3000 Rechtshilfegesuche
Der Cavaliere pflegte vielfältige Beziehungen zur Schweiz. Von offiziellen Besuchen sah der Politiker und Medienmagnat jedoch ab. Weil er das Licht in seine Finanzen fürchtete.
13. Juni 2023 • Balz Bruppacher
In Arlesheim (BL) kamen drei seiner fünf Kinder zur Welt, das Engadin schätze er als Ferienort, und im Tessin gehörte er zur Kundschaft einer Klinik für Schönheitschirurgie. Dass der gestern verstorbene viermalige italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi die Schweiz nie in offizieller Mission besuchte, dürfte einen anderen Grund haben. Der Selfmademan und schillernde Unternehmer war seit den frühen 1990-er Jahren wegen seines Finanzgebarens im Visier der italienischen Justiz, die sich wiederum mit Rechtshilfegesuchen an die Schweiz für die Transaktionen des Berlusconi-Imperiums über den hiesigen Finanzplatz interessierte.
Es war die Zeit der Mani-Pulite-Ermittlungen, bei denen die Mailänder Staatsanwaltschaft ein Netz von systematischer Korruption und illegaler Parteienfinanzierung aufdeckte. Weil der Finanzplatz Schweiz als Magnet für die Abwicklung der Schmiergeldzahlungen wirkte, sah sich die Schweiz mit einer Flut von italienischen Rechtshilfegesuchen konfrontiert. Allein zwischen 1992 und 1998 wurden rund 3000 solcher Begehren in Bern deponiert, darunter auch solche, die Berlusconi und sein Umfeld betrafen.
Das erste auf die Probleme Berlusconis zugeschneiderte Gesetz
Der Burgfriede war aber nicht von langer Dauer. Im Frühling 2001 gewann Berlusconi erneut die Wahlen und nahm umgehend den Rechtshilfevertrag mit der Schweiz ins Visier. Denn er und seine Anwälte, die auch im Parlament sassen, wussten um die Schlüsselrolle, die Bankdokumente aus der Schweiz für die hängigen Korruptionsprozesse spielten. Im Eiltempo drückte das neue Parlament ein Einführungsgesetz zum Rechtshilfeverfahren mit der Schweiz durch und baute neue Hürden für die Rechtshilfe ein. Es handelte sich um den ersten von später bis zu 20 sogenannten Ad-Personam-Erlassen, die auf Berlusconis Probleme mit der Justiz zugeschnitten waren und Zeitgewinn mit Blick auf die Verjährung der Verfahren gegen den Cavaliere versprachen.
Der Bundesrat akzeptierte die neuen Modalitäten in der Rechtshilfe mit Italien erst anderthalb Jahre später, nachdem das italienische Verfassungsgericht die Hindernisse mit einer Interpretation entschärft hatte. Berlusconis Anwälte deckten die Rechtshilfeleistung der Schweiz mit einem Rekursfeuerwerk ein. In mehreren Dutzend Entscheiden hiess das Bundesgericht die Rechtshilfe aber fast ausnahmslos gut. So waren die Bankunterlagen aus der Schweiz zum Beispiel entscheidend für die rechtskräftige Verurteilung des Berlusconi-Anwalts und ehemaligen italienischen Verteidigungsministers Cesare Previti. Er wurde 2006 wegen Richterbestechung mit sechs Jahren Haft bestraft.
140 Millionen nach elfjähriger Sperre freigegeben
2005 eröffnete auch die Bundesanwaltschaft (BA) ein Strafverfahren gegen vier Manager von Berlusconis Mediaset-Konzern wegen Verdachts auf Geldwäscherei und beschlagnahmte Gelder in dreistelliger Millionenhöhe. Sechs Jahre später stellte die BA das Verfahren ein, zum Teil wegen Verjährung und weil die italienische Justiz wegen des gleichen Sachverhalts ermittelte. Es ging um Gelder, die durch fiktive Transaktionen und überhöhte Preise beim Handel mit Film- und TV-Rechten generiert und am Fiskus vorbeigeschleust wurden.
Während die Kontensperre im Rechtshilfeverfahren zunächst aufrechterhalten wurde, gab die BA im Jahre 2016 die seit elf Jahren gesperrten rund 140 Millionen Dollar frei. Ausschlaggebend war ein Urteil des Mailänder Kassationsgerichts, mit dem Mediaset-Präsident Fedele Confalonieri und Berlusconi-Sohn Piersilvio freigesprochen wurden. Seither sind in der Schweiz keine Verfahren gegen das Umfeld von Berlusconi mehr hängig, wie die BA auf Anfrage bestätigt.