Hindenburg-Attacke
Die Hindenburg-Attacke hat 2 Milliarden Franken Börsenwert vernichtet. Die Chancen, dass sich die Aktien der Bankensoftwarefirma in einem Jahr wieder erholen, liegen bei unter 50 Prozent.
16. Februar 2024 • Beat Schmid

Es ist ein rabenschwarzer Tag für die Bankensoftwarefirma Temenos. Am Donnerstag um 12.23 Uhr verschickte der New Yorker Hedgefonds Hindenburg Research eine Mitteilung. Darin wirft er dem Genfer Unternehmen Gewinnmanipulation und «schwerwiegende Bilanzunregelmässigkeiten» vor.

Die Aktie brach sofort ein: Rund 2 Milliarden Franken Börsenwert wurden innert Minuten vernichtet. Der 6,7 Milliarden Franken schwere Konzern wurde auf 4,7 Milliarden zurückgestutzt.

Leerverkäufer überlistet Raider

Der grösste Verlierer ist Martin Ebener, der über seine Patinex-Gruppe knapp 13 Prozent an Temenos hält. Er verlor rund 250 Millionen Franken durch die Hindenburg-Attacke. Dass ausgerechnet ein amerikanischer Leerverkäufer den einstigen «Raider» übertölpelt, dürfte dem inzwischen 78-jährigen Börsen-Haudegen die Laune verdorben haben. Er verlor an einem Tag über 7 Prozent seines auf 3,3 Milliarden Dollar geschätzten Vermögens.

Auch institutionelle Anleger und Vermögensverwalter verloren viel Geld. UBS und CS kommen zusammen auf einen Anteil von 6 Prozent an Temenos. Baillie Gifford kontrolliert 4,6 Prozent. Der norwegische Staatsfonds Norges hält knapp 3 Prozent an dem Softwareunternehmen.

Hindenburg erhebt im Wesentlichen folgende Vorwürfe:

Roundtripping: Dabei kauft eine Firma einer anderen einen Vermögenswert ab, wobei die Käuferin den Betrag auf andere Weise wieder hereinholt. Laut Hindenburg hat Temenos im Oktober 2021 das US-Fintech-Unternehmen Mbanq für 20 Millionen gekauft, ohne zu deklarieren, dass der Kaufpreis über eine Wandelanleihe finanziert wurde.

Rückdatierung von Verkäufen: Ein weiterer Kernvorwurf von Hindenburg ist, dass Temenos ihren Softwarekunden vorzeitige Lizenzverlängerungen mit hohen Rabatten aufgeschwatzt haben soll, um die Lizenzverkäufe zu schönen. Temenos-Manager sollen sogar Lizenzverkäufe zurückdatiert haben, um die Geschäftszahlen besser aussehen zu lassen.

Zu hohe Versprechungen: Temenos soll gegenüber Kunden den Funktionsumfang des Softwarepakets oft übertrieben dargestellt haben. Hindenburg verweist in seinem Bericht auf zahlreiche unzufriedene Kunden und Rechtsfälle. Zudem sei die Einführung der Temenos-Software in vielen Fällen gescheitert.

Aktivierte Entwicklungskosten: Temenos soll zudem kundenspezifische Anpassungen der Software als Forschungs- und Entwicklungskosten deklariert und in der Bilanz aktiviert haben. Dadurch konnte das Unternehmen höhere Gewinne ausweisen.

Temenos wies die Vorwürfe am Donnerstagnachmittag zurück. Der Bericht enthalte «sachliche Ungenauigkeiten und analytische Fehler sowie falsche und irreführende Behauptungen, die darauf abzielen, den Aktienkurs des Unternehmens negativ zu beeinflussen». Temenos sei im Vorfeld nicht um eine Stellungnahme zu dem Bericht gebeten worden.

Potenziell heikel für PwC

In der Mitteilung vom Donnerstag verweist das Softwareunternehmen auf die bevorstehende Veröffentlichung der Jahresergebnisse am 19. Februar. Das Geschäftsjahr 2023 soll, wie im Vorfeld kommuniziert, erfolgreich sein. Mit anderen Worten: Mit Überraschungen ist nicht zu rechnen. Potentiell unangenehm ist der Hindenburg-Angriff auch für den Wirtschaftsprüfer PwC, der die Zahlen abgenommen und die Berichte testiert hat.

Die Attacken von Hindenburg werden von Börsianern in der Regel ernst genommen. Der Hedgefonds wurde 2018 von Nathan Anderson gegründet, der sich auf Finanzbetrug spezialisiert hat. Das Credo der Firma lautet: «Menschengemachte Katastrophen aufspüren, die im Markt herumschwirren». Den ersten erfolgreichen Angriff startete Anderson im September 2020 auf den Anbieter von elektrischen Lastwagen Nikola Corporation.

Wie eine Auswertung von Bloomberg zeigt, stürzten bei 25 von 27 Angriffen die Aktien am ersten Tag ab. In 11 Fällen erholten sich die Kurse nach 12 Monaten wieder auf das Niveau vor dem Angriff. In 14 Fällen fielen die Kurse in den 12 Monaten nach dem Angriff weiter. Dass eine Aktie am Tag des Angriffs so stark einbricht wie Temenos, kommt eher selten vor.

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