Immer mehr vermögende Schweizer erwägen eine Wohnsitzverlegung ins Ausland. Das freut Beratungsfirmen wie Henley & Partners, die so viele Anfragen erhalten wie noch nie.
12. August 2024 • Beat Schmid

Sie legt eine Blitzkarriere hin. Ende Juni wurde Mirjam Hostetmann zur Präsidentin der Jungsozialisten gewählt. Einen Monat später dominiert die 24-Jährige bereits die Schlagzeilen. Diese Woche schaffte sie es in die Topnews von Bloomberg. Der US-Medienriese publizierte einen längeren Beitrag zu den Folgen der Erbschaftssteuer, die die Jusos in der Schweiz einführen wollen.

Dass die Vorlage überhaupt so prominent diskutiert wird, dafür kann sich Hostetmann bei Bahnunternehmer Peter Spuhler bedanken. Diese machte die Initiative mit seiner schrillen Wegzugsdrohung erst zum Thema. Hätte er nicht so laut gegen die «Enteignungsinitiative» gepoltert, würde kein Hahn danach krähen – nicht in der Schweiz und schon gar nicht im Ausland.

Jetzt ist der Schaden angerichtet: «Selbst die Schweiz diskutiert höhere Steuern für Superreiche», titelte Bloomberg diesen Mittwoch. Die breite und inzwischen international geführte Debatte um die umstrittene Vorlage zeigt Wirkung: Die Zahl der reichen Schweizer Staatsbürger, die einen Wegzug aus der Schweiz erwägen, hat deutlich zugenommen. Das zeigen Zahlen von Henley & Partners, einem weltweit tätigen Beratungsunternehmen, das vermögende Familien unter anderem bei der Steuerplanung und bei bezahlten Staatsbürgerschaften (Citizenship by Investment) unterstützt.

Jacopo Zamboni, der für Henley & Partners in Zürich Schweizer Kunden betreut, sagt im Gespräch, dass die Anfragen von ausreisewilligen Schweizern bereits in den letzten Jahren zugenommen hätten. So verzeichnete die Beratungsfirma 2023 fast viermal so viele Anfragen wie 2020. «Dieses Jahr dürfte ein neues Rekordjahr werden», sagt er. Im ersten Halbjahr 2024 sei die Zahl der Anfragen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum bereits um 26 Prozent gestiegen.

«Perception is reality»

«Zweifellos ist die Initiative der Jungsozialisten einer der Hauptgründe für den jüngsten Anstieg des Interesses und der Anfragen», sagt Zamboni. Auch wenn diese Initiative wahrscheinlich frühestens 2026 zur Abstimmung kommen wird, habe sie «bereits jetzt Auswirkungen auf vermögende Kunden, die nach alternativen Wohnsitz- und Staatsbürgerschaftsoptionen suchen».

Dabei hat sich effektiv noch nichts geändert. Und wird sich wohl auch nicht. Denn gemäss einer diese Woche veröffentlichten Umfrage lehnen 73 Prozent der Stimmbürger die Initiative ab. «Perception is reality», sagt ein angelsächsisches Sprichwort, und deshalb geht in der Schweiz trotzdem schon das grosse Zittern los – bei Peter Spuhler, bei bürgerlichen Politikern und bei den Wirtschaftsverbänden. Sie befürchten, dass die Schweiz ihren Status als Reduit für die Reichen und Besitzenden verlieren könnte. Nach dem Fall des Bankgeheimnisses nun also das Ende des Steuersonderfalls.

Viele reiche Norweger sind in den letzten Jahren in unser Land geströmt, nachdem die sozialdemokratische Regierung Norwegens die Vermögenssteuer für Spitzenverdiener fast verdoppelt hat. Heute würden es sich viele zweimal überlegen, ob sie ihren Wohnsitz von den Hügeln Oslos wieder nach Luzern oder Andermatt verlegen. «Das ist ein sehr radikaler Vorschlag, und ich bin überzeugt, dass er für viele Unternehmer negative Folgen hätte», sagte Tord Kolstad in einem Interview. «Auch wenn ich in der Schweiz sehr glücklich bin, würde ich es mir noch einmal überlegen, wenn das durchkäme.»

Steuerprivilegien kommen unter Druck

Es scheint, als würden sich gerade tektonische Platten verschieben. Nicht nur in der Schweiz. In mehreren europäischen Staaten erhöhen die Regierungen die Steuern und schaffen Privilegien für reiche Ausländer ab. In Grossbritannien plant die Labour-Regierung von Premierminister Keir Starmer eine weitgehende Abschaffung der steuerlichen Vorzugsbehandlung für reiche ausländische Einwohner – sogenannte Non-Doms. Zudem gibt es einen Vorstoss, die Steuern auf Kapitalerträge oder Erbschaften zu erhöhen.

In Frankreich droht die politische Opposition, die wirtschaftsfreundliche Steuerpolitik von Präsident Emmanuel Macron zu kippen. Das Linksbündnis versprach, Milliardäre stärker zu besteuern, und gewann daraufhin die meisten Sitze. Zudem könnten neue Ausgaben zu einer generellen Steuererhöhung sowie neuen Steuern für Reiche und Erbschaften führen. «Seit den Wahlen in Grossbritannien und Frankreich verzeichnen wir einen deutlichen Anstieg der Anfragen aus diesen Ländern», heisst es bei Henley & Partners.

Um die Reichen muss man sich keine Sorgen machen. Während die Schweiz als Zufluchtsort verliert, holen andere auf. «Die Vereinigten Arabischen Emirate (Dubai, Abu Dhabi), Thailand sowie Griechenland und Italien gehören zu den gefragtesten Zielen der Schweizer», sagt Jacopo Zamboni. Zwar hat die italienische Regierung vor wenigen Tagen angekündigt, die Pauschalsteuer für reiche Zuzüger von 100’000 auf 200’000 Euro zu verdoppeln.

Doch Italien bleibt vor allem für Rentner attraktiv: Alle Einkommensarten werden pauschal mit sieben Prozent besteuert. Wichtig sei, so Henley & Partners, dass die Reichen nicht nur wegen der Steuern wegziehen. Oft sei eine Steuererhöhung aber «der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt».