Ziehsohn von Tomas Jordan, SNB-Eigengewächs und geldpolitischer Traditionalist waren Attribute, die dem 48-jährigen Martin Schlegel bei seiner Wahl zum 15. Präsidenten der Schweizerischen Nationalbank (SNB) zugeschrieben wurden. Zum eher farblosen Image trug der neue Notenbankchef auch selber bei. «Sie werden in den nächsten Monaten und Jahren noch genug Gelegenheit haben, mich kennenzulernen», sagte Schlegel bei der Präsentation vor der Bundeshauspresse im vergangenen Juni. Mehr als die Stationen seiner beruflichen Laufbahn innerhalb der SNB war ihm nicht zu entlocken. Finanzministerin Karin Keller-Sutter war es vorbehalten, einen lockeren Akzent zu setzen. Es gebe immerhin zwei Gemeinsamkeiten: Rockmusik und Vegetarier.
So stiess die erste Medienkonferenz des Chefs des dreiköpfigen SNB-Direktoriums auf doppeltes Interesse. Zum einen werweissten die Ökonomen intensiv wie schon lange nicht mehr über das Ausmass der allgemein erwarteten Zinssenkung. Und zum anderen waren die SNB-Wachter gespannt, wie der Neue den Medienauftritt meistern würde. Mutig und erfrischend ist die Antwort.
Mutig, weil Schlegel und seine Direktoriumskollegen Antoine Martin und Petra Tschudin einen grossen Zinsschritt von einem halben Prozentpunkt beschlossen. Erfrischend, weil Schlegel offensichtlich bemüht war, sich von seinem Vorgänger Thomas Jordan abzugrenzen, dessen Medienkonferenzen oft einer One-Man-Show glichen. Der neue SNB-Präsident forderte die Medienleute sogar auf, auch Fragen direkt an Martin und Tschudin zu stellen.
Schlegel verzichtete zudem auf das mehrminütige Eröffnungsreferat, mit dem Jordan die Medienkonferenzen zu eröffnen pflegte. Der neue Präsident beschränkte sich vielmehr auf die Bekanntgabe des Zinsentscheids und überliess dem Vizepräsidenten und dem dritten Mitglied des Direktoriums die weiteren Erläuterungen. Erst in der Fragerunde ergänzte Schlegel, mit dem grossen Zinsschritt sinke auch die Wahrscheinlichkeit, dass die Nationalbank erneut Negativzinsen einführen müsse. Der Notenbankchef trat damit Befürchtungen von Ökonomen und Medien entgegen, ohne eine solche Massnahme im Kampf gegen Deflation und Frankenaufwertung auszuschliessen.
Läutet die Schlegel-Schwalbe einen Kommunikation-Sommer ein?
Man darf gespannt sein, ob sich die Nationalbank unter Schlegel kommunikativ weiter öffnet. Bis weit ins letzte Jahrhundert hinein galten die Notenbanken verschwiegen wie das Grab. Sie trugen lange selber dazu bei, ihr Dunkelkammer-Image aufrechtzuerhalten. «Never explain, never excuse» lautete die Maxime von Montagu Norman, der der Bank of England von 1920 bis 1944 vorstand. Der Schweizer Geldtheoretiker Karl Brunner prangerte die Politik der Zentralbanken noch 1981 als esoterische Kunst an, zu der nur eingeweihte Eliten Zugang hätten und die nicht in der Lage sei, sich verständlich zu artikulieren.
Die SNB hatte schon in den Gründerjahren einen Informationsbedarf ausgemacht. So war 1909 an einer Sitzung der Generaldirektion von einem «gewissen Interesse» die Rede, «das Publikum über die Gründe der Diskontomassnahmen aufzuklären, um so den Handel daran zu gewöhnen, sich über die Lage der Bank und die Wahrscheinlichkeit von Diskontoveränderungen ein Urteil zu bilden». Die Kontakte mit der Presse beschränkten sich aber während Jahrzehnten auf Informationen des Direktoriums nach eigenem Gutdünken für privilegierte Organe, namentlich für die NZZ.
Fritz Leutwiler – als Sekretär der Vereinigung für gesunde Währung und als Autor der von ihr herausgegebenen «Währungspolitische Korrespondenz» selber eine Art Journalist – leitete eine neue Ära in der SNB-Kommunikation ein. Am 7. November 1974 – ein halbes Jahr nach der Übernahme des SNB-Präsidiums – organisierte Leutwiler das erste Pressegespräch der Nationalbank. Der Zeitpunkt war insofern kein Zufall, als der im Vorjahr vollzogene Übergang zu flexiblen Wechselkursen den Erklärungsbedarf der Nationalbank deutlich erhöht hatte. Halbjährliche und in jüngerer Zeit vierteljährliche Mediengespräche des dreiköpfigen SNB-Direktoriums sind inzwischen die Norm.
Auch der Bankrat ist kommunikativ gefordert
Unter der Präsidentschaft Jordan blieb die Notenbank-Information aber ein dorniges Kapitel. «Die Erfahrung zeigt, dass sich Transparenz und offene, ehrliche Kommunikation bewähren. Gleichzeitig deuten Untersuchungen darauf hin, dass mehr Information nicht unbedingt besser ist», fasste Jordan sein Credo einmal zusammen. Wie heikel die Kommunikation ist, zeigte die Affäre Hildebrand, die Anfang 2012 zum Rücktritt des damaligen Präsidenten führte. Sie deckte zudem Governance-Probleme zwischen Direktorium und Bankrat, dem Aufsichtsgremium, auf, die nach wie vor virulent sind.