Neue Regeln zur Berichterstattung
Die Umsetzung des Gegenvorschlags zur Konzernverantwortungs-Initiative werde von den grossen Unternehmen in der Schweiz unterschätzt, sagt Compliance-Spezialist Daniel Bühr im Interview. Für Verwaltungsräte kann das gefährlich werden.
29. Juni 2022 • Beat Schmid

Er ist spezialisiert auf Wirtschaftskriminalität und Compliance sowie auf Regulierungs- und Bankenrecht. Daniel Bühr, Partner bei der Schweizer Wirtschaftskanzlei Lalive Rechtsanwälte, ordnet die Folgen des Gegenvorschlags zur Konzernverantwortungs-Initiative auf Unternehmen und Verwaltungsräte ein. Im Interview äusserst er sich zur kommenden Pflicht, über nicht-finanzielle Belange rapportieren zu müssen.

Herr Bühr, für Schweizer Unternehmen gelten bald neue Offenlegungs- und Sorgfaltspflichten. Das Gesetz verlangt, dass Firmen ab einer gewissen Grösse sogenannte nicht-finanzielle Belange rapportierten müssen. Bereits für das Jahr 2023 gelten die neuen Bestimmungen. Sind die Unternehmen bereit?

Die grossen Publikumsgesellschaften und von der FINMA beaufsichtigten Institute kennen die Pflicht, ab 2024 jährlich einen Bericht über nichtfinanzielle Belange zu publizieren. Nach meinem Eindruck wird aber unterschätzt, dass die Unternehmen anspruchsvolle Managementsysteme für die Belange Umwelt, Soziales, Arbeitnehmer, Menschenrechte und Korruptionsbekämpfung einführen und betreiben müssen. Zudem wird die Berichterstattung nach meiner Erfahrung unterschätzt: der Bericht, der auch alle Tochtergesellschaften weltweit erfasst, muss durch den Verwaltungsrat genehmigt und unterzeichnet und an der Generalversammlung durch die Aktionäre genehmigt werden. Wenn im Bericht vorsätzlich oder fahrlässig falsche Angaben gemacht werden, dann drohen Strafverfahren und Busse.

Das neue Gesetz verlangt, dass der Verwaltungsrat die entsprechenden Berichte unterschreibt. Wie verändert das die Arbeit der Verwaltungsräte?

Die Mitglieder der Verwaltungsräte werden die Messlatte für die Managementsysteme hoch ansetzen müssen, um Sicherheit zu haben, dass der von ihnen unterzeichnete Bericht vollständig und wahr ist. Sonst setzen sie sich persönlichen Risiken aus. Verwaltungsräte sind sicherlich gut beraten, jetzt bereits die verbindliche Zusicherung des Managements einzuholen, dass die notwendigen Systeme – das heisst, die Governance, die Prozesse, die Fachpersonen und die Kontrollen – spätestens am ersten Januar 2023 vorhanden und wirksam sind.

Kein Verwaltungsrat unterschreibt gerne einen Bericht, der nicht vorher durch ein Beratungsunternehmen testiert wurde. Glauben Sie, dass Nachhaltigkeitsberichte in Zukunft geprüft werden?

Eine unabhängige Verifizierung der Managementsysteme im Verlaufe des nächsten Jahres und eine Beurteilung der Vollständigkeit und Wahrheit der Berichtsentwürfe ist meines Erachtens das Minimum, das Verwaltungsräte verlangen sollten. Zentral werden die Unabhängigkeit, die Befugnisse und die Kompetenzen der Prüfer sein. Beispielsweise erfordert die Prüfung eines Anti-Korruptions-Managementsystems hohes Fachwissen und Erfahrung und betrifft bei vielen Unternehmen eine grosse Anzahl Abteilungen, Mitarbeitende und Länder.

Die nicht-finanziellen Berichte müssen – wie die Jahresrechnung – von der Generalversammlung genehmigt werden. Sehen sie bei diesen Berichten ein neues Betätigungsfeld für aktivistische Organisationen?

Ja, auf jeden Fall. Die Berichte werden akribisch geprüft werden und sollten sich Angaben als falsch oder unvollständig erweisen, dann werden wohl international die Klagen gegen die Verwaltungsräte und die Unternehmen auf dem Fusse folgen. Auch werden aktivistische Aktionäre von den Unternehmen eventuell höhere Ziele und Standards verlangen.

Wenn ein Unternehmen seine Umweltziele verfehlt oder in Korruptionsfälle verwickelt wird, war das bisher vor allem ein Reputationsproblem. Das ändert sich nun mit dem neuen Gesetz. Verstösse gelten als Offizialdelikte, denen die Behörden von Staates nachgehen müssen. Müssen Organe vermehrt mit Strafuntersuchungen rechnen?

Ja. Wenn nach der Berichterstattung langjährige, systemische Compliance-Risiken wie Korruption oder Verstösse gegen Menschen- und Arbeitnehmerrechte oder Umweltverstösse bekannt werden, dann müssen die Verwaltungsratsmitglieder unmittelbar mit Strafanzeigen rechnen.

In welchen Bereichen drohen die grössten rechtlichen Risiken: Umweltberichterstattung, Kinderarbeit, Korruption?

Erfahrungsgemäss sind die Korruptionsrisiken am grössten, gefolgt vom Risiko von Umweltverstössen und von Verstössen gegen den Schutz der Arbeitnehmerrechte, einschliesslich Kinderarbeit. Oft sind die Risiken aber auch miteinander verbunden.

Der Gegenentwurf zur KVI, von dem wir hier ja sprechen, wurde von Kritikern als zahnloser Tiger bezeichnet. Doch die rechtlichen Konsequenzen des neuen Gesetzes scheinen in keinem anderen Land so weit zu gehen. Einverstanden?

Ja, weil sich die Aktionäre auf den Verwaltungsrat verlassen und ihn bei falschen Berichten direkt in die Pflicht nehmen werden. Und Aktionäre wie Dritte können Strafanzeige einreichen, bzw. Staatsanwaltschaften müssen bei hinreichendem Verdacht auf falsche Berichterstattung Untersuchungen eröffnen. Der Schweizer Mechanismus ist damit einerseits hochgradig streitanfällig, zwingt aber die Verwaltungsräte und ihre Unternehmen dazu, die nichtfinanzielle Berichterstattung äusserst ernst zu nehmen und mit aller Sorgfalt umzusetzen. Und das ist ja das Ziel.