Nach dem Höchststand die Korrektur. Der jüngste Rückschlag dürfte erfahrene Bitcoin-Investoren nicht überraschen. Und es zeigt sich einmal mehr: Am Markt, an dem viele auf schnelle Gewinne aus sind, ist Langfristigkeit König.
5. Juli 2024 • Werner Grundlehner

Kaum jemand bestreitet, dass der junge Bitocin-Markt volatil ist. Doch die meisten Marktteilnehmer nehmen als naturgegeben an, dass diese hohen Preisausschläge den Markt tendenziell in eine Richtung treiben: Steil nach oben. Doch in den vergangenen vier Wochen hat die Bitcoin-Notierung von über 71’000 auf unter 55’000 Dollar korrigiert. Was sind die Gründe und auf was muss man sich einstellen?



Und in den Short Cuts diese Woche:
• Memes hängen Bitcoin im ersten Semester ab
• Postfinance weitet Krypto-Angebot aus


Der wichtigste Grund dürfte ein «externer» sein. Krypto-Anlagen wiesen in den vergangenen Monaten eine hohe Korrelation zu US-Technologieaktien auf. Viele Investoren setzen Investitionen in Krypto mit solchen in Nividia, Microsoft, Amazon & Co gleich. Mit der «Höher-für-länger»-Zinspolitik der US-Notenbank Federal Reserve haben Technologie-Aktien an Attraktivität verloren. Angesichts der jüngsten Wirtschaftszahlen aus den Vereinigten Staaten ist umstritten, ob es in diesem Jahr überhaupt noch zu einer Zinssenkung durch das Fed kommt.

Die Zinsen fallen nicht

Noch vor wenigen Monaten waren die Marktbeobachter von einer Anzahl Zinsschritte nach unten ausgegangen – dem ersten im Juni. Bei höheren Zinsen werden zukünftige Gewinne der Techkonzerne zu höheren Sätzen abdiskontiert und sind dementsprechend weniger wert. Weder Gold, Bitcoin noch Tech-Werte weisen eine Verzinsung (Dividenden) auf und sind in einem Umfeld mit höheren Zinsen diesbezüglich gegenüber Divdidendentiteln und Anleihen im Nachteil.

Langfristig bedeutet die jüngste Korrektur kein Bruch des Aufwärtstrends der ältesten Kryptowährung. Die Notierung war schon immer eine nach oben zeigende Berg-und-Talfahrt. Der Bitcoin-Kurs überschritt Ende 2013 – also vor etwas mehr als 10 Jahren – die 1000-Dollar-Marke. Anfangs 2013 notierte der Bitcoin auf 100 Dollar. Die Lehre daraus: Ruhig schlafen liess der Bitcoin nervöse Anleger noch nie – und am besten fahren die «Hodler», also jene Anleger, die den Bitcoin kaufen und (für immer) halten.

Mehr im Gewinn als im Verlust

Das Research-Unternehmen Glassnode stellt fest, dass obwohl die Bitcoin-Preise jüngst seitwärts bis abwärts tendierten, ein beträchtlicher Teil der Marktteilnehmer weiterhin Gewinne verzeichne. Der Grossteil der Verluste werde von Anlegern getragen, die erst seit kurzem im Krypto-Markt unterwegs seien. Die Volatilität ist nach wie vor historisch niedrig, was gemäss Glassnode auf ein gewisses Mass an Apathie der Anleger schliessen lässt.

Das Krypto-Research-Unternehmen analysiert für alle Bitcoins, die durchschnittliche Kostenbasis und stellt fest, ob die Token entweder mit nicht realisierten Gewinnen oder Verlusten von den Investoren gehalten werden. Der durchschnittliche Gewinn-Bitcoin weist einen nicht-realisierten Gewinn von 41'300 Dollar auf, d.h. er ist im Schnitt zu einem Preis von 19'400 Dollar gekauft worden.

Verzerrt wird dieser Wert durch Bitcoins, die in der Anfangsphase zu sehr tiefen Preisen in grossen Mengen bewegt wurden. Der durchschnittliche «Verlustcoin» weist ein Minus von 5'300 Dollar, weil er zu einem Kurs von 66'100 Doller erworben wurde. Diese Analyse wurde vor einigen Tagen publiziert, aktuell wäre der Verlust höher. Glassnode schreibt dazu: «Diese Coins werden in erster Linie von Short-Term Anlegern gehalten, da nur sehr wenige Top-Käufer aus dem Zyklus 2021 heute noch dabei sind».

Grosse Posten müssen verkauft werden

Das Research des Krypto-Dienstleisters 21Shares macht für die Schwäche vor allem Verkaufsdruck von verschiedener Seite verantwortlich. So habe die deutsche Regierung beispielsweise 50’000 Bitcoins im Wert von 3 Milliarden Dollar von Movie2k, einer Website für Raubkopien von Filmen, beschlagnahmt. (tippinpoint berichtete vergangene Woche in den «short cuts» darüber). 21Shares sieht nun den Beginn des Verkaufs dieser Bestände von Wallets bei zentralisierten Börsen wie Coinbase und Kraken.

Darüber hinaus hätten die aufkommenden Befürchtungen über die Rückzahlungen von Mt. Gox den Markt weiter verunsichert. Mt. Cox, die damals wichtigste Bitcoin-Börse wurde im Jahr 2014 gehackt und musste in der Folge Insolvenz anmelden. Ein Grossteil der Guthaben konnte im Lauf der Zeit wieder sichergestellt werden. Die Rückzahlungspläne für Bitcoin im Wert von 8,6 Milliarden Dollar sollen gemäss 21Shares im Juli beginnen.

Allerdings werden die Rückzahlungen wahrscheinlich über mehrere Monate hinweg erfolgen, so dass unmittelbare Angebotsschocks für den Bitcoin-Markt möglicherweise vermieden werden könnten. Ein weiterer Faktor für den hohen Verkaufsdruck sind die Bitcoin-Miner. Diese «Bitcoin-Hersteller» verkauften im vergangenen Monat Bitcoin im Wert von annährend 2 Milliarden Dollar. Diese Dynamik war schon bisher jeweils nach einem Halving zu beobachten. Denn wenn sich die Einnahmen der Miner für validierte Blocks halbieren, verkaufen diese Teile ihrer Bestände, um ihre Kosten zu decken. Die Statistiken zeigen, dass die Miner-Reserven den niedrigsten Bitcoin-Stand seit 2021 erreichen haben.

Miner wechseln zu KI

Die rege Verkaufstätigkeit der Miner wird auch durch die im Vergleich zu früheren Zyklen gestiegenen Energiekosten gefördert. Die Einnahmen der Miner pro Einheit Rechenleistung sinken. Das deutet auf eine Periode mit sinkender Rendite hin, die einige Miner zur Einstellung der Geschäftstätigkeit zwingen wird. Dies wird auch durch die sinkende Rechenleistung des Netzwerks belegt, die seit dem Höchststand im Mai um 15 % zurückgegangen ist. Die Möglichkeiten im «neuen» Markt für künstliche Intelligenz veranlasst zahlreiche Miner ihre Rechenleistung auf neue Anwendungen zu konzentrieren, etwa Datenzentren für KI.

Der Rückschlag der Bitcoin-Notierung hat auch die (über-)zuversichtlichen Preis-Prognosen verstummen lassen, die vor wenigen Wochen noch an der Tagesordnung waren. Da wurden 150'000 oder 500’000 Dollar als Kursziele für Ende Jahr oder Ende des Jahrzehnts in die Waagschale geworfen. Doch auch hier hat ein Stimmungswandel eingesetzt. Andrew Kang, Mitbegründer von Mechanism Capital, äusserte in einem Tweet auf X, seine Bedenken bezüglich der aktuellen Marktbedingungen. Dieser erinnerten ihn auffallend an diejenigen von Mai 2021, als der Bitcoin einen dramatischen Absturz erlebte. Kang erklärte, dass die Bedeutung des möglichen Verlustes der Viermonatsunterstützung von Bitcoin nicht ausreichend bewertet werde.

Auch andere Marktbeobachter ziehen Parallelen zu 2021. Damals fiel der Bitcoin-Kurs von einem Höchst von rund 64’000 Dollar Mitte April bis Ende Juni um etwa 56 Prozent. Der Crash wurde durch eine Kombination aus Faktoren ausgelöst, darunter die regulatorischen Einschränkungen in China, Umweltbedenken von einflussreichen Persönlichkeiten wie dem Tesla-CEO Elon Musk und daraus resultierenden Panikverkäufen sowohl von Retail- als auch von institutionellen Investoren.

Andrew Kwag macht zudem auf Ähnlichkeiten unter anderem in Bezug auf den Einsatz von gehebelten Positionen aufmerksam, die derzeit über 50 Milliarden Dollar liegen. Er merkt an, dass diese Zahl nicht die Beträge der Chicago Mercantile Exchange (CME) umfasst, welche noch höher seien. Kang hat zudem seine Prognosen über den Bitcoin-Tiefpunkt nach unten korrigiert und sieht einen Rücksetzer in die Nähe von 40'000 Dollar. Er weist darauf hin, dass eine solche Kurskorrektur den Markt erheblich beschädigen könnte, gefolgt von einer mehrmonatigen Konsolidierung, bevor eine Umkehr in einen Aufwärtstrend vorstellbar sei.

Was löst den Dollar ab?

Der wichtigste Grund für die Agonie am Bitcoin-Markt dürfte doch die Abwesenheit grosser Themen sein. Das Sprichwort «Only no News is Bad News» bewahrheitet sich einmal mehr. Kurstreiber wie Halving und ETF haben ihre Wirkung verloren. Interessant zu beobachten wird sein, ob im US-Wahlkampf nach Gesundheitszustand und Alter des Amtsinhabers auch die Haltung zu Kryptowährungen wieder ins Zentrum rückt. Zudem werden Entwicklungen um neue Investmentprodukte, insbesondere Ethereum- und Solana-ETF das Thema Kryptoanlagen allgemein wieder befeuern.

Längerfristig wird das Thema aufkommen, ob eine Kryptowährung – insbesondere der Bitcoin – auf lange Sicht das Zeug zur Weltwährung hat. Denn die De-Dollarization schreitet voran. Die Schuldenspirale in der sich die USA befindet macht die Investoren rund um die Welt nervös. Die BRIC-Staaten und Saudi-Arabien arbeiten an einer eigenen «Erdölwährung». Doch die Trägerschaft aus zahlreichen, wenig transparenten Regimen macht eine solche Währung wenig glaubwürdig und auf dem Globus nicht mehrheitsfähig. Viele Mitgliedsländer im Euroraum sind bereits hoffnungslos überschuldet, bevor die europäische Einheitswährung einen weltweiten Anspruch anmelden konnte. Es sind also Alternativen gefragt.




Short cuts: News aus der digitalen Welt


Memes hängen Bitcoin im ersten Semester ab

Das ist die Bilanz zum ersten Semester 2024 in Kryptowährungen. In den ersten sechs Monaten ist der Wert des gesamten Sektors gemäss CoinGecko um 661 Milliarden Dollar gestiegen.

Mit 409 Milliarden leistete der Bitcoin mit einer Avance von 48 Prozent den Löwenanteil zu diesem Wertewachstum. Punkto Performance ist die älteste Kryptowährung aber nicht auf dem ersten Platz – bei weitem nicht. Meme-Coins brillierten in dieser Beziehung. Diese «lustigen» Kryptowährungen mit keinem realen Nutzen – oft als Shitcoins verunglimpft – sind in Boom-Phasen stets gesucht. Unter den Coins, die mindestens eine Marktkapitalisierung von einer Milliarde aufweisen, liegt Dogwifhat hat an der Spitze. Der Token, dessen Logo ein Shiba Inu mit einer gestrickten Mütze ist, avancierte weit über 1000%, während Pepe, ein Token, der nach einem Meme-Frosch benannt ist, der oft mit rechtsextremen Kreisen in Verbindung gebracht wird, mit einem Gewinn von fast 800 Prozent der nächstbeste Performer in der ersten Jahreshälfte ist.

Floki, ein Coin, der nach dem Shiba-Inu-Hund von Elon Musk benannt ist, und ein Meme-Coin, der nur als Shiba Inu bekannt ist, sind um 392 respektive 67 Prozent gestiegen und haben den Bitcoin ebenfalls überflügelt. Der Hund Shiba Inu ist zum Maskottchen des Meme-Coin-Booms geworden. Der vielleicht berühmteste «hundebasierte» Token, der Dogecoin, hat «nur»35 Prozent zugelegt. Auch Token, die keine Meme-Coins sind, verzeichneten eine Performance, die jene des Bitcoins übertraf. Die Nummer zwei der Branche, der Ether, der Token des Ethereum-Netzwerks, legte 51 Prozent zu. Der Binance-Coin (BNB), der von der weltgrössten Kryptobörse ausgegeben wird, kletterte im Wert um 81 Prozent.


Postfinance weitet Krypto-Angebot aus

Die Postfinance bietet ihren Kunden neu auch den Handel mit den Krypto-Währungen Cardano, Solana, Avalanche, Polkadot und Ripple an. Die Tochter der Schweizer Post startete ihr Angebot mit Krypto-Assets im Februar 2024. Zum Handel und zur Verwahrung standen zunächst elf Kryptowährungen darunter Bitcoin, Ethereum, Cosmos und Uniswap. Cardano-Gründer Charles Hoskinson begrüsste den Schritt auf X: «Fun Fact: Als ich bei Ethereum war, war Postfinance einer unserer ersten Bankpartner. Die Zusammenarbeit mit ihnen war immer nett und einfach».

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