verzichten viele Beschäftigte auf die Anreise mit dem Flugzeug und steigen auf die Bahn um. Das dauert zwar länger und ist umständlicher, schont aber die Umwelt und belastet das CO₂-Budget weniger.
Als im vergangenen Jahr in Südfrankreich die Züge ausfielen, verlängerte sich die Heimreise für Dutzende von Mitarbeitenden erheblich. Nicht so für Christian Mumenthaler. Der Konzernchef der Swiss Re nahm den Privatjet, die firmeneigene Dassault Falcon 7X. So war er wieder schneller in Zürich.
Das ESG-Vorzeigeunternehmen und der Privatjet
Dass der Chef mit dem Privatjet durch die Luft fliegt, während sich viele Mitarbeitende auf den Perrons die Füsse platt stehen, ist im Unternehmen ein heiss diskutiertes Thema. Wie kann sich der Chef so einfach über die Firmenpolitik hinwegsetzen, möglichst wenig CO₂ auszustossen?
Dass die Swiss Re überhaupt einen Firmenjet besitzt, mag überraschen. Denn der Schweizer Rückversicherer gilt als absolutes Vorzeigeunternehmen in Sachen Nachhaltigkeit. In fast allen relevanten Rankings erreicht das Unternehmen Spitzenwerte. Im MSCI-ESG-Rating etwa erhält es die Bewertung AAA.
Im vergangenen Jahr hat sich das Unternehmen zum Ziel gesetzt, die Emissionen aus dem Flugbetrieb gegenüber der Zeit vor Corona um 50 Prozent zu reduzieren. Der intern verrechnete CO₂-Preis soll die richtigen Anreize setzen. Er gilt für alle relevanten Aktivitäten. Konkret heisst das: Fliegt jemand mit der Business-Class von Zürich nach London, werden der Abteilung rund 200 Franken verrechnet. Fliegt die Person in der Business Class, steigt der Preis auf 600 Franken. Bei Langstreckenflügen sind die Kosten deutlich höher.
Diese Kosten sind direkt mit dem Verteilschlüssel der Bonuszahlungen verknüpft. So haben die Abteilungsleiter einen Anreiz, CO₂-intensive Reiseaktivitäten ihrer Teams tief zu halten. Wenn jemand wie verrückt in der Gegend herumfliege, würde uns das auffallen, sagte Reto Schnarwiler, der Chef Group Sustainability von Swiss Re, in einem Gespräch mit der Financial Times vor einem Jahr.
50 Mal mehr CO₂-Emissionen im Privatjet
Wie oft Christian Mumenthaler den Firmenjet benutzt, gibt der Konzern auf Anfrage nicht bekannt. Auch die Frage, ob er dieses Wochenende mit der Falcon nach Südfrankreich fliegt – oder ob er den Zug nimmt, will die Medienstelle nicht beantworten. Das Unternehmen schreibt in einer Stellungnahme: «Swiss Re verfolgt konsequent das Ziel, die Emissionen aus Geschäftsreisen gegenüber 2018 um 50 Prozent zu reduzieren. Für das Jahr 2022 hat Swiss Re die Emissionen bezüglich Geschäftsreisen um mehr als 70 Prozent gegenüber 2018 gesenkt. Die Reiseemissionen sind einer der Faktoren, die die Festlegung des Bonuspools für die Mitglieder der Geschäftsleitung beeinflussen.»
Tatsächlich fliessen gemäss Entschädigungsbericht die CO₂-Einsparungen in die Bonusziele von CEO Mumenthaler ein. Sie befinden sich in den ESG-Indikatoren, die zu 15 Prozent gewichtet werden. Für das vergangene Jahr hat er die Ziele übererfüllt. Im Bericht heisst es: «Der CEO der Gruppe zeigte ein sehr starkes persönliches Engagement für ESG-Themen und stärkte das Profil von Swiss Re als prominenter Teilnehmer an öffentlichen Diskussionen, insbesondere in wichtigen Schwerpunktbereichen wie der Dekarbonisierung.» Allerdings: Ihm kommt zugute, dass die gesamte Gruppe ihre CO₂-Emissionen reduziert hat. Seine individuellen Emissionen scheinen für den Bonus nicht relevant zu sein.
Nach Zahlen von Greenpeace verursacht eine Reise mit dem Privatjet 50-mal mehr CO₂-Emissionen als mit der Bahn. Bei Linienflügen sind die Emissionen 5 bis 14 Mal höher.