RepRisk-CEO Philipp Aeby
Das Zürcher Unternehmen RepRisk durchforstet für Banken und internationale Konzerne riesige Datenberge nach Reputationsrisiken. CEO und Mitgründer Philipp Aeby erklärt im Interview, wie er dabei künstliche Intelligenz einsetzt und wie diese die Finanzindustrie und die Bankenlandschaft verändern könnte.
27. Dezember 2024 • Beat Schmid

Herr Aeby, RepRisk hat sich auf ESG-Risiken spezialisiert. Wie sind Sie eigentlich auf die Idee gekommen, aus Daten ein Geschäft zu machen?

Interessanterweise kam die Idee nicht von uns. Wir waren ursprünglich ein Beratungsunternehmen, als ein Kunde auf uns zukam und uns bat, ihn bei Know-Your-Customer- und Due-Diligence-Prozessen im Rahmen von Unternehmenstransaktionen zu unterstützen. Ziel des Kunden war es, diese Prozesse besser mit Daten zu untermauern.

War das die UBS, die laut ihrer Website einer der ersten Kunden war?

Ja, aber das war die UBS-Einheit in den USA. Damals, 2006, also noch vor der Finanzkrise, baute die Bank das Investmentbanking stark aus. Unter Marcel Ospel wollte sie die Nummer eins an der Wall Street werden. Bei Börsengängen stellte die Bank jedoch fest, dass erhebliche Reputationsrisiken entstehen können, wenn Angaben in den Prospekten falsch oder gar gefälscht sind. Gerade bei Unternehmen aus den Emerging Markets oder Frontier Markets kann dies schnell zu Reputationsproblemen führen, weil sich Anleger getäuscht fühlen könnten und der Bank Vorwürfe machen.

Ist die UBS auch heute noch Ihr Kunde?

Ja, mittlerweile haben wir viele Finanzkunden – über 80 Prozent unseres Umsatzes kommen aus diesem Bereich. Das liegt daran, dass Finanzinstitute ständig gefordert sind, ihren Ruf zu verteidigen. Bei Unternehmen wie der Migros ist das vielleicht anders, weil sie mehr Goodwill haben.

Derzeit lassen 600 Unternehmen ihre Reputationsrisiken von RepRisk überwachen. Was bieten Sie diesen Unternehmen?

Im Kern geht es immer um das Thema Due Diligence, also Sorgfaltsprüfungen. Die Einsatzmöglichkeiten reichen von der Analyse der Kundenbeziehungen in Banken über Lieferantenprüfungen bis hin zur Bewertung von Kreditrisiken oder ESG-Faktoren, etwa bei Projektfinanzierungen wie dem Bau eines Staudamms. Banken nutzen unsere Lösungen auch im Asset Management, bei Investitionen und bei der Bewertung von Aktien öffentlicher und privater Unternehmen. Versicherungen verwenden sie für ihre Kapitalanlagen und im Underwriting, etwa zur Risikobewertung bei Projekten wie dem Bau einer Brücke, wo Aspekte wie Zwangsarbeit relevant sein können. Auch multinationale Konzerne nutzen unsere Systeme, um Risiken bei Zulieferern oder in Landesgesellschaften zu identifizieren.

Der Druck auf die Unternehmen wächst, auch über nichtfinanzielle Belange Auskunft zu geben. Diese Entwicklung sollte in Ihrem Sinne sein. Einverstanden?

Nicht unbedingt. Als Unternehmer habe ich grundsätzlich Mühe mit regulatorischen Auswüchsen, wie wir sie insbesondere bei der Nachhaltigkeitsberichterstattung sehen. Aus regulatorischer Sicht ist für uns die sogenannte Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) relevant. Leider wird diese Richtlinie oft mit dem Bürokratiemonster CSRD (Corporate Sustainability Reporting Directive) gleichgesetzt. Unser Ziel ist es, es unseren Kunden so einfach wie möglich zu machen – ihnen «Peace of Mind» zu geben. Wir identifizieren Risiken, wie zum Beispiel korrupte Lieferanten, und helfen Unternehmen, gezielt darauf zu reagieren. Wir sehen unsere Stärke nicht im Reporting, sondern im Verstehen und Managen von Risiken.

Der Markt für ESG-Daten wird immer mehr zum Mainstream, die Konkurrenz wächst. Ist das eine Gefahr für RepRisk?

Natürlich bringt mehr Wettbewerb Herausforderungen mit sich. Als wir 2006 starteten, war ESG-Risikomanagement ein völlig neues Feld. Heute ist der Markt viel grösser und wird durch die Regulierung weiter angeheizt. Das ist eigentlich genau die Entwicklung, die wir uns immer gewünscht haben. Die zentrale Frage bleibt: Sind wir immer noch die besten Anbieter? Und meine unbescheidene Antwort ist klar: Ja, auf jeden Fall (lacht).

RepRisk beschäftigt rund 400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wird es Ihnen gelingen, in diesem Geschäft unabhängig zu bleiben?

Wir machen nicht alles allein, sondern setzen auf Partnerschaften, die für uns wichtig sind. Von den 600 Kundenbeziehungen sind viele über Partner wie S&P Global Ratings, FTSE oder J.P. Morgan entstanden. Insbesondere bei internationalen Konzernen ausserhalb der Finanzbrache sehen wir grosses Potenzial für weitere Partnerschaften, zum Beispiel mit Anbietern von Unternehmenssoftware wie SAP oder Oracle. Diese Firmen verfügen über komplementäre Daten, die mit unseren kombiniert werden können. Als spezialisierter Technologie- und Datenanbieter bietet es sich an, unsere Lösungen mit anderen Datenquellen oder Prozessen zu verknüpfen. Ich bin überzeugt, dass unsere Unabhängigkeit ein zentraler Wert ist. Sie ermöglicht es uns, unsere Transparenzmission voranzutreiben und unseren Teil zu einer besseren Geschäftswelt beizutragen.

Wann würden Sie sich für Investoren öffnen?

Das müssen wir uns immer wieder neu überlegen. Vor zwei Jahren haben wir darüber nachgedacht, eine eigene Infrastruktur für Large Language Models (LLM) zu entwickeln. Wir gingen davon aus, dass wir dafür 50 bis 60 Millionen Franken brauchen würden. Zum Glück hat sich Technologie rasant entwickelt. Heute können wir Large Language Models als Service nutzen, zum Beispiel von Microsoft, Google oder OpenAI, und sie mittels Finetuning an unsere Bedürfnisse anpassen.

Wie setzen Sie die KI-Lösungen der grossen Technologiekonzerne ein?

Wir nutzen ihre Modelle zum Beispiel, um Zusammenfassungen von Texten zu automatisieren, die früher von Analysten manuell erstellt wurden. So können wir spezialisierte KI-Techniken implementieren, ohne selbst grosse Investitionen tätigen zu müssen. Das zeigt, dass wir flexibel auf technologische Fortschritte reagieren können, ohne unsere Unabhängigkeit aufzugeben.

Wie muss ich mir die Funktionsweise Ihrer Lösungen vorstellen? Wenn ich es richtig verstehe, besteht die Kernkompetenz von RepRisk auf technischer Ebene darin, riesige Mengen unstrukturierter Daten in nützliche Informationen für Unternehmen umzuwandeln.

Wir sind wie ein Staubsauger, der alle verfügbaren Informationen zu ESG-Risiken aufsaugt. Wir sammeln weltweit Informationen zu Themen wie illegaler Abholzung, Menschenrechtsverletzungen oder Korruption – pro Tag kommen so rund 2,5 Millionen Dokumente in über 20 Sprachen zusammen. Mehr als 280’000 Unternehmen sind bisher auf unserem Radar aufgetaucht. Wichtig ist, dass wir uns nicht auf die Angaben der Unternehmen verlassen, sondern externe Quellen wie Zeitungen oder Online-Medien nutzen. Mit Hilfe von Machine-Learning-Modellen, die wir vor Jahren selbst entwickelt haben, klassifizieren wir die Dokumente und filtern mit speziellen Abfragemethoden die relevanten Informationen heraus. Daraus erstellen wir automatisch generierte Analysen, die von Analysten geprüft werden. Wir spielen dann die Daten entweder über unsere ESG-Risk-Plattform oder den Kunden direkt in ihre eigenen Informationssysteme aus.

Sehen Sie Grenzen beim Einsatz von KI?

KI kann viele Aufgaben übernehmen, aber es ist wichtig zu definieren, wann menschliches Eingreifen erforderlich ist. Ein zentraler Punkt ist das Vertrauen in KI-generierte Ergebnisse wie Klassifikationen oder Zusammenfassungen. Wann leiten wir sie direkt an den Kunden weiter, wann müssen wir sie noch einmal überprüfen? Der Analyst wird immer mehr zum «Dirigenten», der die unterschiedlichsten KI-Prozesse koordiniert. Mit neuen Workflow-Tools können wir effizienter arbeiten, aber auch neue Jobprofile schaffen. Schon heute erledigen Maschinen rund 80 Prozent der Arbeit – mit Potenzial nach oben.

Wie wird KI die Finanzindustrie verändern?

Das ist eine Frage, die meine Expertise übersteigt. Ich glaube aber, dass es zwei grosse Anwendungsmöglichkeiten gibt. KI ermöglicht es, grosse Datenmengen zu verarbeiten und daraus bessere Schlüsse zu ziehen. Das kann bei ESG-Analysen von Nutzen sein. Unternehmen veröffentlichen umfangreiche Transformationspläne, die ein Analyst allein kaum bewältigen kann. Da kann KI helfen, Muster zu erkennen und Entscheidungsprozesse zu unterstützen. Die zweite Anwendung sehe ich im Investmentbereich: Im Moment glaubt man noch gerne den Geschichten der Portfoliomanager. In Zukunft wird es möglich sein, viel grössere Datenmengen zu verarbeiten, um eine Anlagehypothese zu überprüfen. Ich kann mir vorstellen, dass wir beim Investieren eine nächste Stufe erreichen und nicht mehr so sehr auf unser Bauchgefühl angewiesen sind.

Was bedeutet das für die Schweizer Bankenlandschaft?

Ich sehe durchaus Chancen. Seit 2008 hat sich vieles in den USA konzentriert – sei es Asset Management, Hedge Funds, Quant Funds, Private Equity oder Private Lending. Die europäischen Akteure konnten, von wenigen Ausnahmen abgesehen, kaum mithalten. Schweizer Asset Manager wie Swisscanto stehen oft im Schatten von Giganten wie Blackrock. Mit neuen Technologien wie Large Language Models eröffnen sich nun aber Möglichkeiten, Produkte auf Augenhöhe zu entwickeln. Dies könnte der Schweiz helfen, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu stärken.

Mit der Ansiedlung von OpenAI gilt Zürich als Hub für künstliche Intelligenz. Ist das im Kampf um Talente eher Fluch oder Segen?

Zu sagen, Zürich sei bereits ein KI-Hub, ist vielleicht etwas übertrieben. Die Schweiz ist sicher ein Technologie-Hub, vor allem dank der ETH, die in Bereichen wie Data Science über eine starke Expertise verfügt. Nicht ganz so gut sieht es bei der Softwareentwicklung aus. Unter dem Strich ist die Entwicklung positiv. Wir verlieren zwar Talente an Grosskonzerne wie Google, weil wir deren Gehälter nicht bieten können. Andererseits kommen Spezialisten dieser Unternehmen zu uns, weil sie bei uns mehr Gestaltungsspielraum haben. Je grösser das KI-Ökosystem in Zürich wird, desto mehr Möglichkeiten ergeben sich auch für kleinere Firmen wie uns. Letztlich profitieren alle von einem wachsenden Netzwerk.

Unternehmer, Umweltphysiker und KI-Experte
Philipp Aeby (1968) ist CEO von RepRisk, einer Datenanbieterin für Business-Conduct-Risiken, die er 2006 mitgründete. Zuvor war er bei Amgen und als Berater bei Boston Consulting tätig. Er startete seine Karriere als Gastforscher am Internationalen Zentrum für tropische Landwirtschaft in Kolumbien. Der Umweltphysiker wurde von der ETH für seine Forschungsarbeiten zur Anwendung neuronaler Netze in der Mustererkennung ausgezeichnet.

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